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Will an die Spitze: Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther kandidiert für den Fraktionsvorsitz

© Kai-Uwe Heinrich/Tsp

Grünen-Politikerin Kappert-Gonther: „Ich werde nicht die Hausfrau sein, während der Mann arbeiten geht“

Kirsten Kappert-Gonther will mit Cem Özdemir an die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion. Von dort will sie die Groko „mit mehr Schwung“ konfrontieren.

Frau Kappert-Gonther, Sie kandidieren gemeinsam mit Cem Özdemir für den Vorsitz der Grünen-Bundestagsfraktion. Haben Sie ihn gefragt – oder er Sie?
Mein Mann und ich fragen uns manchmal, wer eigentlich wem den Heiratsantrag gemacht hat. Wir wissen es nicht. Irgendwann war einfach klar, dass wir heiraten. So ähnlich muss man sich das auch bei Cem Özdemir und mir vorstellen. Die Grünen sind vielfältig, so wie wir. Ich habe meine Entscheidung eigenverantwortlich getroffen. Aber gleichzeitig war klar, dass Cem eine Kandidatur anstrebt. Uns war wichtig, vorher zu klären, ob das mit uns als Team funktioniert, statt später herauszufinden, dass wir nicht zusammenarbeiten können. Wir haben festgestellt, dass es passt.

Sie sind erst seit zwei Jahren im Bundestag und öffentlich kaum bekannt. Warum greifen Sie jetzt schon nach einem der höchsten Ämter, die die Grünen derzeit zu vergeben haben?
Würden Sie die Frage auch einem Mann stellen? Männer überschätzen sich häufiger, Frauen unterschätzen sich oft. Und wenn eine Frau nicht schon Ewigkeiten irgendwo mitgemischt hat, wird ihr oft nahegelegt, dass eine Führungsposition keine gute Idee sei. Ich habe eine lange Geschichte in der grünen Partei, war unter anderem stellvertretende Fraktionschefin im Bremer Landtag. Als Ärztin habe ich in Leitungsverantwortung gearbeitet. Es ist mir ein Anliegen, dass unsere Fraktion bei dieser Wahl eine echte Auswahl hat.

Was wollen Sie besser machen als die jetzige Fraktionsführung?
An uns Grüne richten sich im Moment hohe Erwartungen, denen wir als kleinste Oppositionsfraktion begegnen müssen. Die Herausforderungen sind so groß, dass wir die ganze Stärke der Fraktion brauchen. Es ist notwendig, die große Koalition mit mehr Schwung zu konfrontieren. Außerdem brauchen wir eine andere Ansprache, um mit unseren Vorstellungen offensiver nach draußen zu gehen.

Was heißt das konkret?
Wir müssen eine Sprache finden, die den Menschen vermittelt, dass es direkt um sie geht. Wenn wir in der Gesundheitspolitik über eine bessere Versorgungsinfrastruktur reden, klingt das zuerst abstrakt. Darum will ich vermitteln, dass es alle elementar betrifft, ob sie an ihrem Wohnort noch einen Hausarzt, eine Kinderärztin oder eine Hebamme finden. Und wenn wir die Klimakrise eindämmen wollen, hat das Konsequenzen im Alltag: Wir müssen unsere Städte anders bauen. Das ist nicht nur mit Veränderungen verbunden, sondern auch mit Vorteilen. Ich bin für autofreie Innenstädte. Denn das nützt nicht nur dem Klima, sondern setzt ein Signal: Wir bauen unsere Städte für Menschen und nicht für Autos.

Ist es eigentlich ein Problem, dass den Grünen das Image der Verbotspartei anhaftet?
Als wir in Bremen entschieden haben, dass es in Kitas und Schulen nicht mehr jeden Tag Fleisch gibt und wenn, dann bio, hatten manche, gerade bei uns Grünen, Angst, dass das der nächste „Veggie Day“ wird. Aber gesunde Ernährung, die Klimakrise und die Folgen der Massentierhaltung sind stärker im Fokus denn je. Viele finden es gut, dass der Staat Verantwortung übernimmt und Kinder gutes Essen bekommen. Manchmal machen Verbote Sinn, manchmal auch deren Abschaffung. Ich bin beispielsweise für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis, damit Menschen nicht auf den Schwarzmarkt abgedrängt werden und verunreinigtes Cannabis konsumieren. Ich habe keine Angst vor einer Verbotsdebatte. Man muss nur gute Argumente haben.

Was hat Sie politisch geprägt?
Angefangen habe ich als Jugendliche in der Friedens- und der Anti-Akw-Bewegung. Deswegen kam es manchmal zu Hause zu Konflikten. Ich habe eine für das Abitur relevante Klausur verpasst, weil ich lieber zur Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten gefahren bin. Während meines Medizinstudiums habe ich mich in der Studierendenvertretung für feministische Themen eingesetzt. Mit wachsender Lebenserfahrung nehme ich inzwischen genauer wahr, wo Sexismus überall eine Rolle spielt. Wenn ich bei einer Podiumsdiskussion eine Antwort gebe und später drei Männer nach mir das Gleiche sagen, bezieht sich der Moderator gern auf die Männer.

Befürchten Sie nicht, dass Ihnen in einer möglichen Doppelspitze mit Cem Özdemir etwas Ähnliches passiert?
Nein, ganz und gar nicht. Natürlich ist Cem Özdemir derzeit viel bekannter. Ich bin das neue Gesicht, und ich bringe Erfahrungen nicht nur aus der Berufspolitik mit. Das wissen viele zu schätzen. Ich werde ganz sicher nicht die Hausfrau sein, während der Mann arbeiten geht – nach außen und nach innen wirken, das geht am besten gemeinsam.

Özdemirs Kritiker werfen ihm vor, er habe in seiner Zeit als Grünen-Vorsitzender zu Egotrips geneigt. Ist er teamfähig?
Ja, sonst hätte ich mich nicht mit ihm zusammen beworben. Cem hat es nach seiner Zeit als Parteivorsitzender geschafft, nicht nachzutreten und als Vorsitzender des Verkehrsausschusses innerhalb der Fraktion konstruktiv und kompetent Fachpolitik zu gestalten. Wenn er im Bundestag spricht, sind das sehr starke Reden. Aber danach setzt er sich im Plenum dorthin, wo wir alle sitzen. Cem ist definitiv kein Einzelkämpfer.

Aber ist es jetzt nicht mit der Geschlossenheit vorbei, von der die Grünen in den letzten Monaten profitiert haben?
Die Wahl zu haben, ist normal für eine demokratische Partei. Ich glaube deshalb nicht, dass wir geschwächt oder zerstritten daraus hervorgehen. Verschiedene Positionen anzuerkennen und damit umzugehen fördert die Geschlossenheit. Sich Konflikten zu stellen, zeigt Stärke.

Cem Özdemir kommt aus Baden-Württemberg und gilt als Befürworter von Schwarz-Grün. Sie haben in Bremen gerade die erste rot-grün-rote Koalition im Westen verhandelt. Wäre mit Ihnen als Fraktionschefin auch eine schwarz-grüne Koalition im Bund machbar?
Ich gehöre zu den Grünen, die wegen ihres inhaltlichen Profils eine größere Nähe zur SPD und zu Teilen der Linkspartei haben. In der Sozialpolitik, beim Feminismus und insbesondere den reproduktiven Rechten von Frauen gibt es größere Schnittmengen mit diesen beiden Parteien als mit Union und FDP.

Also lieber kein Schwarz-Grün?
Ich schließe kein demokratisches Bündnis aus. Da bin ich einer Auffassung mit Cem: Entscheidend ist, dass wir Grüne bei der nächsten Bundestagswahl so stark sind, dass wir unsere Konzepte auch umsetzen können und Regierungsverantwortung tragen oder das zumindest ernsthaft sondieren.

Und was hielten Sie von Rot-Rot-Grün im Bund?
Es ist viel zu früh, über Koalitionen zu spekulieren. Konflikte würde es in jedem Bündnis geben. Zu Teilen der Linkspartei sehe ich große Differenzen, zum Beispiel in der Haltung zu Israel. Übrigens kann von Rot-Rot-Grün angesichts der Umfragen keine Rede mehr sein. Wir können gern künftig über Grün-Rot-Rot reden.

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