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Will Premier Benjamin Netanjahu die Regierung retten, wie er beteuert, oder setzt er auf Neuwahlen?

© Emil Salman/Imago/UPI

Große Koalition des Misstrauens: Warum Israels Regierung vor dem Ende steht

Nach anderthalb Jahren sollte Gantz das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Nun scheint er selbst nicht mehr daran zu glauben.

Israels erst sieben Monate alte Regierungskoalition scheint kurz vor dem Kollaps zu stehen. Der Oppositionsführer Yair Lapid will am heutigen Mittwoch dem Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung vorlegen – und dank einiger wohlgesinnter Minister könnte er sogar Erfolg haben: Zwei Ressortchefs von der Arbeitspartei, Amir Peretz (Wirtschaft) und Itzik Shmuli (Wohlfahrt), haben bereits ihre Unterstützung angekündigt. Sogar Benny Gantz, Verteidigungsminister und Ministerpräsident in spe, spielt Fernsehberichten zufolge mit dem Gedanken, für den Antrag zu stimmen. Es wäre der Anfang vom Ende einer unglücklichen Politehe.

„Wer den Staat Israel retten will, muss diese gescheiterte Regierung ersetzen“, schrieb Lapid am Dienstag auf Twitter. Arbeitsminister Peretz pflichtete ihm bei: „Es ist nicht möglich, eine Regierung fortzuführen, deren stabilste Eigenschaft Unsicherheit ist.“ Sollte eine Mehrheit für den Antrag stimmen, müsste dieser noch ein Ausschussvotum sowie drei weitere Abstimmungsrunden im Parlament überstehen, bevor Neuwahlen eingeleitet würden. Es wären die vierten innerhalb von zwei Jahren – Symptome einer Krise, die selbst für Israels an Turbulenzen gewöhntes politisches System außergewöhnlich ist in Ausmaß und Dauer.

Bei keiner Einigung Neuwahlen

Die Koalition aus Netanjahus rechter Likud-Partei, Gantz’ zentristischem BlauWeiß-Bündnis und einer Handvoll kleinerer Parteien, die im Mai erst nach schwerem Ringen und drei Wahlen innerhalb kurzer Zeit zusammengefunden hatte, war von Beginn an von Misstrauen und Machtkämpfen geprägt. Der jüngste Streit zwischen Likud und Blau-Weiß dreht sich um den Haushalt. Laut Koalitionsabkommen müsste die Regierung ein gemeinsames Budget für 2020 und 2021 verabschieden.

Netanjahu will jedoch mit Verweis auf die außergewöhnliche Notlage, verursacht durch die Covid-19-Pandemie, separate Haushalte für jedes Jahr beschließen, während Gantz auf einem Zwei-Jahres-Budget besteht. Finden die Parteien bis Ende Dezember keine Einigung, käme es automatisch zu Neuwahlen.

Impfstoff könnte bessere Ausgangslage verschaffen

Netanjahu hofft offenbar, dieses Szenario abzuwenden. „Wir werden morgen gegen Wahlen und für Einigkeit stimmen“, sagte er am Dienstag. „Ich rufe Benny Gantz dazu auf, das Gleiche zu tun.“ Zwar vermuten manche Analysten, dass der Premier in Wahrheit selbst Neuwahlen anstrebt.

Allerdings soll er damit noch warten wollen, bis ein Impfstoff gegen Corona die Gesundheits- und Wirtschaftskrise lindert und ihm so eine bessere Ausgangslage verschafft. In Umfragen steht seine Likudpartei um mehrere Mandate schlechter da als bei den letzten Wahlen.

Zeichen seines Frusts

Weit miserabler noch sieht es allerdings für Gantz’ Blau-Weiß-Partei aus. Sie käme nur noch auf neun bis zwölf Sitze. Im Frühling hatte das Bündnis 33 Mandate erhalten, allerdings hatte sich nach Gantz’ Einigung mit Netanjahu fast die Hälfte der Abgeordneten aus Protest in die Opposition zurückgezogen. Dass Gantz dennoch bereit scheint, sich Neuwahlen zu stellen, deuten Analysten als Zeichen seines Frusts über die andauernden Konflikte in der Koalition.

Ursprünglich hatte Gantz seinen Einstieg in die Politik mit seinem Willen begründet, den Langzeit-Premier aus dem Amt zu drängen. Doch unter dem Eindruck der Pandemie gab er im Mai seinen Widerstand auf und formte mit dem einstigen Rivalen eine Regierung der „nationalen Einheit“. Nach anderthalb Jahren, so sieht es der Koalitionsvertrag vor, sollte Gantz das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Nun scheint er selbst nicht mehr daran zu glauben.

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