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Klasse für alle: Die Sachverständigen empfehlen Sprachförderung – ansonsten aber möglichst früh gemeinsames Lernen der geflüchteten mit anderen Kindern.

© Wolfram Kastl/dpa

Gutachten von Migrationsexperten: Für ein Ende der Flüchtlingsprogramme

Nach zwei Jahren "Flüchtlingskrise": Experten empfehlen, Arbeit und Bildung für Geflüchtete zu fördern wie für alle anderen – plus Sprachkurse.

Raus aus dem Krisenmodus, hinein in den Normalbetrieb: Das empfiehlt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in seinem am Dienstag veröffentlichten Jahresgutachten nach zwei Jahren „Flüchtlingskrise“. Insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und in den Schulen sollten Sonderprogramme für Geflüchtete vermieden oder heruntergefahren und stattdessen die Mittel klassischer Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik genutzt werden, die für alle da sind, schreibt der SVR.

Willkommensklassen dürfen Kinder nicht isolieren

Für die nicht wenigen minderjährigen Flüchtlinge, die in den vergangenen beiden Jahren nach Deutschland gekommen sind, sei die Schule „die zentrale Integrationsinstanz“. Auch für Flüchtlinge gelte, dass gerade in den Schulen ethnische und soziale Trennung vermieden werden müsse. Der Vorschlag der Fachleute lautet deshalb, die Kinder so rasch wie möglich in den Regelunterricht zu nehmen. Denn auch wenn sogenannte Willkommensklassen „einen Schutzraum“ böten, dürften sie geflüchtete Kinder nicht nachhaltig isolieren.

Der SVR verweist auf Schleswig-Holstein, wo Flüchtlinge zusätzliche Förderstunden erhalten, aber rasch mit Einheimischen zusammen lernen. Für die Berufsbildung empfiehlt der Rat eine stärkere Aufspaltung in Module, etwa in Basisausbildung und anschließende Spezialisierung. Das könne die Hürde senken, überhaupt eine Berufsausbildung zu beginnen – und auch jungen Langzeitarbeitslosen helfen.

Zuzugsbeschränkungen wirken nur kurz

Auch was den Arbeitsmarkt angehe, sehe man „Sondermaßnahmen für Flüchtlinge eher skeptisch“, heißt es im Gutachten. Die Arbeitsmarktpolitik sei in den letzten Jahren stark reformiert worden, das Land entsprechend „gut aufgestellt“.

Der SVR-Vorsitzende Thomas Bauer, ein Wirtschaftsprofessor, empfahl bei der Vorstellung des Berichts, „Sonderprogramme auf Sprache zu begrenzen“. Wenn alle etwas von Arbeitsmarktpolitik hätten, werde das auch „die Akzeptanz von Flüchtlingspolitik stärken“, sagte er.

Höflich, aber deutlich skeptisch äußert sich der SVR zur Beschränkung der Wohnsitzwahl auch für anerkannte Flüchtlinge, die 2016 mit dem sogenannten Integrationsgesetz auf drei Jahre eingeführt wurde. Sie soll die Überlastung einzelner Kommunen, meist der bevorzugten Großstädte, vermeiden – werde dort aber bestenfalls „eine Atempause“ schaffen; nach Ablauf der drei Jahre würden viele sicher doch dorthin ziehen, prognostiziert der SVR. Die Städte sollten diese Zeit „gut nutzen“, um dafür bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Das Jahresgutachten widmet sich in diesem Jahr auch wieder der europäischen Asylpolitik. Der SVR ist dafür, die Dublin-Regeln beizubehalten, nach denen der Staat fürs Asylverfahren zuständig ist, durch den ein Flüchtling in die EU kommt. Er ist auch für eine Aufwertung der umstrittenen EU-Grenzschutzagentur Frontex und der EU-Asylhilfsorganisation Easo, die man sich eines Tages als EU-Variante des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wünscht – mit ebenso weitreichenden, dann übernationalen Kompetenzen in der Migrationspolitik.

Gutachter zu brav?

Sogar die Verträge mit Drittstaaten in Afrika und Nahost findet der SVR grundsätzlich in Ordnung. Den Vorwurf, er bleibe da allzu „institutionenfromm“ den EU-Vorgaben verhaftet, wies die Erlanger Politologin Petra Bendel, ebenfalls Sachverständigenratsmitglied, zurück. So verwies sie auch auf den Vorschlag einer „konditionierten Freizügigkeit“ für Flüchtlinge, die die europäische Politik deutlich ablehne.

Der SVR fordert auch damit eine Annäherung des Status von Flüchtlingen an den von EU-Bürgern: Sie sollen sich den EU- Staat auswählen können, in dem sie bleiben möchten, falls sie dort eine Möglichkeit haben, sich zu ernähren, etwa wenn sie Arbeit haben – oder jedenfalls keine Sozialleistungen beanspruchen.

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