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Cooler Feger. Konzeptstudie eines Flugzeugs mit verbesserter Ökoeffizienz.

© DLR

Global Challenges: Die Wertschöpfung wird neu geordnet

Deutschland und Europa müssen sich rechtzeitig auf den weltweiten Wettlauf um grünen Wasserstoff einstellen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Veronika Grimm

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrats. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Dr. Volker Perthes,, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Geraten Europas und insbesondere Deutschlands exportorientierte Unternehmen zwischen die Fronten, wenn der Konflikt zwischen China und den USA weiter eskaliert? Die Sorge gibt es, seitdem der Begriff „Decoupling“ Konjunktur hat.

Deutschland und der weltgrößte Kohle-Exporteur Australien starten in diesen Tagen ein Projekt, bei dem es um nichts Geringeres als den Aufbau eines globalen Handels mit erneuerbarer Energie geht – eine entscheidende Voraussetzung für die klimapolitische Wende zu einer defossilisierten Wirtschaft. Beide Länder wollen binnen zwei Jahren aufzeigen, dass zwischen den Kontinenten eine stabile Wasserstoff-Lieferkette auf Basis erneuerbarer Energien errichtet werden kann.

Die Erkenntnisse werden nicht nur den Weg in ein postfossiles Zeitalter weisen. Der globale Handel mit erneuerbaren Energien wird auch eine Neuordnung von weltweiten Wertschöpfungsketten auslösen.

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Warum aber kommen gerade zwei geographisch so weit voneinander entfernte Länder auf die Idee, in Australien Strom aus erneuerbarer Energie zu erzeugen und diesen nach Deutschland zu transportieren? Die Antwort: Beim globalen Handel von grünem Wasserstoff fallen die Transportkosten langfristig kaum ins Gewicht. Klimaneutrale Energieträger lassen sich per Schiff über lange Distanzen transportieren. Für die Erzeugung von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten eignen sich Standorte, an denen in großen Mengen Strom aus erneuerbaren Energien wie Photovoltaik, Windkraft, Geothermie oder Wasserkraft gewonnen werden kann.

Import grünen Wasserstoffs ist möglich

Dort kann Wasserstoff durch die Spaltung von Wasser mittels Elektrolyse klimaneutral hergestellt werden. Um den Wasserstoff auf dem Seeweg gut transportieren zu können bietet es sich an, ihn durch starkes Abkühlen zu verflüssigen oder chemisch zu binden. Analysen zeigen, dass der Import grünen Wasserstoffs aus allen Teilen der Welt technologisch möglich ist.

Deutschland und Europa sind gut beraten, sich rechtzeitig auf den weltweiten Wettlauf um Wasserstoff einzustellen, um so im Wettbewerb mit technologisch führenden Ländern wie Japan langfristig auf Augenhöhe zu agieren. Denn selbst bei ambitionierten Ausbauszenarien für erneuerbare Energien wird Deutschland, ebenso wie die meisten europäischen Staaten, auf dem Weg in die Klimaneutralität immer Energieimporteur bleiben.

Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass die Bundesrepublik langfristig gut 80 Prozent des Bedarfs an klimaneutralem Wasserstoff importieren wird, der eine Schlüsselrolle etwa bei der Defossilisierung des Schwerlast- und des Flugverkehrs aber auch der Herstellung von CO2-neutralem Stahl spielt. Die im September zwischen Canberra und Berlin vereinbarte Machbarkeitsstudie ist ein wichtiger Schritt zur Neuaufstellung des globalen Energiehandels.

Es gibt weltweit viele potenzielle Anbieter erneuerbarer Energieträger, beispielsweise Island, Kanada, Marokko, Patagonien oder Australien. Mit einigen Ländern wie Russland, die uns schon heute mit fossilen Energieträgern versorgen, ist auch ein Handel mit erneuerbaren Energieträgern denkbar. Es liegt nahe, diese Partnerschaften voranzutreiben und etablierte Energiehandelsbeziehungen schrittweise auf erneuerbare Energieträger umzustellen.

Stabilität bei der Partnerwahl

Partnerschaften mit Ländern wie Marokko, aus denen wir bisher nicht in nennenswertem Umfang Energie beziehen, könnten dazu beitragen, Abhängigkeiten zu diversifizieren. Bei der Suche nach langfristigen Partnerschaften spielen nicht zuletzt das jeweilige politische Umfeld und die erwartete Stabilität beziehungsweise Instabilität der Regionen eine Rolle.

Gerade diese Aspekte haben in der Vergangenheit Ambitionen gebremst, im Rahmen des Desertec-Projekts Grünstrom aus der Wüste über Stromleitungen nach Europa zu importieren. Wird jedoch anstelle von fest installierten Hochspannungsleitungen durch politisch instabiles Terrain der Seeweg genutzt, dürften die Lieferketten deutlich weniger verletzbar sein.

Viele Staaten erhoffen sich durch den Export klimaneutraler Energieträger künftig Wachstumschancen. So haben etwa Argentinien und Chile gute Möglichkeiten, Wind und Sonnenenergie auszuführen, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und vor Ort direkt an die Wasserstoffherstellung anknüpfende Produktionsschritte aufzubauen. Dafür spricht, dass reiner Wasserstoff gasförmig schwer über See transportierbar ist.

Die direkte Herstellung von Kraftstoffen oder von synthetischen Folgeprodukten wie Ammoniak und Methanol im Herkunftsland, die in flüssiger Form gut zu transportieren sind, wäre daher die logische Folge.

In diesem Zuge würde allerdings Wertschöpfung, die heute beispielsweise in der deutschen Chemieindustrie stattfindet, ins Ausland verlagert. Die Umstellung auf eine ressourcenschonende Wirtschaft führt also zwangsläufig auch zu einer Neuordnung der Wertschöpfungsketten.

Mehrwert für die Menschen in Afrika

Im Gegenzug eröffnet sich durch die Umstellung auf erneuerbare Energieträger für die deutsche Industrie ein erhebliches Potenzial, Investitionsgüter zur Herstellung, Weiterverarbeitung und zum Transport von Wasserstoff und seinen Folgeprodukten zu exportieren - etwa Elektrolysesysteme, chemische Anlagen oder Kompressoren.

Auch in Afrika gibt es hervorragende Bedingungen zur Herstellung von grünem Wasserstoff. Viele afrikanische Länder haben weit mehr Sonnen- und Windpotenzial als europäische Staaten. Der Einstieg in den Export dieser Energie könnte Arbeitsplätze und Entwicklungschancen bringen – sowie langfristig für mehr politische Stabilität sorgen. Berechtigterweise weisen Nichtregierungsorganisationen darauf hin, dass Energiepartnerschaften auch einen Mehrwert für die Menschen in Afrika haben müssten.

Kritisch angemerkt wird, die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit erneuerbarem Strom könnte durch die Verwendung von Anlagen und Flächen für den Export eingeschränkt werden. Vielerorts sind es aber gerade die unwirtlichen Landstriche weit entfernt von den Ballungszentren, die sich für den Energieexport anbieten. Oft sind diese Landstriche nicht an ein Stromnetz angeschlossen, liegen aber küstennah und somit günstig für den Export stofflicher Energieträger auf dem Seeweg.

Obwohl die von Deutschland angestrebte Klimaneutralität im Jahr 2050 noch in weiter Ferne liegt: Der Wettlauf um künftige Partnerschaften im globalen Energiehandel hat bereits begonnen. Machbarkeitsstudien wie die zwischen Australien und Deutschland werden viele Dinge zu Tage fördern, die es noch zu meistern gilt - zum Beispiel die Möglichkeiten aber auch die Grenzen, bestehende Infrastruktur zu nutzen sowie die Vor- und Nachteile verschiedener Formen der Logistik.

Klar ist aber schon heute: Wollen Deutschland und Europa auf der geopolitischen Bühne wieder mehr Gehör finden, müssen sie auch viel Kraft in den grünen Wasserstoff-Wettlauf investieren.

Veronika Grimm

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