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Ausbauen, um nicht abzubauen. Leerrohrbündel mit Glasfaserkabeln eines Breitband-Versorgers.

© Uli Deck / dpa

Global Challenges: Weckruf für ein digitales Europa

Der Kontinent muss nach der Pandemie den technologischen Sprung nach vorne wagen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Werner Hoyer

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Soziale Distanz wahren, ohne den Kontakt zu anderen zu verlieren. Nicht im Büro sein und trotzdem Zugang zu Daten haben. Produktionsketten überwachen, ohne vor Ort zu sein. Gäbe es keine Digitalisierung wäre das alles nicht möglich.

Im Kampf gegen Corona und die Folgen der Pandemie gewinnen digitale Technologien stark an Bedeutung. Ohne sie wären die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Covid-19 noch dramatischer. Wie hätte sich eine solche Pandemie wohl vor 20 Jahren ausgewirkt – vor der Gründung von Google und Skype, ohne Smartphones, soziale Medien, Cloud Computing und Filesharing? Wie hätten wir aus dem Homeoffice kleine und große Unternehmen weiterführen können?

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Jetzt könnte das Coronavirus zum Wendepunkt der Digitalisierung werden: Europa sollte mutig in die Digitalisierung investieren, um den Rückstand gegenüber globalen Konkurrenten aufzuholen. Es muss auch verhindert werden, dass aufstrebende europäische Digitalunternehmen durch die Krise in Finanznöte geraten und von amerikanischen oder chinesischen Branchengrößen zu Schleuderpreisen übernommen werden.

Zukunft gestalten statt diskutieren

Seit mehr als 15 Jahren investieren wir in der Europäischen Union weniger in Forschung, Entwicklung und Innovation als unsere wichtigsten Wettbewerber USA, China und Südkorea. Wir verbringen in Europa viel zu viel Zeit mit Diskussionen, wie wir den Status quo sichern können und viel zu wenig Zeit damit, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.

Es ist überfällig, das zu ändern – die enormen Aufbauprogramme für die Bewältigung der Corona-Krise bieten jetzt die Gelegenheit dazu. Mit ihrer grünen und digitalen Agenda ist die Europäische Kommission auf dem richtigen Weg, denn grün und digital sind zwei Seiten derselben Medaille.

Grüne und digitale Technologien sind die entscheidenden Wachstumsmärkte der kommenden Jahrzehnte, der Klimawandel ist nur im Zusammenwirken dieser Technologien zu bewältigen. Es wäre eine überaus gefährliche Illusion zu glauben, wir könnten die Klimaziele für die Jahre 2030 und 2050 mit den Technologien von heute erreichen. Doch während Europa bei grünen Technologien längst an der Weltspitze mitspielt, sieht es in der Digitalisierung leider ganz anders aus.

Eine kürzlich von der Europäischen Investitionsbank veröffentlichte Studie und der neue EIB-Digitalisierungsindex zeigen uns zwei Dinge: Zum einen sind digitale Unternehmen nicht nur innovativer und wachstumsstärker als nichtdigitale Unternehmen, sie schaffen auch mehr Arbeitsplätze. Zum anderen hinken die meisten EU-Staaten mit Blick auf digitale Aktivitäten und Investitionen den USA hinterher.

Mit Künstlicher Intelligenz im Hintertreffen

Andere Studien belegen, dass Europa insbesondere in einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ins Hintertreffen zu geraten droht: der Künstlichen Intelligenz. Von den 100 am schnellsten wachsenden KI-Unternehmen der Welt kommen nur fünf aus Europa – kein einziges ist unter den größten 50.

Wir sollten daher das Momentum für digitale Technologien durch die Pandemie als Weckruf verstehen. Wie konnte es so weit kommen, dass fast alle Technologieplattformen, von denen wir heute abhängig sind, ihren Sitz in den USA haben? Europa kann es sich nicht leisten, den geostrategischen Wettbewerb um die digitalen Märkte der Zukunft zu verlieren.

Wenn wir unseren Wohlstand und unsere Werte für die kommenden Generationen sichern wollen, müssen wir die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen stärken. Mit konsequenter Innovation und produktiverem, nachhaltigem Wachstum können wir schneller aus der Krise kommen.

Die Grundlage hierfür ist eine leistungsstarke digitale Infrastruktur, für die sich die EU bis 2025 drei Ziele gesetzt hat: 100-Mbit/s-Anschlüsse für alle Haushalte. Gigabitanschlüsse für alle Institutionen wie Schulen, Universitäten, Forschungszentren Krankenhäuser, öffentliche Verwaltungen und digitale Unternehmen; sowie ununterbrochener 5G-Empfang in allen urbanen Zentren und an Hauptverkehrswegen.

Obwohl die dazu notwendigen Investitionen zum Großteil vom Markt bereitgestellt werden, bleibt eine enorme Investitionslücke von fast 50 Milliarden Euro im Jahr, die sich durch die Folgen der Coronapandemie noch weiter vergrößern dürfte.

Öffentliche Investitionen sind notwendig

Öffentliche Investitionen sind daher dringend notwendig, um digitale Technologien und Infrastruktur voranzubringen. Die EIB hat in den vergangenen vier Jahren bereits gut zehn Milliarden Euro investiert und 70 Millionen Haushalten zu schnellem Internet verholfen. Überdies hat die Bank soeben 150 Millionen Euro für KI-Projekte in der EU freigegeben.

Damit Europa an der Spitze der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen bleiben beziehungsweise wieder zu ihr aufschließen kann, ist digitale Sicherheit ebenso wichtig wie eine leistungsstarke Infrastruktur. Fehlende Cybersecurity könnte zur Achillesferse für Europas Digitalisierung werden. Immer häufigere und erfolgreiche Hackerangriffe in den vergangenen Jahren, etwa auf den Deutschen Bundestag, zeigen, wie notwendig es ist, in die Sicherheit unserer Netzwerke und digitalen Dienstleistungen zu investieren. Deshalb fördert die EIB zum Beispiel junge Unternehmen wie Clavister aus Schweden, deren Sicherheitstechnologie unter anderem Netzwerke von Wasser- oder Stromversorgern schützt.

Die weltweite Unsicherheit ist wegen der Corona-Pandemie derzeit besonders groß, wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Angebots- und Nachfragekrise, wie wir sie noch nicht erlebt haben. Millionen von Arbeitsplätzen sind bereits verloren gegangen oder akut bedroht.

Wachstum mit Nachhaltigkeit

Kurzfristig muss es in der Tat darum gehen, das Überleben kleiner und großer Unternehmen zu sichern. Obwohl nationale Regierungen und die Europäische Union beispiellose finanzielle Anstrengungen unternommen haben, um schnell und umfassend zu helfen, wird manches Unternehmen Investitionen in die Digitalisierung erst einmal zurückstellen, obwohl es eigentlich das Gegenteil tun müsste.

Auf die Bewältigung der akuten Krise muss deshalb rasch eine strategisch gelenkte Erholung folgen. Mittelfristig muss Europa die Chance nutzen, die die derzeitige Entwicklung für digitale Technologien bietet, um aufzuholen und stärker als zuvor nachhaltiges, ressourcenschonendes Wachstum zu schaffen.

Ob es um den Ausbau ländlicher Breitbandnetzwerke geht, der Förderung europäischer 5G-Technologie oder der Finanzierung von KI-Projekten - die EIB steht bereit, Europas Digitalisierung gemeinsam mit starken privaten und öffentlichen Partnern den entscheidenden Impuls für einen Sprung nach vorne zu geben.

Werner Hoyer

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