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anAlles für die Neue Seidenstraße. Chinesische Arbeiter bauen die Kulisse für ein Panel während des zweiten Belt and Road Forum in Peking ab (2019).

© AFP/Greg Baker

Global Challenges: Seitenwege zur Seidenstraße

Die EU braucht eine neue Indopazifik-Strategie, um Chinas Wirtschaftsmacht zu begrenzen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Renate Schubert

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Renate Schubert. Sie lehrt als Nationalökonomin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und am Singapore ETH-CentreSenior Advisor. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Jürgen Trittin und Prof. Dr. Bert Rürup.

Über den Rückzug der USA und der Nato-Länder aus Afghanistan zeigte sich China hocherfreut. Peking bietet sich nun die Möglichkeit, die letzte Lücke seines 2013 gestarteten Mega-Projekts Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) zu schließen und Waren auch über Afghanistans Transportwege zwischen Ost und West zu verschieben.

Bei der BRI geht es darum, den Güterverkehr zwischen westeuropäischen Ländern und China mit Lastwagen und Eisenbahnen durch Zentralasien und mit Containerschiffen auf den indopazifischen Routen zu beleben. Der entsprechende Infrastrukturausbau wird von China (vor)finanziert, die Partnerländer stimmen dem von Peking geplanten Infrastrukturausbau auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zu. Außerdem plant die Volksrepublik auch Investitionen in Landwirtschafts-, Industrie- und Rohstoffprojekte: Gerade für ärmere asiatische, afrikanische und europäische Länder ist das mehr als ein Hoffnungsschimmer.

Nachdem sie die 10000 Kilometer lange Strecke hinter sich haben, kommen mittlerweile im Duisburger Hafen jede Woche rund 60 Güterzüge aus China an. Im vergangenen August wurde der Wilhelmshavener Jade-Weser-Port als offizieller Teil der BRI eingeweiht. Insgesamt plant China in seinem Mega-Projekt Investitionen in rund 100 Ländern mit ungefähr vier Milliarden Einwohnern.

Peking will seine Handelsrolle stärken

Der Zweck ist klar: Peking will seine Rolle im internationalen Handel stärken. Es geht um gut ausgebaute Verkehrsverbindungen, neue Absatzmärkte, Zugang zu Rohstoffen und die Auslagerung von Überkapazitäten. Außerdem will China seine geopolitische Position stärken, nicht zuletzt in militärischer Hinsicht. Gut ausgebaute neue Tiefseehäfen im indopazifischen Raum würden es China beispielsweise erlauben, bestehende Schifffahrtswege zu modernisieren und damit vor allem den Konkurrenten Indien auszustechen.

Das alles rief die USA, Japan und Australien auf den Plan: 2019 starteten sie die Gegeninitiative „Blue Dot Network“. Die Europäer konnten sich erst im April 2021 auf eine „EU-Strategie für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum“ verständigen – ein überfälliger Beschluss, soll der alte Kontinent nicht von der BRI überrollt werde.

Die Engagements europäischer Firmen in zentralasiatischen Ländern sind bisher überschaubar, zum einen wegen politisch heikler Konstellationen in diesen Staaten, zum anderen weil die entsprechenden Märkte als wenig gewinnträchtig gelten. Letzteres auch deshalb, weil Unternehmen aus der EU vergleichsweise strikte Umweltauflagen und hohe Regulierungsstandards beachten müssen. Gegenüber China geraten sie da schnell ins Hintertreffen.

Eine koordinierte Kooperations-Strategie könnte die Wettbewerbsposition europäischer Unternehmen spürbar verbessern – zumal inzwischen schon mehrere BRI-Partnerländer bedauern, sich auf den Deal mit China eingelassen zu haben. Die anfängliche Euphorie über die in Aussicht gestellten chinesischen Investitionen ist beispielsweise in Sri Lanka, Malaysia und Thailand, aber auch in Italien deutlicher Ernüchterung gewichen. Sie resultiert nicht zuletzt daraus, dass viele Partnerländer sich bei China hoch verschulden mussten, um die Infrastrukturinvestitionen mitfinanzieren zu können.

Das Instrument der Schuldenfalle

Peking nutzt die „Schuldenfalle“, um die finanziell abhängigen Länder auf seine geostrategischen Interessen einzuschwören. Hinzu kommt: Die Partnerländer haben in ihrem eigenen Land bei der konkreten Gestaltung der Infrastrukturinvestitionen kein echtes Mitspracherecht. Peking gibt vor, was wie zu tun ist. Außerdem investiert China nur, wenn chinesische Firmen und Arbeitskräfte die Projekte umsetzen. Damit fallen die von den Partnerländern erhofften einheimischen Arbeitsplatzgewinne deutlich geringer aus als gedacht.

Ist vor diesem Hintergrund die EU-Strategie zur indopazifischen Zusammenarbeit geeignet, ein Gegengewicht zur BRI zu bilden und Pekings geopolitischen Vormarsch – und damit die geopolitische Entmachtung Europas – zu bremsen? Die Antwort lautet: Ja, aber nur, wenn den schönen Worten schnell konkrete Taten folgen. Die Unzufriedenheit vieler BRI-Partnerländer bildet einen idealen Nährboden, neue Allianzen zu schmieden und Alternativen zu Chinas Aktivitäten zu schaffen.

Dieses Momentum sollten die Europäer nutzen. Die Grundidee der EU-Strategie ist durchaus überzeugend: Die EU-Mitgliedsländer wollen verstärkt als Kooperationspartner im indopazifischen Raum auftreten, etwa mit Freihandelsabkommen, in der Entwicklungszusammenarbeit, bei gemeinsamen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise und im Hinblick auf die Folgen der Corona-Pandemie.

Grundsätzlich soll dabei, im Gegensatz zu Pekings Praxis, die Einhaltung der Menschenrechte einen hohen Stellenwert haben und die Autonomie der Partnerländer gefördert werden. Geplant ist, in Afrika und Asien ehrgeizige Handels- und Investitionsabkommen zu schließen, wobei die bereits mit Japan, Südkorea, Singapur und Vietnam besiegelten Abkommen als Vorbild dienen können.

Uneinigkeit in Europas China-Politik

Regionale Stabilität, Wohlstand und Sicherheit in den Partnerländern stehen im Zentrum der EU-Initiative. All dies soll einen Gegenpol zu Chinas wirtschaftlichem Expansionismus schaffen – sowohl in der Handelspolitik als auch im technologischen, politischen und sicherheitspolitischen Bereich. Allerdings: Die EU-Strategie für den indopazifischen Raum ist bisher sehr allgemein gehalten, und konkrete nächste Schritte fehlen weitgehend.

Tatsächlich war es ja schon ein Kunststück, die Mehrheit der in ihrer Einschätzung der Neuen Seidenstraße heterogenen EU-Staaten hinter dieser Strategie zu vereinen. Während beispielsweise Italien auf Distanz zur BRI gegangen ist, treten Griechenland und Ungarn weiterhin für Chinas Mega-Projekt ein.

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Dieser sehr allgemeine Charakter der EU-Strategie erschwert eine rasche und wirkungsvolle Implementierung der Vorhaben in der indopazifischen Region. Die unlängst von den USA, Großbritannien und Australien verkündete Sicherheitsallianz, in deren Rahmen Australien nuklearbetriebene U-Boote nicht mehr von Frankreich, sondern im Rahmen der Allianz bezieht, hat die Bedeutung dieser Region noch einmal verdeutlicht – vor allem für die USA in ihrem Machtkampf mit China.

Letztlich kann es der Europäischen Union nur gemeinsam mit den USA gelingen, die geopolitischen Ansprüche Chinas in die Schranken zu weisen. Die beim G7-Gipfel im Juni beschlossene milliardenschwere Infrastruktur-Initiative für Schwellenländer könnte hier eine Grundlage sein. Zu beachten ist jedoch: China ist zwar Konkurrent, aber auch Partner. Die EU wäre gut beraten, die positiven Effekte der wirtschaftlichen Verflechtung mit China nicht zu gefährden. Sie sollte gegenüber Peking entschieden, aber im Ton gemäßigt auftreten und unnötige Konfrontationen vermeiden.

Kurzum: Die neue Indopazifik-Strategie der Europäischen Union ist ein schwieriger Balanceakt. Ob er gelingt, scheint derzeit ungewiss.

Renate Schubert

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