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Kardinal Woelki erklärt, er wolle sich auch selbst den Konsequenzen des Gutachtens stellen.

© Marcel Kusch/dpa

Gutachten zu sexuellem Missbrauch: Wie groß fällt das Beben in der katholischen Kirche aus?

Im Erzbistum Köln wird am Donnerstag eine Untersuchung zum Missbrauch vorgestellt. Die Folgen könnten weitreichend sein. Rücktritte sind nicht ausgeschlossen.

Tage der Entscheidung brechen an – der Entscheidung darüber, wie es mit der katholischen Kirche weitergeht. Im Erzbistum Köln, dem „Rom des Nordens“, der einflussreichsten Diözese der Welt nach dem Vatikan, wird an diesem Donnerstag eine unabhängige Untersuchung zum sexuellen Missbrauch vorgestellt.

Kardinal Rainer-Maria Woelki, der Erzbischof von Köln, hat bereits erklärt, dass die Verantwortlichkeiten „klar benannt“ würden und dann „die Frage zu beantworten“ sei, „welche Konsequenzen gezogen werden“. Woelki will die im Gutachten Genannten notfalls von ihren Aufgaben entbinden und sich auch selbst „den Ergebnissen der Untersuchung stellen“.

Der Kardinal, seit Wochen massiv in der Kritik, versuchte erneut, die aufgebrachten Gemüter durch Versprechen zu besänftigen. Vertuschung oder Mauschelei dürfe es in der Erzdiözese nicht mehr geben, dazu stehe er, sagte Woelki in einer Videobotschaft. Seine Bereitschaft sich den Ergebnissen zu stellen, erwartet er auch von anderen.

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Damit gemeint ist auch, dass es etliche Erzbischöfe in Deutschland gibt, die sich Fragen gefallen lassen müssen, von Hamburg bis München, darunter der ehemalige und der amtierende Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Marx und Georg Bätzing (Limburg).

Rücktritte sind nicht ausgeschlossen

Auch die Bischofskonferenz rechnet mit einem Beben und weitreichenden Folgen. Rücktritte werden für möglich gehalten, als Erstes der von Kardinal Woelki. Die Gläubigen in seinem Bistum haben ihm bereits das Misstrauen ausgesprochen. Außerdem treten dort gegenwärtig alle zehn Minuten drei Katholiken aus der Kirche aus.

Vorne Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hinten sein Vorgänger Kardinal Reinhard Marx.
Vorne Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hinten sein Vorgänger Kardinal Reinhard Marx.

© Andreas Arnold/dpa

Dem Erzbischof von Köln werden zum einen persönliche Fehler im Umgang mit ihm bekannten, beschuldigten Priestern vorgehalten. Darüber hinaus hat Woelki ein ursprünglich von ihm beauftragtes Gutachten zum Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Vorwürfen des Kindesmissbrauchs durch Priester nicht veröffentlicht. Dieses Gutachten liegt seit einem Jahr vor. Der Kardinal nahm es aber wegen angeblicher Mängel unter Verschluss.

Nun soll das zweite Gutachten, inzwischen erstellt vom Kölner Strafrechtler Björn Gercke, an diesem Donnerstag veröffentlicht und am 23. März in einer Pressekonferenz vorgestellt werden. Gercke hat bereits dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigt, dass er Pflichtverletzungen „noch lebender Amtsträger“ der katholischen Kirche festgestellt habe.

Auch das erste Gutachten soll veröffentlicht werden

Allerdings sollen doch auch die Inhalte des bisher als Verschlusssache behandelten ersten Gutachtens der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hintergrund ist langes, empörtes Drängen und erheblicher Druck von vielen Geistlichen und Vertretern der Laienorganisationen im Erzbistum. Außerdem hatten die Gutachter selbst mehrmals angeboten, ihr Papier auf eigene Verantwortung zu veröffentlichen und das Haftungsrisiko zu übernehmen.

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Das war von Woelki strikt abgelehnt worden. Er könne einer Veröffentlichung eines „rechtswidrigen Gutachtens“ nicht zustimmen, ließ der Kardinal erklären. Das Gutachten weise handwerkliche Mängel auf und sei deswegen „untauglich“. Jetzt aber wird es vom 25. März an für „Betroffene, Medienvertreter und die interessierte Öffentlichkeit“ zur Einsichtnahme ausgelegt werden. Dafür gibt es einen Link zur Onlineanmeldung.

In verschiedenen Zeitungen, darunter auch die „FAZ“ und „Bild“, ist im Vorfeld über einige Fälle gewissermaßen exemplarisch berichtet worden. Stets wurden die Namen der Pfarrer abgekürzt. Vorwürfe gegen führende Würdenträger mehrerer Bistümer werden beispielsweise im Fall des Pfarrers A. erhoben. Der wurde 1972 wegen „fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen“ zu Haft verurteilt. 1988 erhielt er wegen weiterer Vorfälle noch einmal eine Bewährungsstrafe. Dennoch war A. weiter als Seelsorger aktiv, in den Bistümern Köln, Münster und Essen. Erst 2019 verbot ihm Kardinal Woelki die Ausübung des priesterlichen Dienstes. Inzwischen ist A. entlassen.

Hinweise über Jahrzehnte nicht verfolgt

Dem früheren Kölner Personalchef und heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße wird vorgehalten, einen Verdacht gegen den Priester nicht weitergeleitet zu haben. Heße bestreitet das. Der damalige Generalvikar Dominik Schwaderlapp sei informiert gewesen. Schwaderlapp ist heute Weihbischof in Köln.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat sich inzwischen selbst eines Versäumnisses beschuldigt: Er habe sich die Personalakte von Pfarrer A. nicht kommen lassen, als er kurz nach Amtsantritt von den Vorwürfen erfahren habe. Eines der Opfer von A. berichtete dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, Woelki habe sich derweil in einem persönlichen Brief bei ihm entschuldigt. Allerdings ist es zehn Jahre her, dass sich der Mann beim Erzbistum gemeldet hat.

Oder der Fall E. Es gab Missbrauchsvorwürfe gegen den Pfarrer; er war im früheren Internat Collegium Josephinum in Bad Münstereifel tätig. Ein Teil der Vorwürfe stammt aus den 80er Jahren. Woelki versetzte E. im September 2017 in den einstweiligen Ruhestand und meldete den Fall nach Rom.

Vorher, im November 2016, hatte E. noch an einer Privatmesse mit dem Papst teilgenommen, der E. segnete und von ihm eine Karnevalsmütze geschenkt bekam. Ein 2020 begonnenes Strafverfahren gegen den Priester ruht; er sei nicht verhandlungsfähig.

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