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Im Südsudan kämpfen die Menschen nicht nur um politische Stabilität, sondern auch gegen den Hunger. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf Hilfe angewiesen.

© picture alliance / Mackenzie Knowles-Coursin/UNICEF/AP/dpa

Gotteshaus wird zum Flüchtlingsheim: Die Sehnsucht nach Frieden im Südsudan

Vier Jahre nach dem Bürgerkrieg führen ethnische Spannungen im Südsudan weiter zu Gewalt. Tausende Menschen leben in Flüchtlingscamps und leiden an Hunger.

Es war im vergangenen Jahr, ein Tag Mitte Mai, sagt Pater Emmanuel, als sich alles veränderte. Die Gewalt breitete sich in Western Equatoria aus, plötzlich und gnadenlos wie eine Tsunamiwelle, die nur Verzweiflung und Trümmer hinterlässt. Und ihr Ausmaß wuchs mit den Wochen. „Viele Leichen wurden in die Stadt gebracht. Viele unschuldige Zivilisten … Es war schrecklich.“

Pater Emmanuel, Priester an der katholischen Kirche St. Mary in der südsudanesischen Kleinstadt Tambura Town, erinnert sich an einige Feuergefechte, die direkt in der Stadt stattfanden. „Sie waren sehr heftig. Einmal im September waren die Kämpfer 100 Meter entfernt von mir“, berichtet er.

Nach ersten Rekonstruktionen gerieten im Bundesstaat Western Equatoria heimische Gruppen und Milizen aneinander, die mindestens zum Teil offenbar mit der südsudanesischen Regierungsarmee beziehungsweise der oppositionellen „Sudan People’s Liberation Army-In Opposition“ verbunden waren. Über Ursachen und Beteiligte kursieren jedoch widersprüchliche Aussagen. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind dabei Dutzende Zivilisten getötet worden, ihre Leichen verstümmelt und ganze Nachbarschaften in Flammen gesetzt. Gewalttaten auf beiden Seiten, die eventuell als Kriegsverbrechen gelten könnten, heißt es bei Amnesty.

Seit Oktober hat sich die Lage in der Region zwar entspannt, doch sporadische Zwischenfälle sollen mindestens bis Anfang Januar stattgefunden haben. Viele Menschen sind seither auf der Flucht und noch zu erschrocken, um zurückzukehren.

Draußen ist die Kirche von Zelten umgeben

Für Pater Emmanuel begann der Schrecken mit den vielen Leichen, die in die Stadt gebracht wurden. Und nach den Toten kamen die Lebenden. Erschrocken, teilweise erschöpft nach tagelangen Wanderungen durch den afrikanischen Busch. Die Kirche St. Mary verwandelte sich von einem Ort der Zusammenkunft in einen Ort des Zusammenlebens. Das Gotteshaus wurde zum Flüchtlingsheim.

Mehr als 4000 Menschen haben zwischenzeitlich dort gelebt. Bilder zeigen Schlafmatten, Decken und eingerollte Matratzen, die auf dem kahlen, ziegelroten Boden liegen, während die Sonnenstrahlen durch die verzierten Bleiglasfenster dringen; Stühle, Eimer und Töpfe sind wirr aneinander gereiht. Mitten im Chaos steht ein einsames Mädchen in einem langen, weiß-blauen Kleid. Draußen ist die Kirche von Zelten umgeben, die zum Teil aus Stofflumpen bestehen.

Tambura Town, eine Stadt nahe der kongolesischen Grenze im Westen des Landes im gleichnamigen Bezirk, zählt weniger als 10.000 Einwohner – und zeitweise mehr als 20.000 Binnenvertriebene. Tausende kamen aus den Nachbarorten, aber auch aus der Stadt selbst, weil sie sich in ihren Häusern nicht mehr sicher fühlten. Gut 80.000 Menschen sind im gesamten Western Equatoria geflohen, schätzt die UN-Mission in Südsudan (UNMISS). Viele zogen von einer Stadt in die nächste. So auch Deng (Name geändert), 78 Jahre alt, der zwei Tage lang von Tambura Town ins gut 90 Kilometer entfernte Ezo floh. Unter der sengenden Sonne, zu Fuß, bis jemand ihn auf sein Motorrad lud.

In Tambura Town können die Kinder nicht zur Schule

„Unser Haus wurde zerstört, andere in Flammen gesetzt. Menschen auf der Straße wurden erschossen oder niedergemetzelt. Wir rannten weg und ließen all unser Hab und Gut zurück“, sagt Deng. Die Gewalt kam im vergangenen Jahr plötzlich, unerbittlich. „Sie haben sich Pistolen besorgt und angefangen, Menschen zu erschießen. Als sie uns holen kamen, sind wir geflohen. Das war am zweiten September.“

Deng ging alleine, seine Frau versteckte sich. Derzeit lebt der Mann in einem Flüchtlingscamp in Ezo, einer Kleinstadt im Südwesten. Nicht nur die UN, auch andere internationale NGOs verteilen hier das Nötigste, leisten medizinische Hilfe. Aber es ist offenbar nicht genug, nicht für alle. „Die UN-Mission hat Essen, Bohnen, Mehl und so weiter mitgebracht“, sagt Deng. „Aber die Zahl der Menschen nahm zu und die Rationen sind sehr klein. Wir versuchen, davon zu überleben. Einige von uns suchen Yamswurzeln im Wald, wir bereiten sie dann zu.“ Manche Geflüchtete lebten in Plastikzelten, andere bauten Hütten aus Gras und Blättern. Landwirtschaftliche Geräte, aber auch sauberes Wasser seien nötig. „Es gibt einige Bäche, aber nicht genug und das Wasser ist schmutzig.“

Die UNMISS bestätigt, dass die Lage düster ist. In Tambura Town könnten die Kinder nicht zur Schule gehen. Und Krankheitsausbrüche, die teilweise zu Todesfällen führen, kämen in den Camps immer wieder vor. Pater Emmanuel, der seine Kirche in ein Erstaufnahmezentrum verwandelt hat, ist inzwischen selbst zum Vertriebenen geworden. Im September, als die Lage für Religiöse zu gefährlich wurde, habe man sie fortgebracht. „Gerade lebe ich in einem UN-Flüchtlingscamp“, erzählt er am Telefon. Er sagt, man brauche im Augenblick vieles, aber vor allem eines: Sicherheit.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf Hilfe angewiesen

Im Südsudan ist die Gewalt nichts Neues, wellenartig kommt sie immer wieder zurück. Auf dem Papier ist der Bürgerkrieg seit 2018 zwar offiziell vorbei, als Präsident Salva Kiir Mayardit und Oppositionsführer Riek Machar ein Friedensabkommen unterzeichneten und den fünfjährigen Konflikt beendeten. Doch allein mit einer Unterschrift waren die ethnischen Spannungen nicht aufzulösen. In der erst seit 2011 unabhängigen Republik leben etwa 11,2 Millionen Menschen, die mehr als 60 unterschiedliche Sprachen sprechen.

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Das jüngste Land der Welt kämpft aber nicht nur um politische Stabilität, sondern auch gegen den Hunger. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf Hilfe angewiesen, weniger als die Hälfte hat Zugang zu sauberem Wasser. Kürzlich haben heftige Überschwemmungen, laut UNHCR die heftigsten seit 60 Jahren, die Lage noch verschlimmert.

Für die Menschen in Tambura ist jetzt vor allem der Frieden wichtig, wiederholt Pater Emmanuel. Christopher Murenga, Leiter der UNMISS-Vertretung in Yambio, sagt: „Die Menschen haben noch Angst. Wir arbeiten gerade daran, das Vertrauen zwischen den ethnischen Gruppen wieder aufzubauen. Die Milizen müssen auch ihre Waffen niederlegen und das Gebiet verlassen.“ Damit sich die Welle der Gewalt ganz zurückzieht und das Leben weitergehen kann.

Serena Bilanceri

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