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Maskerade. Minister Christian Schmidt musste sich nach seinem Ja zur Zulassungsverlängerung von Glyphosat einiges gefallen lassen, akzeptable Kritik, aber auch inakzeptable.

© dpa

Glyphosat, TTIP, etc.: Wenn Debatten bis zur Morddrohung hin ausarten

Die Drohungen gegen Minister Christian Schmidt sind beispielhafte Auswüchse einer Debatte, in der die Stimmung wie zuletzt häufig die sachlichen Argumente erdrückt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Heike Jahberg

Deutschland ist empört. Seitdem Agrarminister Christian Schmidt in Brüssel maßgeblich dazu beigetragen hat, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat weitere fünf Jahre auf Felder und Gärten gesprüht werden darf, läuft die Empörungsmaschinerie auf Hochtouren. Politiker der Grünen und der SPD fordern – bildlich gesprochen – seinen Kopf, manche aufgebrachte Bürger meinen diese Forderung allerdings auch ganz konkret. Seit Tagen bekommt der Mann Morddrohungen, auch seine Familie wird nicht verschont. Das ist erschreckend. Und gefährlich – nicht nur für Christian Schmidt.

Keine Frage: Was der CSU-Politiker gemacht hat, war politisch falsch. Mit seinem Alleingang hat er Umweltministerin Barbara Hendricks, die Glyphosat ausmerzen möchte, düpiert; die Kanzlerin gleich mit. Schmidt hat sich nicht an die Spielregeln gehalten, die für ein vernünftiges Miteinander gelten.

Aber ihm deshalb mit dem Tod zu drohen – niemand darf so weit gehen.

Es ist nicht so schlicht wie angenommen

Hat uns der Agrarminister vergiftet? Liefert er uns den Bauern aus, die tonnenweise Herbizide aufs Feld kippen, weil es für sie die bequemste und billigste Lösung ist? Ist Schmidt einer, der auf der Payroll von Bayer/Monsanto steht – Großkonzerne, die Insekten und Vögel mit ihrem Killerpräparat aushungern und Menschen krank machen? Böse, böse wäre das. Doch so ist das nicht, so schlicht. Es sei denn, man nimmt allein die Fakten zur Kenntnis, die ins eigene Weltbild passen.

In der Wissenschaft gibt es bekanntlich nur eine prominente Stimme, die den Zusammenhang von Glyphosat und Krebs bejaht. Alle anderen Großstudien, Zulassungs- und Aufsichtsbehörden kommen zu einem anderen Ergebnis als die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC). Aber den anderen glaubt man nicht. Einzig die IARC hält Glyphosat für „wahrscheinlich krebserregend“, genauso übrigens wie rotes Fleisch oder Heißgetränke über 65 Grad. Schlimmer noch sind aber, sagen die Forscher dort, Tabak, Plutonium – und Sonnenstrahlen. Wer der IARC in Sachen Glyphosat folgt, dürfte konsequenterweise an Sommertagen seine Wohnung nicht verlassen.

Die Rolle der Aktivistenorganisationen

Eine Nation wird zu Chemieexperten. Oder zu Handelsexperten. Gegen große Freihandelsabkommen wie Ceta oder TTIP gehen Zehntausende auf die Straße – aus Angst, von den Verhandlern über den Tisch gezogen zu werden. Hoch komplexe Vertragswerke werden auf Chlorhühnchen reduziert, Schlagworte ersetzen sachliche Debatten. Warum? Weil die öffentliche Diskussion immer stärker geprägt wird von Meinungsmachern in Naturschutz-, Umwelt- und sonstigen Aktivistenorganisationen. Die müssen Spenden eintreiben, um zu überleben, und so fahren sie eine Kampagne nach der nächsten. Nach dem Muster: Die Wirtschaft ist gierig, die Politiker sind Marionetten, die Wissenschaftler sind korrupt. Manchmal stimmt das, aber öfter eben nicht. Da zu unterscheiden mag mühselig sein, aber lohnend ist es allemal.

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