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Der britische Staatssekretär Stephen Barclay und der EU-Brexit-Beauftragte Michel Barnier trafen sich am Freitag in Brüssel.

© Francisco Seco/POOL/AFP

Großbritannien und EU: Neue Einigungschance im Brexit-Streit

Überraschung im festgefahrenen Brexit-Streit: Großbritannien und die EU-Staaten zeigen sich offen für neue Verhandlungen.

Es kommt Bewegung in die Brexit-Gespräche. Die Europäische Union (EU) ist erstmals bereit, wieder in direkte Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich einzutreten. Bislang war die Position der EU stets gewesen, dass es ein ausverhandeltes Austrittsabkommen gibt, das nur noch von der britischen Seite zu unterschreiben ist.

Nun gaben die 27 Mitgliedstaaten EU-Chefunterhändler Michel Barnier grünes Licht für intensive Gespräche, um möglicherweise den Austrittsvertrag wieder aufzumachen und dabei auch über die im Vereinigten Königreich so umstrittene Versicherungslösung für Irland zu verhandeln.

Der sogenannte Backstop sieht vor, dass Großbritannien und Nordirland in der Zollunion mit der EU bleiben, wenn sich Brüssel und London bis Ende 2020 nicht auf ein Handelsabkommen einigen. Er war der Grund dafür, dass der Austrittsvertrag im britischen Unterhaus mehrfach keine Zustimmung bekommen hat.

Zuvor hatte die britische Seite den Ton in den Verhandlungen grundlegend verändert. Es wird in Brüssel davon berichtet, dass die britische Regierung nicht mehr konfrontativ in die Gespräche gehe, sondern lösungsorientiert und konstruktiv. Die Stimmung sei völlig verändert.

EU-Chefunterhändler Barnier war nach Gesprächen mit der britischen Seite nicht bereit, Details zu den inhaltlichen Zugeständnissen der Briten zu erläutern. Offenbar hat der britische Premierminister Boris Johnson aber erstmals zugesichert, dass es zwischen Irland, das auch weiterhin zur EU gehören wird, und Nordirland, das mit dem Vereinigten Königreich austreten soll, keine Zollgrenze geben soll. Im Gespräch ist, dass Nordirland eine Zollpartnerschaft mit der EU eingehen könnte. Was darunter genau zu verstehen ist, wird sich in den nächsten Tagen klären.

In der Sache aber macht die EU keine Konzessionen. Sie macht weiterhin die Zustimmung zu einer Lösung davon abhängig, dass zwei Bedingungen erfüllt sind. Zum einen dürfe das Karfreitagsabkommen, das den Bürgerkrieg in Irland beigelegt hat, nicht gefährdet werden. Das Karfreitagsabkommen sieht etwa vor, dass es zwischen Nordirland und Irland keine Schlagbäume und Grenzkontrollen gibt.

Zum anderen besteht die EU der 27 darauf, dass eine Lösung nicht zulasten des Binnenmarktes der EU gehen dürfe. Es muss klar sein, dass auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs keine Produkte aus Drittstaaten unkontrolliert in die EU kommen. Barnier und sein Team wollen das ganze Wochenende über mit der britischen Seite verhandeln. Am Montag sollen dann die Mitgliedstaaten über etwaige Fortschritte unterrichtet werden.

Die Briten stehen unter großem Zeitdruck

Vor allem die britische Seite steht unter Zeitdruck. Derzeit ist der Austritt des Landes aus der EU für den 31.Oktober vorgesehen. Das britische Parlament will unbedingt einen ungeregelten Brexit verhindern und hat den britischen Premierminister Boris Johnson verpflichtet, bei der EU um eine weitere Verlängerung zu bitten, sollte es bis Ende Oktober nicht zu einem Deal zwischen London und Brüssel kommen.

Völlig unklar ist, ob Johnson im britischen Parlament die notwendige Mehrheit für einen Deal mit der EU hätte. Aus eigener Kraft würde er es nicht schaffen: Die Tory-Regierung verfügt nicht mehr über eine Mehrheit. Ob die Opposition dazu bereit ist, Johnson zu helfen, ist fraglich.

Ende nächster Woche treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu ihrem regulären Herbstgipfel. Die EU-Seite hat immer ausgeschlossen, dass auf dem EU-Gipfel selbst verhandelt wird. Von EU-Seite hieß es aber: Brüssel mache alles, um einen ungeregelten Brexit noch zu verhindern.

An der EU solle es nicht scheitern. Sollten die Gespräche gut laufen, könnte es eine weitere Verschiebung des Brexit-Termins geben. Es ist eine „technische Verlängerung“ im Gespräch. Wenn die EU der 27 und Großbritannien sich einig sind, müsste der Vertragstext noch von Juristen formuliert und in die EU-Sprachen übersetzt werden. Außerdem müsste der Vertrag noch vom Europa-Parlament sowie dem britischen Unterhaus beschlossen werden.

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