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Schon eine halbe Stunde nach Beginn der Demo war die Straße des 17. Juni laut Polizei voll.

© Odd ANDERSEN / AFP

Großdemo gegen Ukraine-Krieg in Berlin: „Der Krieg ist Putins letzter Atemzug“

Mehr als 100.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Frieden in der Ukraine. Sie kritisieren Russlands Präsidenten heftig – aber auch die Rolle Deutschlands.

Seit dem Krieg gegen den Irak 2003 sind in Berlin nicht mehr so viele Menschen für den Frieden auf der Straße gewesen: Mehr als 100.000 Teilnehmende demonstrierten nach Polizeiangaben am Sonntag zwischen Siegessäule und dem Brandenburger Tor ihre Solidarität mit der Ukraine und protestierten gegen Putins Angriffskrieg. Die Veranstalter sprachen gar von einer halben Million. Es war die größte Demonstration in Deutschland seit Beginn der Corona-Pandemie.

Die Polizei achtete auf die Einhaltung von Abständen und das Tragen von Masken. Weitere 10.000 Menschen, vorwiegend Mitglieder der ukrainischen Community in Berlin, versammelten sich am Alexanderplatz. Dazu aufgerufen hatte das ukrainische Netzwerk Vitsche Berlin. Neben ukrainischen Fahnen wurden hier auch georgische und belarussische geschwenkt.

"Wir sind hier, um zu zeigen, dass die Belarussen nicht hinter Lukaschenko stehen und dass wir an der Seite der Ukrainer sind", sagte Maria, die mit ihrem Mann vor vier Jahren aus Minsk nach Berlin gekommen war. "Unsere Verwandten in Belarus haben Angst, dass Putin sie nun zwingt, gegen die Ukrainer in den Krieg zu ziehen." Sie seien dagegen, dass "Putin Atomwaffen in Belarus platzieren darf. Ukrainer und Belarussen leiden beide unter diesem Diktator."

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Auf der Großdemo an der Siegessäule wurde Russlands Präsident Wladimir Putin ebenfalls scharf kritisiert. Ein Vater (40) und dessen Sohn (8), die aus dem Gebiet Chmelnyzkyj in der Ukraine stammen, trugen ein überlebensgroßes Fotoplakat von Putin. Von den Händen des Machthabers tropft Blut – "ukrainisches Blut", wie dort geschrieben stand.

Ein Mann aus Friedenau hielt ein Schild hoch mit der Aufschrift: "Schröder, dein Kumpel dreht durch." Seiner Ansicht nach müssten noch viel mehr Waffen geliefert werden. "Wenn ich angegriffen werde, muss ich mich wehren können."

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Etwas gemischtere Gefühle zu den beschlossenen Waffenlieferungen haben Nicola (44) und Kristina (38), die aus Hamburg angereist sind, um die eigene Ohnmacht gegenüber des Krieges zu überwinden. "Mehr Waffen heißt wahrscheinlich auch mehr Leid", sagte Kristina. "Aber zuzusehen, wie die Ukraine ausbluten würde, wenn sie sich nicht verteidigen könnte, ist auch nicht zu ertragen." Nicola sagte, sie sei froh, dass Russlands Ausschluss aus dem Finanztransfersystem Swift nun beschlossen sei. "Es war unangenehm, dass Deutschland das so lange blockiert hat."

Teilnehmer werfen Umweltschützern vor, Demo für eigene Ziele zu missbrauchen

Auf der Großdemo sprach auch Greenpeace-Vorstandsmitglied Martin Kaiser. "Es zerreißt mir das Herz", sagt er mit Blick auf die Ukraine. Er warb dafür, gewaltfreie Lösungen zu nutzen. Als seine Rede allerdings mit dem Appell endete, "die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren", fragte sich einer der umstehenden Demonstranten, ob er "auf der falschen Veranstaltung" sei. Kaiser "missbrauche" die Demonstration und das Leid der Menschen "für seine politischen Ziele", sagte ein anderer Zuhörer. Es gehe hier und heute "nicht um Klimapolitik, sondern um einen Krieg".

Andere Teilnehmer:innen zweifelten daran, ob energiepolitische Sanktionen Putin zum Einlenken bewegen können. "Allein durch friedliche Mittel wird man einem solchen Aggressor wie Putin nicht gerecht. Bei aller Sympathie für Greenpeace: Heute geht es nicht ums Klima, heute geht es um die Freiheit in Europa", sagte Teilnehmer Simon Franz (36).

Putin weg, fordert diese Demo-Teilnehmerin.
Putin weg, fordert diese Demo-Teilnehmerin.

© Odd Andersen/AFP

Mit der Abhängigkeit von russischen Energieträgern argumentierte auch Luisa Neubauer von Fridays For Future auf der Bühne. Man habe sich in eine Situation der Erpressbarkeit begeben. Bei Putins Einmarsch handele sich um einen "fossilen Krieg, finanziert von Ländern wie Deutschland." Klimagerechtigkeit und Frieden gehörten zusammen, sagte Neubauer. Redner Christoph Bautz von Campact fordert Putin auf, "den brutalen Angriffskrieg zu stoppen." Zudem müsse es einen Importstopp für Gas, Öl und Kohle geben. "Raus aus der Abhängigkeit von Despoten", forderte Bautz.

Die in Berlin lebende ukrainische Wissenschaftlerin und Aktivistin Olexandra Bienert, deren Mutter in Kiew lebt, fragte in ihrer Rede an der Siegessäule, warum diese Demonstration nicht 2014 stattfand, als die Krim annektiert wurde. Wie es sein könne, dass nach der Krim-Annexion Nord Stream 2 genehmigt wurde. Und warum Deutschland "blind" für den "russischen Imperialismus" sei.

Teilnehmer: "Putin hat Gegenwehr der Ukrainer komplett unterschätzt"

Zwischen Reden, Musik und Diskussionen machten dann zwei Meldungen die Runde: Putin kündigte an, die (atomfähigen) Abschreckungswaffen in besondere Alarmbereitschaft versetzen zu lassen. Außerdem stimmte die Ukraine Friedensverhandlungen mit Russland zu: Eine russische und eine ukrainische Delegation würden sich an der ukrainisch-belarussischen Grenze treffen, teilte das Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit.

Lange sind die Menschen in Deutschland nicht mehr so zahlreich für den Frieden auf die Straßen gegangen.
Lange sind die Menschen in Deutschland nicht mehr so zahlreich für den Frieden auf die Straßen gegangen.

© Kay Nietfeld/dpa

Oksana S. aus Odessa (Ukraine) und Georgi C. aus Georgien: "Wir haben gerade gehört, dass Russland und die Ukraine sich an der ukrainisch-belarussischen Grenze treffen wollen. Das finden wir gut. Sprechen muss man immer. Auch wenn man dem Kreml nichts glauben darf. Aber dass die Russen sich überhaupt darauf einlassen, zu reden, zeigt, dass Putin die Gegenwehr der Ukrainer komplett unterschätzt hat."

Tetyana Dumke-Olschanska, deren Mutter in der Ukraine lebt, wandte den Blick nach Moskau. Sie freue sich, dass dort Tausende Menschen trotz Repressionen gegen den Krieg demonstrierten. "Die Regierung von Putin ist längst tot", sagte sie. "Der Krieg ist sein letzter Atemzug."

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