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Schwere Waffe: Der Raketenwerfer M270 hat eine Reichweite von bis zu 80 Kilometern.

© Imago/StockTrek Images/Ofer Zidon

Großbritannien liefert Kiew Mehrfachraketenwerfer: „Ein deutlicher Schub für die Fähigkeiten der ukrainischen Armee“

Russland hatte gedroht, es werde im Fall westlicher Lieferungen neue Ziele angreifen. London sagt dennoch zu, die Waffen zu schicken.

Sie stehen im Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland schon lange auf der Wunschliste der Militärs in Kiew: Mehrfachraketenwerfer mit großer Reichweite. Jetzt darf die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj wohl damit rechnen, schon bald solche High-Tech-Waffen geliefert zu bekommen. Und obwohl der russische Präsident und Aggressor Wladimir Putin am Samstag eine neue scharfe Drohung aussprach, erklärte nach den USA jetzt auch Großbritannien, den Bitten der Ukraine nachzukommen.

Putin hatte am Pfingstwochenende für den Fall einer Lieferung westlicher Raketen mit hoher Reichweite an die Ukraine mit schweren Angriffen gedroht. „Wenn sie liefern, dann werden wir daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen und unsere Mittel der Vernichtung, von denen wir genug haben, einsetzen, um jenen Objekten Schläge zu versetzen, die wir bisher nicht angreifen“, sagte Putin in einem am Sonntag veröffentlichten Interview des Staatsfernsehsenders Rossija 1. Ziel der westlichen Waffenlieferungen sei es, den Konflikt in der Ukraine möglichst in die Länge zu ziehen, sagte er.

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Großbritannien teilte mit, die Ukraine mit einigen Langstrecken-Raketensystemen auszurüsten, nach BBC-Informationen sollen es drei sein. Das Verteidigungsministerium in London erklärte am Montag, die Lieferung des in den USA produzierten Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystems (MLRS) an die Ukraine sei eng mit der Regierung in Washington abgestimmt.

Die geplante Lieferung der Mehrfachraketenwerfer vom Typ M270 bedeute „einen deutlichen Schub für die Fähigkeiten der ukrainischen Armee“, hob das britische Verteidigungsministerium hervor. Auch dieses Waffensystem kann Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung mit präzisionsgelenkten Raketen treffen. Großbritannien will ukrainische Soldaten auch im Einsatz des neuen Waffensystems schulen.

Der britische Verteidigungsminister: Ben Wallace.
Der britische Verteidigungsminister: Ben Wallace.

© Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte, London liefere diese Waffen an die Ukraine aus, damit diese den Krieg gegen Russland „gewinnen“ könne. „Das Vereinigte Königreich steht in diesem Kampf an der Seite der Ukraine und übernimmt eine Führungsrolle bei der Belieferung ihrer heldenhaften Truppen mit den entscheidenden Waffen, die sie für die Verteidigung ihres Landes gegen eine nicht provozierte Invasion brauchen“, sagte Wallace.

„Wenn sich Russlands Taktik ändert, muss sich auch unsere Unterstützung für die Ukraine ändern“, fügte der britische Verteidigungsminister hinzu. Die nun zugesagten Mehrfahrraketenwerfer sollten den Schutz der Ukrainer verbessern „gegen den brutalen Einsatz von Langstrecken-Artillerie, die Putins Truppen wahllos eingesetzt haben, um Städte platt zu machen“.

Die USA hatten am Mittwoch angekündigt, der Ukraine vier Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars zur Verfügung zu stellen. Der stellvertretende Verteidigungsminister Colin Kahl sagte, die ukrainischen Streitkräfte bräuchten etwa drei Wochen Training, um das Raketensystem einsetzen zu können. Dieses soll den Ukrainern eine größere Reichweite und Präzision bei den Artilleriegefechten im Osten des Landes ermöglichen.

Kahl zufolge können die Raketenwerfer jeweils sechs Lenkraketen gleichzeitig über 70 Kilometer weit schießen. Demnach stehen die Systeme bereits in Europa für Ausbildung und Lieferung bereit. Sie würden den ukrainischen Streitkräften helfen, strategische russische Ziele ausfindig zu machen und anzugreifen, sagte er.

Er bestätigte, dass Selenskyj Washington zugesichert habe, dass die Himars, kurz für „High Mobility Artillery Rocket System“, nicht für Angriffe auf Ziele in Russland eingesetzt würden. „Präsident Biden hat deutlich gemacht, dass wir nicht die Absicht haben, in einen direkten Konflikt mit Russland zu geraten“, betonte Kahl.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte Washington zuvor gewarnt, „absichtlich Öl ins Feuer“ zu gießen. „Solche Lieferungen ermutigen die ukrainische Führung nicht, die Friedensverhandlungen wieder aufnehmen zu wollen“, sagte Peskow in Moskau.

Anfang Juni hatte auch die Bundesregierung angekündigt der Ukraine vier Mehrfachraketenwerfer zur Verfügung zu stellen. Das System Mars II aus Beständen der Bundeswehr, die es seit 1990 nutzt, soll nach Angaben von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) möglichst bis Ende Juni geliefert werden. Mars II kann je nach Munition Ziele in bis zu 40 Kilometer Entfernung treffen.

Putin zeigte sich in dem Interview mit Blick auf die von den USA angekündigte Himars-Lieferung gelassen. Für die Ukraine ändere sich damit nichts Grundsätzliches an der Verteilung der Kräfte. „Hier gibt es nichts Neues“, sagte der russische Präsident. Schon jetzt hätten die ukrainischen Streitkräfte solche Systeme russischer Produktion im Einsatz.

Ein ukrainischer Soldat reinigt nahe der Front seine Waffe.
Ein ukrainischer Soldat reinigt nahe der Front seine Waffe.

© Bernat Armangue/AP/dpa

Der Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München, Frank Sauer, hatte im Tagesspiegel dagegen mit Blick auf die westlichen Waffen erklärt, diese Art von Munition könne „weiter und genauer schießen“ als jene der russischen Streitkräfte. In puncto Präzision hätten die westlichen Geräte Vorteile. „Die Himars-Mehrfachartillerie hat etwa die doppelte Reichweite, die man von einer leistungsfähigen Rohrartillerie wie der deutschen Panzerhaubitze 2000 erwarten kann, und sie reicht um ein Vielfaches weiter als die M777-Haubitzen, die die Amerikaner in großer Stückzahl in die Ukraine geliefert haben“, erklärte Sauer weiter.

[Lesen Sie bei T+ mehr über die Waffensysteme: Himars, Mars II und M270 – Ukraine bekommt die geforderten Raketenwerfer – werden sie den Krieg verändern?]

Putin sagte in dem TV-Interview weiter, die neuen Systeme würden lediglich zerstörte Waffen ersetzen. Das Bild sei ähnlich bei der von der Ukraine im Westen bestellten Artillerie. „Allem Anschein nach geht es hier auch darum, das Verlorene, das bei den Kampfhandlungen Vernichtete auszugleichen.“

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Russland hatte bereits vor einigen Wochen angekündigt, Schwerpunkt der militärischen Einsätze in der Ukraine sei es nun auch, aus dem Westen gelieferte militärische Güter aufzuspüren und zu vernichten. Immer wieder gab es vom russischen Verteidigungsministerium seitdem – mitunter durchaus detaillierte – Meldungen, westliche Waffenlieferungen und andere Militärgüter seien zerstört worden.

Wie zuletzt am Sonntag: In den frühen Morgenstunden waren russische Marschflugkörper in einem Eisenbahndepot im östlichen Kiewer Vorort Dniprowski eingeschlagen. Kiew war zuletzt am 28. April angegriffen worden. Das russische Verteidigungsministerium behauptete, der Angriff habe einem Arsenal von T-72-Panzern gegolten, die aus osteuropäischen Ländern geliefert worden seien. Ukrainische Beamte erklärten jedoch, diese Aussage sei falsch. Der britische „Guardian“ zitierte Oleksandr Kamyshin, Vorstandsvorsitzender der ukrainischen Eisenbahnen: „Es gibt keine solchen Panzer im Werk und auch keine militärische Ausrüstung. Es gibt nur Autos, die wir reparieren. Diese Wagen brauchen wir für den Export – das sind vor allem Getreidewaggons.“ Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben wie immer nicht. (mit Agenturen)

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