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Es werde Licht! Mancher hofft, dass Amerika wieder zu einem moralischen Vorbild wird.

© imago images/YAY Images

Großes Kino unter Joe Biden: Die USA können wieder zum Sehnsuchtsort werden

Die USA waren in den vergangenen Jahren kein moralisches Vorbild mehr – sie können es wieder werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Die vergangenen Jahre haben dem Ansehen der USA in vielerlei Hinsicht schwer geschadet, und ganz besonders in einer: mit Blick auf ihre kulturelle Attraktivität. Vier chaotische Trump-Jahre, die in einem Sturm auf die Demokratie endeten, haben den „Amerikanischen Traum“ erschüttert. Dieses Amerika taugte nicht mehr als Sehnsuchtsort, war kein moralisches Vorbild mehr.

Zu beobachten war diese schwindende Anziehungskraft nicht nur auf höchsten politischen Ebenen, wo das „America First“-Washington nicht mehr als verlässlicher Partner eingestuft wurde und stattdessen andere Allianzen geschlossen wurden – zum Beispiel Handelsabkommen mit China. Sondern etwa auch in der Tatsache, dass europäische Schüler öfter den freundlichen Nachbarn Kanada als Ziel ihres transatlantischen Auslandsjahrs wählten.

Aber manchmal ist es so, dass man etwas erst so richtig zu schätzen weiß, wenn es in Gefahr ist. Beziehungsweise, wenn diese Gefahr heldenhaft überwunden wird. Daraus wird dann im besten Fall eine kraftvolle Erzählung. Und wenn die Vereinigten Staaten eines können, dann das: großes Kino.

Die Idee vom „guten Amerika“

Zu einem Held wurde der Polizist Eugene Goodman, der am 6. Januar im Kapitol ganz allein Angreifer weg vom Plenarsaal lotste, in dem sich noch viele Senatoren befanden. Als heroisch wurde aber auch empfunden, dass die Kongressmitglieder noch am Abend zurückkehrten und ihre Aufgabe zu Ende brachten, Joe Bidens Wahlsieg zu besiegeln.

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Mit den Worten „Die Demokratie hat gesiegt“ hat Biden dies bei seiner Amtseinführung zwei Wochen später gewürdigt und die Welt gebeten, die Idee vom „guten Amerika“ nicht aufzugeben. Gleichzeitig machte er aber auch eine klare Ansage: „Wir werden nicht durch eine Demonstration unserer Macht führen, sondern durch die Kraft unseres Beispiels.“

Neue Maßstäbe auch im Kabinett

Dass der 78-Jährige es selbst bis ins Weiße Haus geschafft hat, obwohl er als Kind stotterte – auch das kann als Beispiel dienen, was in diesem Land möglich ist. Genauso wie die 22-jährige schwarze Lyrikerin Amanda Gorman, die sich direkt nach seiner Vereidigung in die Herzen der Zuschauer dichtete – auch sie überwand einen Sprachfehler in der Kindheit.

Wenn die Ameriker eines können, dann: großes Kino. Das Feuerwerk zur Amtseinführung von US-Präsident Biden.
Wenn die Ameriker eines können, dann: großes Kino. Das Feuerwerk zur Amtseinführung von US-Präsident Biden.

© Shafkat Anowar/AP/dpa

Bei Bidens Amtseinführung war ein ganz anderes Amerika zu besichtigen, als jenes, das Trump vermittelte: divers und fröhlich-selbstbewusst. Auch das entstehende Kabinett repräsentiert die USA in ihrer Verschiedenheit viel stärker, als es vergangene Regierungsmannschaften je getan haben. Das setzt Maßstäbe.

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Klar, noch sind dies nur erste Weichenstellungen dafür, dass die Vereinigten Staaten wieder mehr als nur eine militärische „Superpower“ sein können. Viel Vertrauen ist zerstört worden. Die Rolle als moralische Führungsmacht muss sich Amerika erst wieder verdienen, heißt es.

Europa muss reagieren

Zurecht fragen viele: Wie will ein Land, dessen eigene Regierung gerade erst vor aller Augen versuchte, den demokratischen Prozess gewaltsam auszuhebeln, Vorbild für andere sein?

Dennoch: Die USA sind zu groß und zu einflussreich, als dass ihr Verhalten folgenlos bleiben könnte. Es war zudem immer so: Ob sie sich raushalten oder einmischen, beides hat Konsequenzen.

Wenn sie, etwa im Fall von Menschenrechtsverletzungen in Russland oder China, jetzt den Druck auf die westlichen Partner verstärken, ihrem Beispiel zu folgen, hilft ein Verweis auf die Fehler der Vorgängerregierung nicht weiter. Der Führungsanspruch ist formuliert, er ist attraktiv – und auch Europa wird darauf reagieren müssen.

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