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Deutschland bietet heute Schutzsuchenden bessere Startbedingungen als 2015.

© IMAGO/Stefan Trappe

Grundsicherung für Ukraine-Flüchtlinge: Deutschland hat aus 2015 gelernt – und traut sich was

Anders als 2015 bekommen die Schutzsuchenden Grundsicherung und dürfen gleich arbeiten. Ein interessantes Experiment mit Lehren für die Zukunft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Die Bilder der Berliner, die die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine am Hauptbahnhof empfingen, waren bewegend. Die Hilfsbereitschaft ist beeindruckend – und erinnert an die offenen Arme, mit denen viele Deutsche schon 2015 Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Irak oder Afghanistan empfangen haben.

Einerseits ähneln sich die Bilder also. Und doch ist bei der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine vieles anders. Vor allem was den großzügigeren staatlichen Umgang angeht.

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2022 dürfen die Menschen ohne individuelle Prüfung mindestens zwei Jahre in der EU bleiben. Sie dürfen sich frei bewegen. Sie müssen in Deutschland kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen, das ihnen jede Arbeitsaufnahme untersagt.

Im Gegenteil: Beim Bund-Länder-Gipfel im Kanzleramt war man sich am Donnerstagabend einig, dass die jetzigen Flüchtlinge Grundsicherung erhalten (die der Bund bezahlt) und damit neben anderen Vorteilen sofort das Arbeitsamt als Ansprechpartner haben und dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen.

Komplementär dazu hat jetzt die EU-Kommission eine vereinfachte Anerkennung akademischer und beruflicher Qualifikationen empfohlen. „Das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Aspekt des vorübergehenden Schutzes“, ist der für EU-Integration zuständige Kommissar Thierry Breton heute überzeugt. Recht hat er.

Man vertraut den Flüchtlingen mehr und traut ihnen mehr zu

Denn damit haben die Neuankömmlinge genau das, was die Flüchtlinge von 2015 nicht hatten: die Möglichkeit, rasch eigenständig zu werden. Man wird sehr bald sehen, wie dieses andere Migrationsmanagement wirkt: Was passiert, wenn man Ankommenden mehr Rechte, Bewegungsfreiheit und Arbeitsmöglichkeiten zugesteht? Wenn man ihnen mehr vertraut und zutraut? Die Erkenntnisse könnten sich als Lehrstück zur Frage des richtigen Umgangs mit Migranten erweisen.

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Einige kritische Stimmen, gerade aus der Community der aus Syrien Geflohenen, nennen die besseren Startbedingungen, die die Menschen aus der Ukraine nun erhalten, ungerecht. Dass sie das so sehen, ist nachvollziehbar. Es als Überschrift dafür „Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge“ zu nehmen, und Rassismus zu wittern, kann dennoch falsch sein.

Denn ganz sicher spielen bei der persönlichen Betroffenheit in der Bevölkerung die geographische Nähe zur Ukraine, die gemeinsame Geschichte und der Schock über den brutalen Angriff des bisherigen Wirtschaftspartners Russland eine Rolle.

EU und Regierung haben schon aus 2015 gelernt

Zugleich darf der unterschiedliche staatliche Umgang mit den Flüchtlingen 2015 und heute bereits selbst als Ergebnis eines Lernprozesses gelten: Heute werden die Arme weit geöffnet, damals bemühten sich EU und nationale Regierungen, den Zustrom zu bremsen, den Aufenthalt unattraktiv zu gestalten.

Die Frage ist doch: Warum so viele Kräfte sowohl auf Seiten der deutschen Behörden und als auch bei den Kriegsflüchtlingen für individuelle Aufenthaltsverfahren binden, statt in weitere, konstruktive Schritte des Aufenthalts zu investieren? Hier haben sich die hartnäckigen Kämpfe von syrischen und anderen Geflüchteten und ihrer Unterstützer vielleicht gelohnt.

Deutschland traut sich etwas. Und die Regierenden sehen möglicherweise, dass dieser Ansatz der gesamten Gesellschaft zugutekommen könnte. Gut so: Denn die Ukraine-Flüchtlinge werden nicht die letzten sein, die kommen.

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