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Flucht aus Somalia. Eine Schwangere 2011 in der Nähe eines UNHCR Flüchtlingslagers in Dadaab (Kenia).

© Jereome Delay / dpa

Global Challenges: Hilfloser Helfer

Die Europäische Union muss ihre Entwicklungspolitik auf ein neues Fundament stellen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Werner Hoyer

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Gastbeitrag von Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg. Regelmäßige Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Mit ihrem im Juli beschlossenen Aufbaupaket hat die Europäische Union einen historischen Schritt zu mehr innerer Solidarität getan. Die Staats- und Regierungschefs haben verstanden, dass der extreme wirtschaftliche Einbruch durch die Covid-19-Pandemie nur zu bewältigen ist, wenn die Mitgliedstaaten eng zusammenstehen.

Das sehen auch die Finanzmärkte so: Sie bewerten die Gipfel-Beschlüsse als Zeichen der Stärke, wie am Euro-Kurs abzulesen ist. Die engere Integration in der EU und die Wiederbesinnung auf die Stärke des Binnenmarkts sind deutliche Signale des Zusammenhalts in einer Welt, in der nationale Egoismen immer stärker multilaterale Kooperation verdrängen.

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Diese Signale innerer Solidarität muss Europa jetzt auch verstärkt nach außen senden. Anstatt sich, wie in der Euro-Krise, nur mit eigenen Problemen zu beschäftigen, sollte die EU in wichtigen geopolitischen Fragen eine Vorreiterrolle anstreben. Ein Baustein ist dabei Europas Engagement in der internationalen Entwicklungspolitik.

Die Pandemie droht bis zu 100 Millionen Menschen in extreme Armut zu stürzen

Die Weltbank schätzt, dass die Pandemie in diesem Jahr bis zu 100 Millionen Menschen in extreme Armut stürzen könnte, wobei Subsahara-Afrika und Indien wohl am stärksten betroffen sind. Dies wäre der erste Anstieg extremer Armut seit 1998. Hinzu kommt, dass keine der Sicherheitsbedrohungen und Herausforderungen verschwunden ist.

Im Gegenteil: Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen drohen sich wechselseitig zu verstärken. Es gibt bereits Hinweise darauf, dass die Zahl gewaltsamer Zwischenfälle in Konfliktregionen wie der Sahel-Zone und dem Irak zunimmt. Dazu gehören auch verstärkte Aktivitäten des „Islamischen Staates“.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage von zentraler Bedeutung, ob Europa seine Entwicklungspolitik auf ein neues Finanzierungs-Fundament stellen kann. Sieht man von nationalen Förderinstitutionen einmal ab, konzentriert sich die europäische Entwicklungsfinanzierung auf drei Ebenen.

Erstens: Auf der globalen Ebene repräsentieren die 27 EU-Mitgliedstaaten zusammen etwa ein Drittel des Kapitals der Weltbank. Zweitens: Auf regionaler Ebene halten die Europäer Anteile an Entwicklungsbanken wie der Afrikanischen Entwicklungsbank oder der Asiatischen Entwicklungsbank. Drittens: Auf europäischer Ebene führt die EU seit über 50 Jahren ihre bilaterale Entwicklungsfinanzierung über ihre Förderbank, die Europäische Investitionsbank (EIB), durch.

In einer idealen Welt benötigten wir nur eine Ebene, die der global agierenden Weltbank. Die Staaten würden sich in der Uno-Generalversammlung auf Entwicklungsziele für einzelne Länder verständigen und dann die Weltbank beauftragen, die Ziele umzusetzen. Doch wir leben nicht in einer idealen Welt und werden deshalb weiterhin alle Ebenen der Entwicklungsfinanzierung benötigen. Trotzdem muss die EU – in Zeiten von „America first“, „China first“ und „Russia first“ – ihre strategische Autonomie stärken, um die europäischen Prioritäten besser und sichtbarer voranzubringen.

Grüne Transformation muss sein

Bei der Bekämpfung des katastrophalen Klimawandels hat die EU das bereits getan. In einer Zeit, in der führende Mächte den Klimawandel leugnen oder seine Bekämpfung aus wirtschaftlichem Interesse bremsen, hat die EU mit dem „European Green Deal“ ein weltweit beachtetes Zeichen gesetzt. Sie wird nicht nur auf dem eigenen Kontinent die grüne Transformation entschlossen angehen, sondern auch Entwicklungsländer bei der Bekämpfung und Bewältigung des Klimawandels unterstützen.

Eine ähnliche Signalwirkung sollte die EU nun auch auf dem Feld der Entwicklungszusammenarbeit entfalten – als Verteidiger internationaler Solidarität und multilateraler Kooperation zur Lösung globaler Probleme.

Für Letzteres braucht es eine deutliche Aufstockung und Aufwertung der gemeinsamen europäischen Entwicklungsfinanzierung. Wir müssen Entwicklungspolitik endlich groß denken! Andere Länder machen vor, wie das geht: China hat nicht nur die Asian Infrastructure Investment Bank gegründet, sondern auch das Engagement seiner bilateralen Entwicklungsbank, der China Development Bank, unter dem Banner der von Xi Jinping zum Großprojekt erklärten „Neuen Seidenstraße“ massiv erhöht.

Selbst die USA führen unter dem Dach der Development Finance Corporation verschiedene Institutionen zusammen, um die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit finanziell zu stärken. Das zeigt Wirkung: Obwohl die EU mit 75 Mrd. Euro jährlich der größte Geber öffentlicher Entwicklungshilfe ist, erhält das Engagement anderer Akteure, wie eben der USA und Chinas, oft mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Asymmetrie zwischen Aufwand und Wirkung

Um diese Asymmetrie zwischen Aufwand und Wirkung zu korrigieren, braucht Europa eine starke EU-Entwicklungsbank, die aufbauend auf den bestehenden Strukturen drei zentrale Schwächen im gegenwärtigen System beseitigt: Die EU muss durch eine stärkere Einbindung der 27 Entwicklungsminister die von den Mitgliedsstaaten eingesetzten Mittel entwicklungspolitisch besser auf einander abstimmen; sie muss sicherstellen, dass sämtliche Einzelprojekte den von der Europäischen Kommission definierten entwicklungspolitischen Zielen dienen; die EU muss die eingesetzten Mittel, wo es möglich ist, finanziell hebeln.

Der letzte Punkt ist dabei ganz entscheidend: Im Moment leistet sich die EU den Luxus, einen Großteil ihres Engagements über Subventionen zu steuern, statt auf Kredite und andere Finanzinstrumente zurückzugreifen. Das ist schlicht fahrlässig, denn die Erfahrung zeigt, dass mit dem Einsatz von Finanzinstrumenten eine Hebelung mit einem Faktor fünf bis zehn erzielt werden kann.

Mit anderen Worten: Wir brauchen die Einbindung des Privatsektors in die Entwicklungszusammenarbeit – zum einen durch die direkte Beteiligung von Privatinvestoren an der Finanzierung einzelner Entwicklungsprojekte und zum anderen, indem eine EU-Entwicklungsbank Anleihen begibt, durch deren Kauf sich private Investoren an ganzen Portfolios von Entwicklungsprojekten beteiligen können. Bestes Beispiel hierfür sind die von der EIB begebenen Green Bonds für Klimaprojekte.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sollte bis Jahresende ein Zeichen setzen und die europäische Entwicklungspolitik effektiver ausrichten. Minister Gerd Müller hat bereits mit seinem Marshallplan für Afrika wichtige Signale in Richtung einer wirksameren Entwicklungspolitik gesetzt. Wir sollten nun die Gelegenheit nutzen, ähnliche Weichenstellungen auf EU-Ebene vorzunehmen – und damit ein Signal senden, dass Europa sich auf der geopolitischen Bühne nicht mit der Rolle eines mehr oder weniger hilflosen Helfers zufrieden geben will.

Werner Hoyer

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