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Auch Seltene Erden haben ihr Gewicht. Chinesischer Minenarbeiter in Nancheng in der Provint Jiangxi (2010).

© REUTERS

Global Challenges: Kampf um den Rohstoff der Zukunft

Europa muss Chinas Monopol bei Seltenen Erden brechen

Ein Gastbeitrag von Günther H. Oettinger

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Günther H. Oettinger, Präsident von United Europe e.V. und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Oettinger Consulting GmbH in Hamburg. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Prof. Dr. Volker Perthes,, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Es passierte im Morgengrauen. Ein chinesischer Fisch-Trawler rammt im Südchinesischen Meer eine japanische Patrouille, die Japaner entern das Fangschiff und nehmen die chinesische Besatzung fest. Japan und China entsenden Kriegsschiffe in die Region, die USA setzen einen Flugzeugträger in Marsch. Der Vorfall ereignete sich im September 2010 – und ging als erster Höhepunkt des bis heute andauernden Streits über die Territorialrechte an unbesiedelten Mini-Inseln und Felsenriffen in die Geschichte ein.

Der auf den ersten Blick bizarr anmutende Konflikt hat mit den reichen Fischgründen und Rohstoffvorkommen im Südchinesischen Meer zu tun und dessen strategischer Bedeutung als zentrale Versorgungsstraße Ostasiens. Diplomaten gelang es, die drohende militärische Krise zu entschärfen. Was aber in Vergessenheit geraten ist: Peking konterte die Beschlagnahme des Fisch-Trawlers mit Maßnahmen, die weit wirksamer waren als Kanonenschüsse.

Fast einen Monat lang unterband China jede Lieferung Seltener Erden an Japan – und löste damit eine globale Materialkrise aus. Internationale Lieferketten rissen ab, die Preise auf den Rohstoffmärkten explodierten. Ein Kilo des zum Beispiel in Flachbildschirmen verarbeiteten Europiums kostete plötzlich 500 statt 50 Dollar.

Inzwischen hat China seine Marine kräftig ausgebaut und auf den Mini-Inseln Häfen, Kasernen und Flugplätze errichtet. Peking geht bei den Territorialkonflikten des Südchinesischen Meers immer „robuster“ vor. Was sich in den vergangenen zehn Jahren hingegen nicht geändert hat ist die Abhängigkeit der restlichen Welt von Chinas Monopol auf Seltene Erden. Kann dieses Monopol noch gebrochen werden? Oder anders gefragt: Kann Peking vielleicht ein Trumpf auf dem Weg zur globalen wirtschaftlichen Vorherrschaft genommen werden?

Rohmaterial für Smartphones

Schon das breite, zukunftsträchtige Spektrum der Seltenen Erden zeigt, welch immense Bedeutung die Tatsache hat, dass China 90 Prozent dieser Rohstoffe fördert: Ohne sie gäbe es zum Beispiel keine Smartphones oder Notebooks, keine LED-Leuchten oder Elektroautos. Seltene Erden sind unerlässlich für die Herstellung von Dauermagneten, die in Lautsprechern, Kopfhörern und Festplatten ebenso benötigt werden wie in der Luft- und Raumfahrt.

Die Magneten sind entscheidende Komponenten in den meisten Dekarbonisierungs-Technologien, ohne die der Green Deal der Europäischen Union mit seinen ambitionierten Klimazielen von vornherein illusorisch wäre. Ohne die Magnete gäbe es keine Elektro-Autos, weder Züge oder Lkws mit Brennstoffzellen, ganz zu schweigen von Windkraftanlagen.

Die ersten dieser hochwertigen Metalle entdeckte man schon Ende des 18. Jahrhunderts in Europa als Bestandteile seltener Mineralien. Sie wurden in chemischen Prozessen in Form ihrer Sauerstoffverbindungen, früher „Erden“ genannt, isoliert. Daher stammt der Begriff „Seltene Erden“. Wirklich selten aber sind sie nicht. Die Grundstoffe kommen relativ häufig vor, meist aber nur in kleinen Mengen. Mehrere Länder stellten die mit erheblichen Umweltschäden verbundene Förderung in den 1990er Jahren ein oder fuhren sie zumindest stark zurück – das ist der Grund für Chinas heutige Vormachtstellung.

2010, als die Preise explodierten, erklärte der damalige Premierminister Wen Jiabao: „Anfang der 80er Jahre haben wir die Seltenen Erden noch zum Preis von Salz verkauft. Doch eigentlich verdienen sie den Preis von Gold. Wir fangen gerade erst an, unsere selbstverständlichen Interessen zu wahren.“ In der Tat: Galten Kohle und Erdöl einst als „Schwarzes Gold“, so haben Seltene Erden die fossilen Energieträger längst als „Goldstandard“ abgelöst.

Tausch von Abhängigkeiten

Vor diesem Hintergrund warnt der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, zu Recht davor, die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energien gegen eine noch größere Abhängigkeit von Seltenen Erden einzutauschen. Denn China geht, wie nicht anders zu erwarten, alles andere als zimperlich vor: Mit Exportquoten steuert Peking den Preis Seltener Erden fast nach Belieben. Längst haben die Chinesen sich zur Absicherung ihrer Monopolstellung zusätzliche Schürfrechte in anderen Ländern gesichert, etwa in Australien und Afrika.

Konkurrenten werden gnadenlos vom Markt verdrängt, wie ein Beispiel aus den USA zeigt. Dort musste die große Mine am Mountain Pass in Kalifornien wegen der Billig-Konkurrenz aus Fernost 2002 aufgeben. Als dann 2010 die Preise explodierten, fanden sich neue Investoren. Doch 2015 gaben auch sie wieder auf – China hatte zwischenzeitlich den Markt für Seltene Erden überschwemmt, die Preise brachen um 90 Prozent ein.

Zwei Jahre später sicherte sich eine neue Investorengruppe die Schürfrechte. An ihr beteiligt, man ahnt es schon, ist ein chinesischer Konzern. Seltene Erden haben für Chinas weltwirtschaftliches Hegemoniestreben strategische Bedeutung.

Um diesem Hegemoniestreben etwas entgegenzusetzen, kann es aus europäischer Sicht bei Seltenen Erden kein „business as usual“ geben. Stattdessen muss die Sicherung der Versorgung mit strategischen Rohstoffen Priorität haben, nicht zuletzt im Interesse der Sicherung von Arbeitsplätzen in Schlüsselindustrien.

Europa muss seine Abhängigkeit von China durch Allianzen, Handelsabkommen und intelligente Recyclingstrategien entscheidend verringern – zumal die weltweite Nachfrage nach Seltenen Erden deutlich steigen und in Europa geradezu explodieren wird. Initiativen wie die im vergangenen September von der EU-Kommission ins Leben gerufene Europäische Allianz für Seltene Erden, verdienen deshalb jede Unterstützung.

Hohe Betriebs- und Umweltkosten

Eines muss dabei allerdings klar sein: Die Realisierung neuer Projekte könnte an zu hohen Betriebs- und Umweltkosten scheitern. Um das zu verhindern, sollte – wie in den USA – eine mit öffentlichen Geldern geförderte moderne Separationsanlage für Seltene Erden aufgebaut werden. Derzeit verhandelt die EU mit Serbien und der Ukraine über die Erschließung Seltenen Erden. Auch Grönland mit seinen riesigen Rohstoffvorkommen bietet eine gute Perspektive – vorausgesetzt, beim Abbau können die damit verbundenen Umweltprobleme entschärft werden.

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Wie auch immer: Als Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sich Ende 2019 auf dem Höhepunkt des vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump ausgelösten Handelskonflikts vor einer Produktionsanlage für Seltene Erden fotografieren ließ, schrillten in den internationalen Rohstoff-Agenturen die Alarmglocken.

Zeichnete sich da erneut ein Lieferstopp ab – wie nach der Beschlagnahme des chinesischen Fisch-Trawlers im September 2010? Dann kam Corona. China und bald auch die restliche Welt hatten andere Sorgen. Dennoch sollte Europa so schnell wie möglich dafür sorgen, dass Xis künftige Seltene-Erden-Fototermine keinen Alarm mehr auslösen.

Günther H. Oettinger

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