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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, lässt Gülen-Anhänger in Deutschland verfolgen.

© Reuters

Gülen-Bewegung in Deutschland: Angst vor Erdogans langem Arm

Ankara fordert von Berlin, Gülen-Anhänger auszuliefern. Die deutsche Justiz nimmt die überreichten Listen ernst. Aber anders, als von Erdogan gewollt.

Von Frank Jansen

Der massive Druck der türkischen Regierung schwächt die Gülen-Bewegung offenbar auch in der Bundesrepublik. „Wir sind von 150.000 Aktiven auf 70.000 geschrumpft“, sagte der Anführer des deutschen Zweigs der Bewegung, Ercan Karakoyun, am Dienstag dem Tagesspiegel. „Wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation, wir haben Angst.“ Gülen-Leute bäten darum, nicht mehr auf Websites der Bewegung genannt zu werden. Viele Eltern würden zudem ihre Kinder aus den Nachhilfe-Einrichtungen der Bewegung herausnehmen. Von mehr als 150 Einrichtungen seien noch 100 übrig, sagte Karakoyun. Er leitet von Berlin aus die „Stiftung Dialog und Bildung“, die als Sprachrohr der deutschen Gülen-Filiale gilt.

Das Erdogan-Regime verfolgt die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen schon seit Jahren und macht sie für den gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 verantwortlich. In staatlichen Institutionen wurden mehr als 100.000 mutmaßliche Gülen-Leute und weitere Erdogan-Gegner entlassen, mehr als 40.000 kamen in Haft. Die deutschen Sicherheitsbehörden bezweifeln jedoch, dass Gülen und sein Anhang den versuchten Staatsstreich initiierten. Trotzdem drängt Ankara darauf, die Bewegung müsse auch in der Bundesrepublik verfolgt werden.

Die türkische Regierung ärgert nicht nur, dass die Anhänger Gülens in Deutschland unbehindert aktiv sein können. Die Bundesrepublik ist offenbar auch ein bevorzugtes Fluchtziel. 3000 bis 4000 Gülen-Leute seien in den vergangenen anderthalb Jahren von der Türkei in die Bundesrepublik geflohen, sagte Karakoyun. Ob die Zahl stimmt, lässt sich kaum prüfen. Angesichts der Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge könnten Karakoyuns Angaben aber plausibel sein. Laut BAMF haben von Januar 2016 bis Mai 2017 mehr als 8400 Türken einen Antrag auf Asyl gestellt. Die „Asylantragsgründe“ werden aber nicht statistisch erfasst.

Spionageverdacht

Aus Sicht der türkischen Regierung haben die geflohenen Gülen-Leute kein Asyl verdient. Die Bewegung des Predigers gilt in Ankara als terroristische Vereinigung. Entsprechend groß ist der Verfolgungseifer. Die türkischen Behörden haben der Bundesrepublik nach Informationen des Tagesspiegels bereits fünf Listen mit Namen von mehreren hundert Personen und Organisationen übergeben, die Gülen zugerechnet werden. Die Unterlagen seien allerdings in Teilen ein wirres Sammelsurium, heißt es in Sicherheitskreisen. Die deutschen Behörden nehmen die Listen dennoch ernst. Aber anders, als von den Türken gewünscht.

Die Unterlagen würden immer unter den Gesichtspunkten geprüft, ob sich ein Spionagevorwurf gegen die Türkei ergebe, ob die Vorwürfe der Türkei gerechtfertigt seien und ob sich eine potenzielle Gefährdung der gelisteten Personen ergebe, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Das Ergebnis: bislang hatte kein Vorwurf der Türken gegen einen Gülen-Anhänger genügend Substanz für Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden. Vielmehr warnten sie mit „Gefährdetenansprachen“ mehrere hundert Gülen-Leute vor der von Ankara gesteuerten Schnüffelei. Allein in Berlin kontaktierte die Polizei 77 Personen.

Bekannt ist zudem, dass die Bundesanwaltschaft, offenbar unabhängig von der Affäre um die Listen, gegen vier türkische Imame ermittelt. Die Geistlichen der Ditib, dem Dachverband der mehr als 930 türkischen Moscheen in Deutschland, stehen im Verdacht der „geheimdienstlichen Agententätigkeit“. Sie sollen Gläubige bespitzelt haben, die der Gülen-Bewegung angehören. Anhänger des Predigers trauen sich nun nicht mehr in die Gotteshäuser. „Wir meiden sogar die Ditib-Moscheen, die wir mit aufgebaut haben“, sagte Karakoyun.

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