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Die negativen Folgen des Verkehrs liegen auf der Hand, sagt Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan. Das Foto zeigt Feinstaubalarm in Stuttgart am 27. Oktober 2016.

© Bernd Weissbrod/dpa

Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan: "Die Autoindustrie muss zukunftsfähig werden"

Die Chefin von Greenpeace International, Jennifer Morgan, über die deutsche Dieselkrise, eine globale Verkehrswende und die Frage, was denn Greenpeace im Inneren zusammenhält. Ein Interview.

Sie beobachten die deutsche Diskussion schon ziemlich lange, waren auch Mitglied im Nachhaltigkeitsrat. Ist die aktuelle Diesel-Diskussion mehr als eine kurze Aufregung?

Ich glaube, das ist ein Wendepunkt. Und es muss ein Wendepunkt sein. Die Verkehrspolitik kann nicht weitergehen wie bisher. Diese Krise erhöht den Druck für eine Verkehrswende und vor allem für eine Politikwende.

Den Umstieg vom Verbrennungsmotor zum Elektromotor?

Eine Verkehrswende ist mehr als ein Umstieg von einem Antrieb auf einen anderen. Die negativen Folgen des Verkehrs sind doch offensichtlich: die gesundheitlichen Folgen – seien es Unfälle oder Atemwegserkrankungen wegen der Luftverschmutzung – sind eindeutig negativ. Menschen stehen übrigens weltweit stundenlang im Stau. Dieser Verlust an Produktivität und Lebensqualität ist einfach nicht hinzunehmen. Hinzukommen immense negativen Umweltauswirkung.

Und das heißt?

Das heißt: Es braucht eine Mobilitätswende, ein Mobilitätskonzept, das Menschen ermöglicht, ihre Kinder ohne krankmachende Luftverschmutzung in die Schule zu bringen. Eine Mobilität, die Menschen schnell und bequem dahin bringt, wo sie hinwollen. Und sie darf nicht so teuer sein, dass sich das nur ein Teil der Gesellschaft leisten kann. Dafür braucht es gute, preiswerte und leistungsfähige öffentliche Verkehrsmittel. Es sollte sicher sein, auch die Fahrradwege. Diese Debatte wird in Berlin ja gerade intensiv geführt. Aber das gilt für viele Städte. Und dazu gehört auch die Diskussion darüber, wie der Verbrennungsmotor durch Elektromotoren abgelöst wird, die mit erneuerbaren Energien, also grünem Strom, angetrieben werden. Auch der Fußverkehr muss sicherer werden. Es gibt viele Orte, wo es keine Bürgersteige gibt.

Ist das eine rein deutsche Diskussion?

Nein, das ist eine globale Diskussion. Es gibt kaum eine Stadt, die nicht darüber diskutiert, wie sie ihren Verkehr überleben kann. Die Diskussion findet aber auf verschiedenen Ebenen statt. Eine dreht sich um Verbrennungs- und Elektromotoren. Großbritannien und Frankreich sagen, dass sie nach 2040 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen wollen. China hat eine Elektro-Auto-Quote festgelegt. Indien will weg vom Verbrennungsmotor. Die norwegische Hauptstadt Oslo will das alles noch viel schneller umsetzen. Das sind riesige Märkte. In den USA dreht sich die Diskussion mehr um den Abgasbetrug. Da sieht man ja ganz deutlich, dass wir auch eine politische Wende brauchen. Es ist sehr wichtig, dass die Politik solchen Betrug nicht mehr stillschweigend billigt.

Die Kumpanei zwischen Regierung und Autoindustrie

In Deutschland ist es ja nicht ganz leicht zu entscheiden, wo der Autokonzern aufhört und die Regierung anfängt – und umgekehrt.

In Deutschland hat Greenpeace ein Schwarzbuch über den Drehtüreffekt veröffentlicht, also darüber, wie Repräsentanten der Regierung in die Autoindustrie rotiert sind und wie Autolobbyisten in Regierungsnähe platziert worden sind. Bis jetzt hat das offensichtlich aber nicht zu Änderungen geführt. Ich hoffe, dass die Öffentlichkeit diese enge Verbindung einfach nicht mehr akzeptiert. Diese enge Verbindung von Autoindustrie und Regierung macht die Leute politikverdrossen, das trägt dazu bei, dass populistische Parteien Zulauf haben. Politik und Unternehmen sind in diesem Fall ein Team gegen die Verbraucher, die Gesundheit und gegen die Umwelt. Jetzt ist der Moment, dieses politische Problem zu lösen. Dafür brauchen wir Druck aus der Gesellschaft. Die Regierung bewegt sich leider nicht. Das finde ich völlig unakzeptabel.

Die Autoindustrie ist auch deshalb stark, weil sie so eng mit dem deutschen Wirtschaftssystem verwoben ist, und viele Menschen dort arbeiten. Aber der Verkehr ist auch einer der größten Problemfälle der deutschen Klimapolitik. Die Emissionen sind im Vergleich zum Jahr 1990 nicht gesunken sondern sogar leicht gestiegen. Ruiniert die Klimapolitik die deutsche Wirtschaft?

Ich verstehe, dass es viele Jobs in der deutschen Autoindustrie gibt. Aber wenn diese Arbeitsplätze dauerhaft erhalten werden sollen, muss Deutschland sich ändern, muss sich die Verkehrspolitik ändern. In den großen Märkten wie China, Indien und auch in Europa verlieren Autos mit Verbrennungsmotor ganz schnell Marktanteile, weil die Politik dort eine andere Richtung eingeschlagen hat. Es gibt aber auch Druck aus den Märkten selbst. Volvo hat angekündigt, von 2019 an nur noch E-Autos zu bauen. Die sind natürlich eng mit China verbunden. Neue Spieler wie der Elektro-Autokonzern Tesla und auch einige neue Unternehmen in Deutschland zeigen, wie man mit relativ wenig Kapital großen Druck auf konventionelle Autohersteller ausüben kann. Die Autoindustrie muss zukunftsfähig werden, auch damit das Label „Made in Germany“ nicht weiter beschädigt wird. Und die Zukunft, die ist jetzt. Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es jedenfalls nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Verkehrswende. Das Klimathema ist nicht irgendein weiteres Umweltthema, sondern nimmt Einfluss auf unser gesamtes Leben und die gesamte Wirtschaft. Das ist ein Kernthema für die Zukunft – und es fehlt mir in der aktuellen Debatte sehr. Das ist dieser Aha-Effekt, der dann eintritt, wenn man die Klimawissenschaft wirklich verstanden hat.

Im Wahlkampf spielt das Thema nur in Bezug auf den Diesel eine Rolle.

Das stimmt. Und ich finde das sehr schade. Denn diese Wahl ist wichtig für die Umwelt. Wir haben beim Klima nur wenig Zeit. Bis zum Jahr 2020 muss der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen erreicht sein und danach schnell auf Null sinken. Wir haben keine Zeit zu verlieren in den kommenden vier Jahren. Auch beim galoppierenden Verlust der biologischen Vielfalt haben wir keine Zeit. Ich hoffe sehr, dass die Menschen wählen gehen. In Großbritannien beim Brexit-Referendum und bei der Präsidentenwahl in den USA hat man ja gesehen, was passiert, wenn insbesondere die jungen Menschen nicht zur Wahl gehen. Ich hoffe, sie lesen die Wahlprogramme aller Parteien. Und ich hoffe, dass die jeweilige Umweltpolitik ein Grund für eine Wahlentscheidung sein wird. Es geht um viel.

Schafft Deutschland das 2020-Ziel?

Bis 2020 sind noch zwei Jahre Zeit. Deutschland ist mit seinem Klimaziel nicht besonders nah dran. In der Regierung reden sie alle nur noch von 2030 – wohl in der Hoffnung, dass das dann unter dem Radar bleibt. Was würde es bedeuten, wenn Deutschland sein 2020-Ziel nicht schafft?

Deutschland kann das Ziel noch erreichen, wenn es sofort nach der Wahl das Problem mit der Braunkohle löst. Das bedeutet, dass alle Kohlekraftwerke Schritt für Schritt aus dem System gehen bis 2030. Greenpeace Deutschland hat eine Studie vorgelegt, die zeigt, in welchen Schritten Kraftwerk für Kraftwerk ein solcher Ausstieg möglich wäre. Wichtig ist, dass es ein fairer Ausstieg wird. Das ist in Deutschland möglich. Es braucht eine gerechte Lösung für die Beschäftigten. Greenpeace unterstützt das. Das sollte im Koalitionsvertrag stehen. Das ist Schritt Nummer eins, und das muss sofort beginnen.

Aber das reicht nicht?

Dann gehört eben auch die Verkehrswende dazu. Der Aktionsplan der Regierung hat schon ein Verkehrsziel. Es muss aber konkrete Maßnahmen geben, die Verkehrsemissionen sind ja gestiegen im Vergleich zu 1990. Das Ziel muss verbindlich sein. Die Städte brauchen Unterstützung bei diesem Umbau des Verkehrssystems. Auch in der Landwirtschaft braucht es eine Wende. In der Politik gibt es da noch sehr wenige Signale in diese Richtung. Auch da braucht es ein konkretes Ziel und klare Maßnahmen. Das heißt nicht, dass die Deutschen nicht mehr essen dürfen, was sie essen möchten. Es geht um eine Landwirtschaft, die sich zwischen regional und dem Ökolandbau bewegt. Die Industrialisierung der Agrarwirtschaft darf so nicht fortgesetzt werden, das geht auf Kosten der Artenvielfalt, der Wasser- und der Luftqualität. Auch das gehört in den Koalitionsvertrag. Eigentlich ist es ein toller Moment für eine neue Regierung zu zeigen, dass sie die Wissenschaft versteht, dass sie die wirtschaftlichen Trends erkennt und will, dass Deutschland weiter eine wichtige Rolle in der Welt spielt.

Jennifer Morgan ist seit April 2016 Geschäftsführerin von Greenpeace International. Ihre Co-Geschäftsführerin ist Bunny McDiarmid. Zuvor war Morgan für das Klimaprogramm des World Ressources Programm (WRI) zuständig. Dort begann sie 2009 nach Stationen beim Thinktank E3G und der Umweltstiftung WWF.
Jennifer Morgan ist seit April 2016 Geschäftsführerin von Greenpeace International. Ihre Co-Geschäftsführerin ist Bunny McDiarmid. Zuvor war Morgan für das Klimaprogramm des World Ressources Programm (WRI) zuständig. Dort begann sie 2009 nach Stationen beim Thinktank E3G und der Umweltstiftung WWF.

© Doris Spiekermann-Klaas

Und wenn Deutschland das 2020-Ziel trotzdem verfehlt? Was bedeutet das für die Rolle Deutschlands in der Welt?

Das wäre schrecklich. Mehr denn je ist ein glaubwürdiger Ansatz Deutschlands beim Klimaschutz wichtig. Wenn man sieht, was in den USA passiert, und was die Regierung von Donald Trump alles versucht, rückgängig zu machen, dann braucht es erst Recht ein starkes Europa. Und da ist Deutschland besonders wichtig. Gerade wegen der Autoindustrie, wegen der Emissionen. Wenn Deutschland das Klimaziel nicht schafft, wäre das ein willkommener Anlass für die Trump-Regierung, um ihre Fehlleistungen zu rechtfertigen. Wenn die US-Regierung argumentieren kann: Seht her, Deutschland meint das nicht Ernst, und sie schaffen es nicht, dann wäre das fatal. Die Arbeit der Kanzlerin bei den G20 wäre dann komplett umsonst gewesen.

Der Chef der US-Umweltbehörde Scott Pruitt kritisiert Deutschland deshalb ja schon jetzt bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Klimaprediger und Kohleverbrenner.

Deutschland muss das schaffen. Wenn nichts hinter den guten Worten steckt, dann ist die Glaubwürdigkeit von Angela Merkel und Deutschlands zerstört. Bis jetzt war das deutsche Beispiel auch psychologisch einfach wichtig. Ein wirtschaftlich erfolgreiches Land, das es schafft, gleichzeitig die Emissionen zu senken. Das ist so wichtig. Und dass es möglich ist, das wissen wir. Die Energiewende war eine Inspiration für die Welt. Wenn das wegfiele, weil die Fakten nicht dazu passen, dann ist das ein echtes Problem. Im November beim Weltklimagipfel unter der Präsidentschaft von Fiji guckt die Welt nach Bonn, wo die Konferenz stattfindet. Was für eine großartige Chance für die neue Regierung. Es gibt gute Partner für Deutschland auch aus den USA, wie beispielsweise Kalifornien.

Wie wird der Bonner Klimagipfel zum Erfog?

Was macht den Bonner Gipfel zu einem Erfolg?

Auf der Verhandlungsebene ist es wichtig, dass der Umsetzungsplan für das Pariser Klimaabkommen vorankommt. Da werden viele Regeln beraten, was und wie über den Stand der Treibhausgasemissionen berichtet wird. Dafür braucht es einen Verhandlungstext, damit die Beratungen darüber Ende kommenden Jahres abgeschlossen werden können. Und wir brauchen einen Plan dafür, wie die Welt ihre Emissionsminderungen beschleunigen und erhöhen wird, um das bis 2020 ausverhandelt zu haben. Es gibt einen sogenannten moderierten Dialog in den Verhandlungen darüber, um einen Plan zu erarbeiten, wie die Lücke zwischen den bisher zugesagten Emissionsminderungen und dem Ziel, die globale Erhitzung unter zwei oder 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten, geschlossen werden kann. Ein Erfolg wäre es, wenn von Bonn das Signal ausgeht, dass es den politischen Willen gibt, mit dem Klimaschutz weiter zu machen, egal, welche Politik in Washington gerade gemacht wird.

Das hat ja sogar der G-20-Gipfel geschafft. Reicht das?

Sehr wichtig ist es auch, den Entwicklungsländern zu zeigen, dass die Industrieländer den klimaverträglichen Umbau dort auch finanziell weiter unterstützen – und sie bereit sind, die finanzielle Lücke, die die USA da hinterlassen, zumindest teilweise zu füllen.  Das ist eine große Chance für Deutschland, deutlich zu machen, dass das 2020-Ziel erreicht werden kann und dass es gemeinsam mit anderen Industriestaaten bereit ist, auch finanziell mehr Verantwortung zu übernehmen. Dafür gibt es moralische Gründe und es hilft, das Vertrauen der Entwicklungsländer in den Prozess zu erhalten. Und es gibt noch etwas, das helfen würde: Wir kämpfen mit der norwegischen Regierung über die Ölförderung in der Arktis. Wenn Norwegen das Signal geben würde, dass diese Bohrungen aufgegeben werden, wäre das sehr ermutigend.

Das ist eine harte Nuss.

Ich weiß. Aber wir sind dran. Unsere Aktivisten waren gerade erst vor Ort.

"Wenn man Greenpeacer ist, weiß man, wofür man kämpft"

Greenpeace International ist relativ schnell relativ groß geworden. Wie gelingt es, mit den vielen verschiedenen Länderbüros eine gemeinsame Linie zu finden?

In vielen Dingen entscheiden die Länderbüros sehr autonom, was sie tun wollen. Aber wir haben einen gemeinsamen Handlungsrahmen. Greenpeace International entscheidet nicht, was Greenpeace Deutschland zu tun hat oder Greenpeace Afrika. Wir haben überall tolle Leute. Wenn man ein Greenpeacer ist, weiß man, wofür man kämpft. Deshalb können wir auch Vertrauen in die Aktivisten und Ehrenamtlichen haben. Vertrauen ist der Schlüssel.

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