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Die EU bereitet ein Öl-Embargo gegen Russland vor.

© IMAGO/ITAR-TASS

Grenzen der Sanktionen: Ein Öl-Embargo darf dem Westen nicht mehr schaden als Putin

Ob Energieboykott, Waffenlieferungen oder Diplomatie: Der Drang, etwas zu tun, ist groß. Die Optionen für effektives Handeln sind beschränkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Nachrichten vom Sterben und den Zerstörungen in der Ukraine sind schwer erträglich. Auch nach 68 Kriegstagen wollen viele Menschen in Deutschland und Europa sie weder hinnehmen noch haben sie sich an das Grauen gewöhnt, wie manche befürchtet hatten.

Das Entsetzen und die Empörung sind ungebrochen. Die einen fordern härtere Sanktionen, die EU treibt den Boykott russischen Öls voran. Andere verlangen mehr Waffen für die Ukraine. Die Dritten rufen nach mehr Diplomatie. Gemeinsam ist allen Ansätzen: Der Drang, etwas zu tun, ist groß. Die realen Möglichkeiten, dem Krieg eine rasche Wendung zu geben, sind jedoch begrenzt.

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Als UN-Generalsekretär Antonio Guterres im Bemühen um eine Waffenruhe und Fluchtkorridore für Zivilisten erst Moskau besuchte und dann Kiew, schlugen dort russische Raketen ein: ein klares Zeichen, was Wladimir Putin von Diplomatie hält.

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Putin will nächsten Montag Siege verkünden

Er erwartet von seinen Truppen militärische Erfolge. Am kommenden Montag, dem Jahrestag des Kriegsendes 1945, möchte er zur traditionellen Parade Siege verkünden.
Auch bei der Waffenhilfe zeigt sich: Die Vorräte an zügig nutzbarem Material sind beschränkt. Vieles muss erst einsatzfähig gemacht werden. Das Training der Ukrainer braucht ebenfalls Zeit. Ähnliches gilt für das nächste Sanktionspaket. Die EU und die USA wollen dem Kreml den Geldhahn zudrehen. Die Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Energien – mehrere Hundert Millionen Dollar pro Tag – helfen Putin, den Krieg zu finanzieren.

Festes Datum im russischen Gedenkkalender: Die Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau in Erinnerung an den Sieg über Deutschland im Mai 1945.
Festes Datum im russischen Gedenkkalender: Die Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau in Erinnerung an den Sieg über Deutschland im Mai 1945.

© Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Doch auch im Ringen um ein baldiges Ölembargo zeigt sich die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Da ist, erstens, die Abhängigkeit einiger EU-Länder von diesem Öl. Deutschland hat zwei Monate gebraucht, um seine von 35 auf zwölf Prozent zu reduzieren.

Die ökonomische Existenz der Stadt Schwedt hängt am Öl

Andere Länder tun sich schwerer, darunter Italien, Österreich, die Slowakei und Ungarn. Beim Blick auf ganze Volkswirtschaften darf man zudem nicht übersehen, welche Folgen ein Boykott für einzelne Regionen haben kann, in Deutschland zum Beispiel für die Stadt Schwedt. Deren Existenz hängt am russischen Öl.

Zweitens schwächt das Ölembargo den Zusammenhalt der EU. Die Slowakei und Ungarn verlangen Ausnahmen für sich, damit sie den gemeinsamen Beschluss mittragen. Zwar könnten andere EU-Länder sich auch ohne sie auf einen Boykott verständigen. Aber dann wäre es keine Sanktion der EU mehr, sondern nur die Sanktion einer „Koalition der Willigen“.

Indien nimmt Putin die freie Energie gerne ab - bei günstigen Preisen

Drittens sollten sich Deutschland und die EU fragen, was sie mit dem Embargo konkret erreichen: Stehen die ökonomischen Schmerzen und die Kosten für die eigene Wirtschaft in einem vernünftigen Verhältnis zum Schaden für Russland, der doch das Ziel ist?

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Während die EU in Brüssel beriet, besuchte der indische Premier Narendra Modi Berlin. Indien möchte gerne als größte Demokratie der Welt gesehen werden – und damit als Teil des Westens. Zugleich möchte es von der Aura der Blockfreiheit profitieren und Geschäfte mit Moskau machen.

Die Existenz der Stadt Schwedt hängt am russischen Erdöl. Zwölf Millionen Tonnen davon verarbeitet die PCK-Raffinerie GmbH.
Die Existenz der Stadt Schwedt hängt am russischen Erdöl. Zwölf Millionen Tonnen davon verarbeitet die PCK-Raffinerie GmbH.

© Patrick Pleul/dpa

Indien kauft seine Waffen in Russland und würde russisches Öl, das Europa nicht mehr abnimmt, nehmen, sofern Putin einen günstigen Preis anbietet. Den russischen Angriff hat Modi bis heute nicht verurteilt.

Ein Hang des Westens zur Selbstüberschätzung

Im Ringen um die richtigen Reaktionen auf den Ukrainekrieg neigen die EU, die USA und Deutschland zur Selbstüberschätzung. Hängt es allein vom westlichen Boykott russischer Energie ab, wann Moskau das Geld ausgeht?

Hat Olaf Scholz es durch Lieferung von mehr oder weniger Waffen in der Hand, ob Putin den Krieg eskaliert? Gibt es überhaupt Mittel gegen das Morden, die rasch und effektiv wirken?

[Ukraine-Hilfe in Berlin - immer wieder Thema in den bezirklichen Newslettern vom Tagesspiegel, kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de]

Vieles braucht Zeit und ist dennoch nicht unnütz. Denn niemand weiß, ob der Krieg noch Wochen, Monate oder Jahre dauert.

Deshalb müssen Europa und Amerika genau abwägen, ihre Sanktionen global wasserdicht machen und auf Indien und China diplomatisch einwirken, damit sie einen Boykott nicht unterlaufen. Sonst schadet ein Ölembargo dem Westen mehr als Putin.

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