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Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

© Christoph Schmidt/dpa

Exklusiv

"Grundgesetzänderung zu Lasten der Länder": Kretschmann und Laschet wollen Widerstand organisieren

Den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen geht die geplante Verfassungsreform im Bereich Bildung, Wohnungsbau und Verkehr zu weit.

Der Konflikt um die von der Bundesregierung geplanten Grundgesetzänderungen in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau und Verkehrsfinanzierung spitzt sich immer mehr zu. Nachdem die Beschlussfassung im Bundestag bereits verschoben werden musste, weil die schwarz-rote Koalition keine Zweidrittelmehrheit hat und nun mit FDP und Grünen über weitergehende Änderungen verhandeln muss, deutet sich jetzt im Bundesrat verstärkter Widerstand an. Einigen Ministerpräsidenten, voran Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) und Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen), gehen die Berliner Pläne erheblich zu weit. Sie fürchten eine Schieflage im Bund-Länder-Verhältnis zu ihren Lasten, sollte die Verfassungsänderung so kommen, wie sie im Bundestag derzeit anvisiert wird.

Der Grüne aus dem Süden und der CDU-Mann aus dem Westen wollen daher auf der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten, die an diesem Mittwoch in Hamburg beginnt, für ihren völlig anderen Weg werben. Er läuft darauf hinaus, den Bund aus der Finanzierung von Investitionen in die Schulinfrastruktur und den digitalisierten Unterricht, den Wohnungsbau und den Nahverkehr wieder hinauszudrängen und Länder und Kommunen (die nach dem Grundgesetz zuständig sind) über eine veränderte Steuerverteilung finanziell in die Lage zu versetzen, die Herausforderungen selber anzunehmen. Der Grund dafür ist vor allem, dass der Bund schon bei der Grundgesetzänderung im vorigen Jahr in diesen Bereichen den Ländern erhebliche Kontroll- und Steuerungsrechte abgezwungen hat und diese mit der neuen Verfassungsänderung noch verstärken möchte.

Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

In einem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, fordern Laschet und Kretschmann eine Ersetzung der Programmmittel des Bundes durch einen höheren Anteil am Steuerkuchen. Sie sprechen von einem „Missverhältnis zwischen Aufgabenverantwortung und finanzieller Ausstattung der Länder und Kommunen“, das der Bund ihrer Ansicht nach ausnutzt. Mit der Grundgesetzänderung erkennt er laut Kretschmann und Laschet jedoch an, dass es dieses Missverhältnis gibt. Übersetzt heißt das: Da der Bund seit Jahren Überschüsse macht, die er aber auf seinen eigenen Aufgabenfeldern nicht vollständig ausgeben kann oder will, mischt er sich bei Ländern und Kommunen ein und verbindet seine Programme und Unterstützungszahlungen (die in der Regel befristet sind) mit Lenkungs- und Kontrollansprüchen. Dem steht freilich entgegen, dass in einigen schon laufenden Programmen – insbesondere den beiden Milliarden-Töpfen zur Kommunalfinanzierung – der Mittelabfluss unbefriedigend ist.

Kretschmann und Laschet beklagen in ihrem Papier „hohe Aufwände für Ausverhandlungsprozesse“, was immer mehr „Gipfeltreffen“ der Verantwortlichen von Bund und Ländern nötig mache, deren Ergebnisse „überschaubar“ und der Öffentlichkeit „bisweilen kaum noch zu vermitteln“ seien. Die „unverhältnismäßigen“ Steuerungs- und Kontrollrechte führten zu einer „Fachaufsicht des Bundes“ auf Feldern, in denen er gar nicht zuständig sei. Befürchtet wird ein „überbordendes Monitoring- und Berichtswesen“. Länder und Kommunen würden auf eine „bloße Vollzugstätigkeit“ beschränkt. All das sei „verfassungsrechtlich hochgradig riskant“, geben Kretschmann und Laschet ihren Kollegen zu bedenken. Es drohten „Entscheidungsblockaden“, die „Abhängigkeit der Länder vom Bund wird immer stärker“. Die Forderung der beiden „Landesfürsten“ lautet daher: Statt eines „Flickenteppichs an Programmmitteln“ aus dem Bundesetat solle eine „zuständigkeitskonforme Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ vereinbart werden. Wie sie der Artikel 106 im Grundgesetz vorgebe.

Die Erfolgsaussichten des Vorstoßes sind unklar. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben zusammen zwölf Stimmen im Bundesrat. Für eine Grundgesetzänderung sind in der Länderkammer 46 der 69 Stimmen nötig. Die Sperrminorität liegt damit bei 24 Stimmen. Mit Bayern (sechs Stimmen) und Hessen (fünf Stimmen), zwei weiteren starken Ländern, die gern ihre Autonomie betonen, wäre sie noch nicht erreicht. Es müssten sich ein oder zwei kleinere Länder der Fronde anschließen. Sachsen, heißt es, will sich dem Vorstoß anschließen. Freilich sind die Verantwortlichen in München und Wiesbaden in den kommenden Wochen durch die Koalitions- und Regierungsbildung nach den Wahlen gebunden. Das könnte die Bundesseite auszunutzen versuchen. Andererseits gibt es auch ungeschriebene Regeln im Verfassungsleben der Republik. Und eine davon lautet, dass man die starken Länder nicht einfach übergeht.

Unter die Räder kommt in dem Konflikt der schon vor zwei Jahren vereinbarte Digitalpakt für die Schulen. Geld dafür steht bereit, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat es in einer Rücklage geparkt. Doch es ist der Bund selbst, der bisher blockt. Zuerst wurde die Umsetzung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben und dann mit der neuerlichen Grundgesetzänderung verbunden, obwohl Widerstand in den Ländern zu erwarten war. Kretschmann pocht nun darauf, dass der Digitalpakt, wie einst vorgesehen, auch ohne Verfassungsänderung umgesetzt werden könne.

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