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Polizisten und Mitarbeiter der Spurensicherung arbeiten an dem LKW, in dem 39 Leichen gefunden wurden.

© Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

Grausiger Fund der britischen Polizei: 39 Tote in einem bulgarischen Lastwagen

Die britische Polizei findet 39 Tote in einem bulgarischen Lastwagen. Er nahm wohl eine ungewöhnliche Route.

Mitten in der fiebrigen Brexit-Debatte sind die Briten auf brutale Weise daran erinnert worden, dass viele Probleme vor Grenzen nicht haltmachen. Am frühen Mittwochmorgen wurde der Rettungsdienst von Thurrock etwa 30 Kilometer östlich von London zu einem Industriegebiet in der nahen Ortschaft Grays gerufen. In einem dort abgestellten Lastwagen aus Bulgarien fanden die Sanitäter die Leichen von 39 Menschen. Die Polizei nahm den 25-jährigen Fahrer unter Mordverdacht fest. Premierminister Boris Johnson sprach von einer schrecklichen Tragödie, Innenministerin Priti Patel kündigte einen noch härteren Kampf gegen Menschenschmuggler an.

Ihre Beamten seien gegen 1.40 Uhr an den Fundort gerufen worden, teilte die stellvertretende Polizeipräsidentin von Essex, Pippa Mills, mit. Sämtliche Insassen des cremefarbenen Kühlcontainers, 38 Erwachsene und ein Teenager, seien zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen. Zwar liegt der Fundort nahe dem großen Londoner Container-Hafen von Tilbury; ersten Ermittlungen der Kripo zufolge war der Sattelschlepper vom Typ Scania jedoch am vergangenen Samstag im walisischen Hafen Holyhead ins Land gekommen. Dort docken Autofähren aus dem Dubliner Hafen Dún Laoghaire an. Der festgenommene Fahrer stammt aus Nordirland.

Normalerweise konzentriert sich der Menschenschmuggel auf die Häfen am Ärmelkanal sowie den 1993 eröffneten Tunnel zwischen Calais und Folkestone. Im Hafen von Dover kontrollierten Zollbeamte im Jahr 2000 einen vorgeblich mit Tomaten beladenen Lastzug aus Holland. In dem Kühlcontainer fanden sie zwei gerade noch lebende junge Männer – und 58 Leichen, allesamt Chinesen. Ihr Fluchtvehikel war zum stählernen Massengrab geworden, weil der holländische Fahrer an einem heißen Junitag die Kühlung abgeschaltet hatte. Er wurde später wegen Totschlags zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Seit Beginn des Jahrhunderts hat Großbritannien in Absprache mit Frankreich und den anderen Anrainern die Kontrollen in den Kanalhäfen verschärft, hat im Hafen und dem Tunneleingang von Calais auch finanziell zur Sicherung der Anlagen beigetragen. Die dortige Stacheldrahtzone gleicht mittlerweile dem früheren innerdeutschen Todesstreifen, wenn auch ohne Selbstschussanlagen.

Der Lastwagen dürfte über Irland und Wales gefahren sein

Experten für den organisierten Menschenschmuggel wiesen im vergangenen Jahr auf einen Verdrängungseffekt der Abwehrmaßnahmen am Ärmelkanal hin. Zunehmend würden die kriminellen Banden auf irische Häfen ausweichen. Dies könnte auch die Route des bulgarischen Lastwagens gewesen sein. Durch den bevorstehenden Brexit sind die Fährverbindungen zwischen Cherbourg und Roscoff in Frankreich und dem südirischen Hafen Rosslare ausgebaut worden. Der gewaltige Umweg über die Nachbarinsel im Westen Großbritanniens hätte die Zollbeamten in Holyhead stutzig machen können. „Wenn der Lastwagen wirklich aus Bulgarien kam, wäre die Einreise über Holyhead schon sehr ungewöhnlich“, findet Seamus Leheny von der Transportlobbygruppe FTA.

Von der Vernehmung des Fahrers verspricht sich die Sonderkommission nun Erkenntnisse über die letzte Reise sowie die Nationalität der 39 Toten. Im Unterhaus drückten viele Abgeordnete ihren Schock aus. Man wolle sich gar nicht genauer vorstellen, sagte Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn, welch schreckliche Szenen sich in dem Container abgespielt haben müssen. Die innenpolitische Sprecherin der größten Oppositionspartei, Diane Abbott, erinnerte daran, dass niemand auf der Suche nach einem besseren Leben seine Heimat leichten Herzens verlasse: „Wir brauchen sichere und legale Routen für Flüchtlinge.“ Die konservative Regierung verfolgt eine extrem rigide Asylpolitik. Man wolle Leute nicht dazu ermutigen, sich kriminellen Schleppern auszuliefern und große Gefahren auf sich zu nehmen, lautet das Regierungsargument. In den vergangenen Wochen machten gelegentlich Schlauchboote im Ärmelkanal Furore, mit denen kleine Gruppen von Migranten die Überfahrt aus Frankreich versuchten, quer durch eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt. Die meisten waren Syrer, Iraner oder Kurden. Das Innenministerium hat zur Abschreckung zwei Schiffe der Küstenwache vor Ort stationiert.

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