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Hubertus Heil (SPD) will Grundsicherung ohne Bedürfnisrprüfung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Große Koalition: Die SPD ist beim Streit um die Grundrente im Vorteil

Die Frage nach dem richtigen Konzept für die Alterssicherung spaltet die große Koalition. Doch eine kleine Geschichte der Grundrente zeigt einen Kompromiss auf.

Von Robert Birnbaum

Wer den Koalitionsstreit über Hubertus Heils Grundrenten-Konzept verfolgt, kann leicht auf falsche Fährten geraten. Auf den ersten Blick scheint der Arbeitsminister ein sozialdemokratisches Projekt zu verfolgen, das der Union quer im Hals steckt. Die politische Gefechtslage ist aber komplizierter. Hier eine kleine Geschichte der Grundrente.

Am Anfang stand die „Zuschussrente“. Unter dieser Überschrift entwickelte 2011 eine CDU-Arbeitsministerin, nämlich Ursula von der Leyen, die Idee, die sich jetzt als „Grundrente“ im Koalitionsvertrag wiederfindet: Wer lange gearbeitet oder Kinder und Angehörige betreut hat, soll im Alter nicht von der Grundsicherung leben müssen, sondern zehn Prozent übers Minimum hinaus bekommen. Im Vertrag ist allerdings auch festgelegt: Voraussetzung ist „eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung“.

Schon 2011 gab es deswegen Dauerzoff

Die will Heil einfach weglassen. Den lautesten Protest erhebt die CSU. Wem das bekannt vorkommt: Schon Leyens Plan fiel im Dauerzoff der schwarz-gelben Koalition dem Einspruch der Christsozialen zum Opfer, die ihren Favoriten Mütterrente durchdrückten. Für beides zusammen fehlte damals das Geld.

Auch diesmal spielt die Finanzierung eine wichtige Rolle. Heils Kritiker rechnen vor, dass ohne Prüfung des Bedarfs bis zu vier Millionen Menschen Anspruch auf die neue Leistung hätten, darunter viele, die durch Vermögen oder Ehepartner eigentlich abgesichert sind. Das könnte den Staat bis zu einer knapp zweistelligen Milliardensumme kosten. Bei strenger Bedarfsprüfung blieben hingegen weit weniger Nutznießer übrig, geschätzt etwa 150.000 Personen.

Gute Optionen für einen Kompromiss gäbe es. So ist schon im Koalitionsvertrag vorgesehen, dass Wohneigentum auch bei der Grundrente außen vor bleiben soll. Kein alter Mensch soll sein klein Häuschen verkaufen müssen, damit die Solidargemeinschaft ihm hilft. Das ließe sich ausweiten, etwa indem das Schonvermögen – aktuell mindestens 3850 Euro – oder die Grenzen für Zuverdienst weiter heraufgesetzt werden.

Armut nachweisen zu müssen ist unwürdig

Aber Heil geht es erklärtermaßen ums Prinzip. Dass sich ein Rentner nach einem langen Arbeitsleben mit kargem Lohn beim Amt anstellen und dort auch noch das Sparschwein ausleeren muss, um seine Armut nachzuweisen, sei nicht nur unwürdig. Es halte auch viele Rentner heute schon davon ab, ihre Ansprüche anzumelden. Außerdem verweist die SPD listig darauf, dass die CSU-Mütterrente ebenfalls ohne Ansehen des Kontostands fließe – an arme Mütter genau wie an die oft zitierte Zahnarztgattin in bester Villenlage am Starnberger See.

Hinter Heils menschenfreundlicher Begründung vermuten manche in CDU und CSU allerdings einen Trick von der ganz üblen Sorte: Der Sozialdemokrat lege es bewusst darauf an, entweder zu triumphieren oder der SPD einen plausibel klingenden Vorwand zu liefern, um nach miesen Ergebnissen etwa bei der Europa- und Bremen-Wahl Ende Mai aus der großen Koalition auszusteigen. Dass solche Nebengedanken in der SPD keineswegs geleugnet werden, steigert nur den Unmut in der Union.

Für die Ost-CDU wird es ein Wahlkampfthema

Doch speziell für die CDU ist es keine Option, nun ihrerseits auf stur zu schalten. Schon bei der Vorstandsklausur im Januar in Potsdam forderten die eigenen Ost-Landesverbände, der Arbeitsminister müsse endlich in die Gänge kommen, damit die Grundrente vor dem Herbst im Gesetzblatt steht. Dann werden in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Landtage neu gewählt. Gerade im Osten hoffen viele Rentner – und vor allem Rentnerinnen – die nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nie mehr die Chance auf einen lebenslangen Vollzeitjob hatten auf die Aufstockung. Und die Ost-CDU hofft mit ihnen auf einen populären Wahlkampfschlager.

Die AfD ist ein Verbündeter den man nicht will

Wenn Heil sich auf viele Verbündete in der Union beruft, dann hat er also neben dem CDU-Sozialflügel und dessen Chef Karl-Josef Laumann auch Mike Mohring aus Thüringen, Michael Kretschmer aus Sachsen und Ingo Senftleben aus Brandenburg im Sinn. Dazu kommt ein Verbündeter wider Willen. Die AfD hat bisher gut vom Flüchtlingsstreit gelebt. Aber seit das Thema etwas aus den Schlagzeilen verschwunden ist, argwöhnen Wahlstrategen bei CDU wie SPD, dass die Konkurrenz von rechts sich ein zweites Standbein als sozialpolitische Kleine-Leute-Partei zulegen könnte.

Die SPD steht für ein Versprechen, die Union für dessen Verhinderung

Eigentlich besteht für beide Volksparteien ein Interesse an einem vernünftigen Sachkompromiss. Schließlich bedroht die AfD in Brandenburg und Thüringen auch SPD-geführte beziehungsweise -beteiligte Landesregierungen. Doch die Sozialdemokraten sind taktisch im Vorteil: Sie stehen für ein Versprechen – die Union für seine Verhinderung. Deren Argument, dass der Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung den Falschen nützt, verfängt in den neuen Bundesländern wahrscheinlich besonders schlecht – nennenswerte Villenlagen gibt es in den Seenplatten der ehemaligen Braunkohlereviere nicht. Das zweite Gegenargument, jetzt müsse die Sicherung von Arbeitsplätzen teuren Sozialmaßnahmen vorgehen, löst dort sowieso nur bitteres Gelächter aus.

Der Sozialdemokrat als Kümmerer, die Christdemokraten als hartherzige Pfennigfuchser – so ungerecht das Bild allein schon aus der Geschichte der Grundrente ist, so schwer wäre es im Wahlkampf zu kontern. Der größte innerparteiliche Erwartungsdruck lastet deshalb auf der neuen CDU-Vorsitzenden. Heils unfreundlicher Regelbruch droht für Annegret Kramp-Karrenbauer zu einer ersten Zwickmühle zu werden.

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