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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt nach der Koalitionseinigung in den Fraktionssaal im Bundestag.

© Britta Pedersen/dpa

Große Koalition: Merkel und die traurige Wirklichkeit

Man kann die Schwäche dieser Kanzlerin beklagen. Aber die CDU-Vorsitzende ist die Einzige, die in dieser Situation eine stabile Regierung zuwege bringen kann. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Einen „Aufbruch für Deutschland“ hat Angela Merkel versprochen. Das ist jetzt zwei Wochen her und seit kurzem weiß jeder: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD ist kein großer Wurf, im nächsten Kabinett sind lauter müde Gesichter und die CDU-Chefin ist so schwach, dass sie ihrer Partei bei der Verteilung der Ministerien keine Demütigung ersparen konnte, um am Ende wenigstens das Kanzleramt zu retten. Aufbruch für Deutschland? Versprochen – gebrochen?

Die Bundestagswahl liegt gerade drei Monate zurück, und doch scheinen die Lehren daraus schon vergessen zu sein. Wochenlang warten gesetzlich Versicherte auf Arzttermine. Wer Eltern in Pflege geben muss, bangt um deren menschenwürdige Behandlung. Überforderte Lehrer, lausige Internetverbindungen, zu wenig bezahlbare Wohnungen in den Städten, unterbesetzte Polizeistationen, verarmende Rentner und Alleinerziehende und zahllose andere Probleme bedrücken die Leute. Von ihrer Angst mal abgesehen, vom Schnellzug der Digitalisierung und Globalisierung überrollt zu werden.

Millionen Menschen haben im September ihr Kreuz bei rechten Populisten gesetzt. Sehnten sie, sehnte sich die Mehrheit wirklich nach einem Aufbruch? Weder der Wunsch nach einer linken noch einer ökologischen Zeitenwende und auch keiner nach dem Geschmack von Christian Lindner ließ sich aus dem Wahlergebnis ablesen. „Kümmert euch!“, so banal war die Botschaft an die Parteien. Mit tiefer Sehnsucht nach einer gesellschaftlichen Marsmission hat das wenig zu tun.

Milliardeninvestitionen nicht vergessen

Und kümmert sich dieser Vertrag? Durchaus. Milliardeninvestitionen in Infrastruktur, Bildung und Wohnungsbau, Entlastungen für Familien, mehr Pflegekräfte stehen drin. Und ja, auch Kommissionen und Prüfaufträge. Zugegeben: Kraftvoll und dynamisch klingt das erst mal nicht. Doch zum einen lehrt die Geschichte, dass Regierungen ihren Wert beim Regieren beweisen. Und zum anderen sind schwungvoll nach Aufbruch klingende Koalitionsverträge ohnehin eher selten. Nicht zu vergessen, dass die CDU auch in einer Jamaika-Koalition weder Finanz- noch Außenministerium besetzt hätte und Olaf Scholz nicht fürs haushalts- und europapolitische Irrlichtern bekannt ist. Deutschlands Nachbarn jedenfalls waren erleichtert, als die drei Parteichefs ihr Werk gestern vorlegten.

Die Zeiten, das wird man nicht leugnen können, sind nun mal weder kraftvoll noch dynamisch. Denn zur traurigen Wahrheit gehört: Alle drei Groko-Parteien sind verunsichert und zugleich verstrickt in die Probleme, die Führungs- und Richtungswechsel nun mal mit sich bringen. Und im Hintergrund droht ein mittleres Desaster, schließlich ist die Gefahr noch nicht gebannt, dass die Basisgenossen die Daumen senken und der Bundespräsident am Ende doch zur Neuwahl rufen muss. Mit allen chaotischen Folgen für das Land selbst und auch für Europa. Man kann die Schwäche dieser Kanzlerin in der Dämmerung ihrer Macht beklagen. Aber die Realität kann niemand verdrängen: Die CDU-Vorsitzende ist die Einzige, die in dieser Situation eine stabile Regierung zuwege bringen kann. Und wenn es denn gelingt und sie dann auch endlich mal in der Lage ist, den Menschen den Sinn ihrer Koalition zu erklären, dann könnte man dieser Groko sogar noch eine Chance geben. Auch ohne Aufbruchssignal.

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