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Terry Reintke sitzt für die Grünen im Europaparlament.

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Grünen-Politikerin Terry Reintke: "Eine Frauenquote allein verhindert keinen Sexismus"

Terry Reintke sitzt für die Grünen im Europaparlament. Im Interview berichtet sie über sexuelle Belästigungen, die Zukunft von #MeToo und Sexismus in ihrer Partei.

Frau Reintke, Sie wurden als Teil der #MeToo-Kampagne vom "Time"-Magazin zur "Person of the year" ausgezeichnet. In diesen Tagen ist das Problem sexueller Übergriffe durch den Fall Dieter Wedel wieder aktuell geworden. Haben Sie die Vorwürfe überrascht?

Nein, leider nicht. Wieso sollten die deutsche Filmbranche anders ticken als die in Hollywood. Bei sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung geht es immer um Macht. Wo es keine Schutzmechanismen gibt - wie eben in der Filmbranche - kommt es leider auch immer zu einem Missbrauch von Macht. Wir brauchen deshalb viel mehr neutrale Beschwerdestellen, an die sich Frauen wenden können.

Sie wurden als Teil der #MeToo-Kampagne vom "Time"-Magazin ausgezeichnet. Der Beweis für einen gesellschaftlichen Wandel?

Die Auszeichnung zeigt, dass die patriarchalen Strukturen aufgebrochen werden. In weiten Teilen der Bevölkerung gibt es den Wunsch nach größerer Diversität. #MeToo war eine Bewegung mit hunderttausenden Stimmen und alle wurden gewürdigt. Nicht eine einzelne Person steht im Mittelpunkt, sondern das Kollektiv. Es braucht viele Menschen für einen gesellschaftlichen Wandel, vor allem, wenn man sich gegen machtvolle Kontrahenten durchsetzen muss.

Eine der vielen Stimmen gehörte Ihnen. Im Europaparlament haben Sie von einer sexuellen Belästigung gesprochen, die Ihnen widerfahren ist.

Die Rede habe ich im September gehalten, als wir eine Aussprache zur Istanbul Konvention hatten. Bei dieser Resolution ging es um Verhütung und die Vorbeugung vor häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt. Weil ich selbst im Juli in Duisburg sexuell belästigt worden bin, war das für mich eine Debatte, die mich direkt betrifft. Ich wollte den Abgeordneten die persönliche und gleichzeitig politische Dimension bewusstmachen.

Wie fielen die Reaktionen aus?

Es gab überwiegend positive Rückmeldungen. Mir haben viele Frauen geschrieben, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. In meinem Fall hat die Polizei sehr gut reagiert, aber viele haben das anders wahrgenommen. Polizisten hätten sich über sie lustig gemacht oder nicht gewusst, wie sie reagieren sollen. Wie immer, wenn man über feministische Themen spricht, gibt es aber auch Männer, die das nicht gut fanden.

Stichwort Istanbul-Konvention. Reicht das an politischen Maßnahmen?

Die Verschärfung des deutschen Sexualstrafrechts war ein überfälliger und wichtiger Schritt. In anderen europäischen Ländern sind wir leider noch nicht so weit, deswegen war es so wichtig, dass die Europäische Union als Ganzes der Istanbul Konvention beigetreten ist. Wir fordern weiter eine Richtlinie zu dem Thema, denn es reicht nicht eine Konvention zu ratifizieren. Es müssen entsprechende nationale Gesetze folgen. In Deutschland haben wir Nachholbedarf bei der Ausbildung von Polizisten und in der Justiz. Institutionell brauchen wir mehr Beschwerdestellen sowie Trainings in großen Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung.

Es gab bereits andere Kampagnen gegen Sexismus und sexuelle Gewalt. #Aufschrei, #NeinheißtNein oder #HeforShe – viele sind verpufft. Droht das auch #MeToo?

Es wird jetzt darauf ankommen, was wir daraus machen. Die Debatte darf nicht nach drei Monaten für beendet erklärt werden. Der erste Schritt war, darüber zu sprechen und die Erfahrungen zu teilen. Das ist zentral, aber die richtige Arbeit beginnt jetzt. Wir werden zeigen müssen, wie wir substanziell etwas verändern können. Im Europäischen Parlament hatten wir Fälle, bei den Frauen von sexuellen Belästigungen berichtet haben. Da wird sich zeigen, ob die Personen in den Machtpositionen bereit sind, Schritte zu gehen, um das in Zukunft zu verhindern.

Es waren vor allem Mitarbeiter von Parlamentariern, die sich gemeldet haben.

Das ist nochmal viel krasser, weil es ein offensichtliches Abhängigkeitsverhältnis gibt. Auch Praktikantinnen wurden von Abgeordneten sexuell belästigt. Das ist eine besondere Form des Machtmissbrauchs. Da braucht es sinnvolle Mechanismen, die nicht nur die Opfer schützen, sondern auch Konsequenzen für Täter vorsehen. Das geht im Europäischen Parlament nach wie vor nur sehr langsam voran.

Wie erleben Sie als 30-jährige Abgeordnete Sexismus am Arbeitsplatz?

Direkte sexuelle Belästigung habe ich im Europäischen Parlament noch nicht erfahren, aber sexistische Sprüche und Sticheleien häufig. Für jede Frau in der Politik, gerade für Jüngere, gehört das noch immer zum Alltag. Es wird akzeptiert, dass sexistische Sprüche gemacht werden. Sobald man das kritisiert, gilt man als Spielverderberin oder frigide. Diese Kultur, dass man den Sexismus über sich ergehen lassen muss, um in gewissen Institutionen etwas werden zu können, müssen wir durchbrechen. Das ist am Ende die Aufgabe von Männern. Sie dürfen nicht mehr akzeptieren, dass dumme Sprüche gerissen werden.

Im Europaparlament gibt es einen Frauenanteil von 36 Prozent. Das ist mehr als im Bundestag. Genug?

Im weltweiten Vergleich stehen wir nicht so schlecht da, aber es bleibt ein Problem. In allen mächtigen, politischen Ämtern weltweit haben wir eine Unterrepräsentation von Frauen. In den Top-Positionen in der Wirtschaft sieht es noch viel schlechter aus – sogar im Journalismus gibt es kaum Chefredakteurinnen. In allen Schaltstellen, wo gesellschaftliche Macht präsent ist, sitzen mehr Männer als Frauen. Wenn wir eine Gesellschaft hätten, mit gleichen Möglichkeiten für Frauen und Männer, gäbe es auch kein Problem mehr mit abwertendem Sexismus. Bei sexueller Belästigung geht es ja nicht um Sex, sondern um eine Machtdemonstration.

In Ihrer Partei gibt es einen Frauenproporz. Erleben Sie bei den Grünen deshalb weniger Sexismus?

Nur weil man eine Frauenquote hat, heißt das nicht, dass es keinen Sexismus mehr gibt. So einfach ist es nicht. Mit einer Quote beginnt die Arbeit der Frauenförderung erst. Die Quote ist ein richtiger Schritt, aber sie macht den Job nicht für uns. Erstrebenswert wäre es doch, dass wir keine Frauenquoten mehr brauchen, um Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Aber davon sind wir leider auch bei den Grünen noch weit entfernt.

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