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Ein Berg an Problemen: Vizekanzler Robert Habeck vertritt Kanzler Olaf Scholz während seines Urlaubs.

© Florian Gärtner/ IMAGO/photothek

Habeck darf Scholz vertreten: „Es reicht“ - eine Koalition im Sommer-Stresstest

Der Kanzler ist im Urlaub, doch von Sommerpause kann keine Rede sein. Die Ampel fällt mit Kakophonie auf und Putins Spiel treibt einen Keil in die Koalition.

Als Olaf Scholz vor einem Jahr Nesselwang im Allgäu als Urlaubsziel auswählte, durchkreuzte die Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Pläne – der SPD-Kanzlerkandidat reiste ins Katastrophengebiet. Nun, mittlerweile Kanzler, weilt Scholz erneut zum Urlaub im Allgäu. Laut seiner Frau Britta Ernst sind in den nächsten zwei Wochen vor allem Wanderungen geplant.

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Ein Kanzler ist aber ja bekanntlich immer im Dienst, selten jedoch war eine Sommerpause mit so vielen Unsicherheiten belastet, die jederzeit eine Rückreise des Kanzlers in das Kanzleramt erforderlich machen könnten.

Die Ampel-Koalition schiebt eine ganze Bugwelle ungelöster Probleme vor sich her und wer sich so manche Wortmeldung anschaut, stellt sich die Frage, wie lange Scholz die Nervosität unter Kontrolle halten kann.

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Diese Woche ist erstmal keine Kabinettssitzung geplant, kommende Woche darf erstmals Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) das Kabinett leiten, es könnte ausgerechnet die Woche werden, in der klar wird, ob der russische Gazprom-Konzern den Gashahn bei Nord Stream 1 zu lässt oder wieder etwas Gas liefern wird.

Habecks Lieferprobleme bei neuen Gasverträgen

Habeck ist zwar derzeit der beliebteste Politiker des Landes, aber ihm es bisher nicht gelungen, zum Beispiel mit Katar einen Liefervertrag über Flüssiggas-Lieferungen abzuschließen. Seit Monaten gibt es streng vertrauliche Runden – auch mit Vertretern des Bundesnachrichtendienstes – um die Gefahr eines dauerhaften Gas-Stopps einzuschätzen.

Aber in den Kopf von Wladimir Putin kann halt niemand hineinschauen. Die größte Hoffnung ist derzeit, dass bis Dezember ein erstes Flüssiggas-Terminal einsatzbereit ist.

In den letzten Tagen hat eine Debatte, übrigens bis in die Union hinein, begonnen, die bei einem dauerhaften Gas-Stopp rasant an Fahrt gewinnen könnte. Wie lange wird die Solidarität mit der Ukraine halten? Und wann wird der Druck zu groß, um die Sanktionen gegen Russland aufrechtzuerhalten? Und woher soll das Geld kommen für weitere Entlastungen?

Wann wird wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 fließen?
Wann wird wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 fließen?

© REUTERS

Kakophonie in der Koalition

„Mir ist ganz wichtig, dass wir nicht so Vorschlagsbingo in der Sommerpause machen, sondern dass wir auf die absehbare Herausforderung mit einem gezielten Entlastungsplan reagieren“, sagte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bei RTL.

Kommunikativ wirkt die Kakofonie für die Bürger oft verwirrend. FDP-Finanzminister Christian Lindner will an der Schuldenbremse festhalten, bringt aber nun eine höhere Pendlerpauschale für alle ab 2023 ins Spiel, während Grüne und SPD um höhere Entlastungen für Geringverdiener und eine Nachfolgeregelung für das Ende August auslaufende 9-Euro-Ticket ringen.

Auf Konfrontationskurs mit der SPD: Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Auf Konfrontationskurs mit der SPD: Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

© IMAGO/Political-Moments

Strack-Zimmermann im Konflikt mit einem SPD-Mann

Die Politik Putins sät auch in der Koalition zunehmend Zwietracht. Wie rau der Ton in der Ampel mitunter geworden ist, zeigt ein Disput zwischen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes-Strack-Zimmermann (FDP), und dem SPD-Politiker Ralf Stegner. Zunächst hatte Kanzler Scholz über die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann mitteilen lassen, dass es keine Antwort auf Strack-Zimmermanns Offenen Brief mit der Forderung nach einer nationalen Ukraine-Konferenz geben werde. Sie ist eine der schärfsten Kritikerinnen des abwägenden Kanzlerkurses bei Waffenlieferungen.

Stegner meinte in Richtung der FDP-Politikerin bei Twitter: Offene „Briefe“ von Abgeordneten an die Bundesregierung seien in Wirklichkeit Presseerklärungen. „Das wissen erfahrene Abgeordnete, auch wenn sie erst seit Kurzem einer Regierungsfraktion angehören.“

„Weniger La Paloma pfeifen“

Strack-Zimmermann konterte: „Ach Herr Stegner. Wenn wir nur auf neue, unerfahrene Abgeordnete wie Sie hören würden (…) dann hätte die Ukraine jetzt weder eine eigene Regierung noch eine Chance auf Selbstverteidigung.“

Stegner, seit 2021 im Bundestag, entgegnete, er begegne täglich vielen Bürgerinnen und Bürgern, die seine Auffassung teilen und die Besonnenheit des Kanzlers schätzen. Daraufhin riet die FDP-Frau dem SPD-Parteilinken zu „weniger Arroganz“ und mehr konstruktiver Sacharbeit. „Weniger La Paloma pfeifen, wenn man selbst immer an exekutiven Ämtern & Verantwortung gescheitert ist“, meinte Strack-Zimmermann.

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Die Sorge vor der Nervosität der FDP

Im Kanzleramt gibt man sich noch gelassen. Aber bei SPD und Grünen wird der Profilierungsdrang gerade der FDP mit Sorge gesehen. Eine Wegmarke für die Koalition könnte der Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen am 9. Oktober werden, in Umfragen liegt die FDP dort bei sechs bis sieben Prozent.

Und die Union setzt die Ampel zusätzlich unter Stress, versucht einen Keil nach dem Anderen in das Bündnis zu treiben. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) etwa hat einen Tauschhandel angeregt: Wenn die Grünen sagten, sie machten bei der Atomenergie ein halbes Jahr länger, „dann finde ich, sollten wir auch beim Tempolimit reden können“, sagte Spahn in der ARD.

Das Kernkraftwerk Isar 2 soll Ende des Jahres vom Netz gehen - oder vielleicht doch nicht?
Das Kernkraftwerk Isar 2 soll Ende des Jahres vom Netz gehen - oder vielleicht doch nicht?

© imago images/Andreas Haas

Bisher will keiner einen Deal längere Atomlaufzeiten gegen Tempolimit

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann weist solche „Deal“-Ideen zurück. „Es reicht. Atomkraft und Tempolimit zu einer Bedingung zu verknüpfen, das ist absolut absurd“, twitterte sie. Atomenergie sei eine Hochrisikotechnologie. Zum beschlossenen Ausstieg gebe es einen breiten gesellschaftlichen Konsens.

Wie groß aber der Druck gerade auf die Grünen in dieser Frage ist, zeigt die Tatsache, dass Habeck das Ganze jetzt noch mal prüfen lässt. Laut einer Insa-Umfrage für die „Bild“ sind auch 40 Prozent der Wähler der Grünen dafür, dass die drei verbliebenen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über 2022 hinaus weiter Strom produzieren dürfen.

Zwar wird der Gasmangel vor allem im Wärmebereich zur Bedrohung, aber deshalb ist es das erklärte Ziel der Regierung, dass kaum noch Gas zur Stromproduktion verwendet werden soll.

Es fehlt aber an ausreichend Grundlastfähigen Kraftwerken, die die Schwankungen bei der Produktion von Strom aus Solaranlagen und Windrädern so ausgleichen können, dass die Versorgungssicherheit garantiert ist. Vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine galten Gaskraftwerke wegen des deutlich geringeren CO2-Ausstoßes im Vergleich zu Kohlekraftwerken als ideale Ergänzung zu den Erneuerbaren, vor allem auch weil sie schnell rauf- und runter zu fahren sind.

SPD sieht Deckelung des Gaspreises in Spanien mit Interesse

Um die Lücke zu schließen, werden zwangsläufig die letzten drei AKW zur Option, auch wenn SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagt: „Alle Erkenntnisse zeigen bislang, dass eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht bei der Kompensation von Gas hilft, gigantische Kosten entfacht und aus Sicherheitsgründen ausscheidet.“

Die Koalition müsse die Kraft jetzt für wirkliche Lösungen einsetzen und dafür sorgen, „dass der hohe Gaspreis nicht auch den Strompreis in die Höhe treibt“. In der SPD blickt man mit Interesse nach Spanien, wo der Gaspreis bei der Stromerzeugung staatlich gedeckelt wird – aber das stößt sich wieder an dem Schuldenbremsenziel.

FDP-Fraktionsvize Christian Dürr wird dagegen nicht müde, längere AKW-Laufzeiten zu fordern - und ein Tempolimit abzulehnen, auch er will von einem Deal nichts wissen

Spätestens nach der Sommerpause müssen all die offenen Fragen geklärt werden - auch weitere Entlastungen.

Die Grünen sind genervt von den Scharmützeln

Nach den Wahlerfolgen in NRW und Schleswig-Holstein sowie den guten Umfragen im Bund stellen vor allem die Grünen die vielen Gesetzesänderungen und das Umsetzen des Koalitionsvertrages in den Vordergrund. Von fortwährenden Scharmützeln halten sie dagegen nichts.

Doch vor allem die von der FDP täglich forcierte Atomdebatte bringt böses Blut. Die Sturheit der Liberalen bei deren Prestige-Projekten, wie einer lockeren Corona-Politik oder dem Nein zum Tempolimit, wird oft nur noch mit Seufzen quittiert. Mit der Union wäre man da weiter gekommen, vermuten Grünen-Abgeordnete mittlerweile.

Auch wenn bisher alle einen Deal bei Laufzeiten und Tempolimit ablehnen, könnte am Ende als Symbol der neuen Bewegung in Krisenzeiten womöglich beides kommen. Denn, zumindest da sind sie sich in der fragilen Koalition weitgehend einig: Auszuschließen ist in diesen Zeiten kaum noch etwas.

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