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Ein Solarpark.

© IMAGO/alimdi

Grüne Transformation jetzt!: Wir müssen investieren, auch wenn ein Teil des Geldes verloren geht

Wenn es um Klima-Innovationen geht, brauchen wir dieselbe öffentliche Risikobereitschaft, die im Fall Biontech da war - und sich auszahlte. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Werner Hoyer

- Werner Hoyer ist Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.

Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat deutlich wie nie gezeigt, dass Europa zu abhängig von anderen Regionen geworden ist – sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Zu lange haben wir ignoriert, welche strategischen Lücken sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgetan haben. Europa hätte besser vorbereitet sein können.

Diese Versäumnisse kommen uns nun teuer zu stehen. Energie ist über Nacht sehr teuer geworden, die Inflation steigt. Gleichzeitig treiben die Kosten für die militärische Unterstützung der Ukraine und die Steigerung der Verteidigungsfähigkeit der Nato die Militärausgaben in lange nicht gekannte Höhen. Angesichts steigender Staatsverschuldung wächst in Deutschland und den anderen Staaten Nordeuropas der Drang, Staatsausgaben zu begrenzen.

Dieser Text erscheint im Rahmen der Reihe Global Challenges. Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Regelmäßige Autoren und Autorinnen neben Werner Hoyer sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Jürgen Trittin, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Früher hieß sparen meist, Investitionen stark zurückzufahren. Doch jetzt in eine Schockstarre zu verfallen, wäre ein großer Fehler. Europa muss möglichst schnell unabhängig von russischen Energielieferungen werden. Denn niemand weiß, ob Moskau im Verlauf des Kriegs den Gashahn nur gegenüber Polen und Bulgarien schließen wird.

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Derzeit besteht wieder die Gefahr, dass wir Investitionen in die langfristige Energiesicherheit, den Klimaschutz und die globale Entwicklung zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Unsere strategischen Lücken können wir aber nur schließen, wenn wir massiv investieren. Das muss in Zeiten der Energiekrise zuerst heißen: Geld in den Bau grüner Energie-Infrastruktur zu lenken, also in den Ausbau von Solar- und Windenergie, in Stromnetze, in Speicher und LNG-Terminals, die später auch für grünen Wasserstoff nutzbar sind.

Bauen in "Tesla-Time"

Bei alldem geht es um radikale Verfahrensbeschleunigung und Prozessoptimierung: Bauen in „Tesla-Time“, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Blick auf die rekordschnell errichtete Autofabrik am Rande Berlins sagte. Zum Glück ist Deutschland dabei nicht auf uns alleine gestellt: Die gesamte EU steht vor ähnlichen Herausforderungen. Daher sollte nicht jeder EU-Staat alleine handeln. Vereint ist die EU gegenüber Lieferanten eine viel stärkere Einkaufsmacht.

Zudem profitierten alle von einer größeren Konnektivität der Stromnetze, um etwa Windstrom bei regionalen Flauten importieren zu können. Massiv sollten die Europäer auch in Energie-Effizienz investieren. Das verringert nicht nur die Abhängigkeit von Importen, es hilft gleichzeitig auch dem Klimaschutz. Dabei würde es sich anbieten, Zuschüsse für die meist teuren Anschubinvestitionen und Kredite über lange Laufzeiten geschickt zu kombinieren. Förderbanken wie die Europäische Investitionsbank verfügen hier über langjährige Erfahrungen.

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Verheerende Auswirkungen der Klimakrise können nur vermieden werden, wenn die Dekarbonisierung bis 2030 in großen Schritten vorankommt. Gelingt das nicht, werden tödliche Fluten wie im im Ahrtal keine Ausnahmen bleiben. Verschleppte Investitionen in den grünen Umbau dürften sich als teures Versäumnis erweisen. Ohne riesige Mengen grünen Wasserstoffs wird die Klimawende nicht gelingen.

Für eine energieeffizientere Wasserstoff-Herstellung braucht es eine Kombination von privaten und staatlichen Innovationen, damit die Kosten sinken. Zum Glück sind die Voraussetzungen für grüne Sprunginnovationen in Europa sogar sehr gut. Bei Technologien, die Klimaschutz und Digitalisierung verknüpfen, ist Europa führend: Hier gibt es 50 Prozent mehr Patente für grüne Technologien als in den USA. Wir müssen gerade jetzt den Mut aufbringen, richtig viel Geld in die Hand zu nehmen – und akzeptieren, dass ein Teil davon verloren gehen kann.

Handeln wie im Fall Biontech ist angesagt

Rückblickend betrachtet: Nicht jede Investition in neue Impfstoffe zu Beginn der Pandemie führte zum Erfolg. Trotzdem haben unsere frühen Investitionen in das Unternehmen Biontech gezeigt, dass es richtig war, die Unsicherheit über die Erfolgschancen unterschiedlicher Technologien nicht zum Investitionshemmnis zu machen. Das gleiche muss heute gelten, wenn es darum geht, in Klima-Innovationen zu investieren.

Was der Artikel nicht beleuchtet ist, dass weltweit eine ganz andere, sparsamere Lebensart angesagt wäre, die sich nur noch am minimal notwendigen und nicht am maximal möglichen Konsum aller orientiert.

schreibt NutzerIn paulauster

Dabei sollte der Fokus viel stärker als in der Vergangenheit auf der geschickten Kombination von öffentlichen und privaten Investitionen liegen. Beim klimagerechten Umbau des Energiesektors, ja der gesamten Wirtschaft, werden neue lukrative Geschäftsmodelle entstehen. Hier ist staatliche Hilfe zwar notwendig, der Privatsektor darf aber nicht alle Investitionsrisiken auf die Steuerzahler abwälzen.

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Produktives, innovatives und nachhaltiges Wachstum saniert am Ende auch die Staatshaushalte am besten, wie Deutschland in der Hochkonjunktur vor der Pandemie gezeigt hat. Auch Unternehmen tun sich keinen Gefallen, wenn sie aus Unsicherheit über die globalen Folgen des Ukrainekriegs Investitionen hinauszögern – und Konkurrenten einen Innovationsvorsprung ermöglichen. Im Gegenteil: Wenn wir die strategische Autonomie der EU endlich ernst nehmen und unsere Werte bewahren wollen, müssen wir anders als bisher in grundlegende Fähigkeiten und Infrastrukturen investieren.

Die privaten Forschungsinvestitionen sind vergleichsweise niedrig

Auf die EU entfallen heute fast 20 Prozent der globalen Forschungs-, Entwicklungs- und Patentierungsaktivitäten, sie liegt jedoch bei privaten Forschungsinvestitionen hinter Ländern wie Australien, Kanada, Japan, Südkorea und den USA zurück. Die Fähigkeiten der EU in den modernen Querschnittstechnologien Künstliche Intelligenz, Big Data und Robotik sind zwar mit denen Japans vergleichbar, nicht aber mit den führenden Ländern USA und China. Gleiches gilt bei der Quantentechnologie. Auch hier bietet die aktuelle Krise die Chance, endlich zu handeln.

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Die Aufgaben, vor die Krieg, Pandemie und Klimawandel uns stellen, sind weltumspannend. Umso mehr muss Europa zusammenstehen. Putins Angriff auf die Ukraine, der ein Angriff auf Europas freiheitliche Werte ist, hat zum Glück ein Zusammenrücken des Westens bewirkt. Die Energiepreiskrise kann Europa aber schnell vor neue Zerreißproben stellen: Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben jüngst gezeigt, wie sehr populistische Kräfte die Krise im Wahlkampf nutzen können.

Je stärker die EU-Staaten jetzt gemeinsam in nachhaltige Infrastruktur, grüne Energien und digitale Innovationen investieren, desto besser werden sie sich im globalen Wettbewerb behaupten. Strategische Autonomie darf allerdings nicht verwechselt werden mit dem Streben nach Autarkie und Abschottung. Ohne enge Kooperation mit Regionen wie Afrika, etwa beim Aufbau industrieller Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff, wird Europas Energiewende nicht gelingen. In der Systemkonkurrenz zwischen Autokratien und Demokratien darf Europa seinen Anspruch nicht aufgeben, die Menschen in möglichst vielen Ländern vom Wert der Freiheit zu überzeugen. Wir dürfen Autokraten und Kriegstreibern wie Putin keinen Raum lassen, nirgendwo. Europa muss jetzt mutig handeln – gemeinsam, vorausschauend und global.

Werner Hoyer

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