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Vorstellung eines spanischen Wasserstoff-Korridor-Projekts. Teilnehmer des am 22. Februar vorgestellten BH2C-Projektes in Bilbao.

© Inigo Sierra / dpa

Global Challenges: Die Infrastruktur der Zukunft

Europa sollte  im Schwerlastverkehr auf Wasserstoff setzen – auch um künftig in  wichtigen Exportmärkten zur Weltspitze zu gehören. Ein Gastbeitrag.

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaft an der FAU-Universität Erlangen-Nürnberg und seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Weitere AutorInnen sind Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

In Deutschland und vielen anderen Ländern tobt seit Jahren eine Debatte über klimaneutrale Mobilität. Dennoch sind die vom Verkehrssektor ausgelösten Emissionen hierzulande seit 1990 nicht gesunken – im Schwerlastverkehr steigen sie sogar weiter massiv an. Die E-Mobilität kommt zwar seit Kurzem voran, bei PKW mit dem Schwerpunkt auf Batteriemobilität. Wie aber sieht es im LKW-Sektor aus?

Statt zu zögern, sollte man im deutschen und europäischen Schwerlastverkehr zügig auf Wasserstoff setzen und eine Tankstellen-Infrastruktur aufbauen, von der auch PKW profitieren. Geschieht dies nicht, werden industriepolitische Chancen verspielt und Exportmärkte gefährdet. Doch ist es gesamtwirtschaftlich nicht unsinnig, eine doppelte Infrastruktur aufzubauen –Batterie-Ladesäulen hier, Wasserstoff-Tankstellen dort?

Zunächst bleibt festzuhalten: Solange es nur um die Verringerung von Emissionen ging, war es eine Option, den Güterverkehr so weit wie möglich auf die Schiene zu verlagern und LKW-Emissionen nach wie vor hinzunehmen. Heute, im Zeichen der angestrebten Klimaneutralität im Jahr 2050, ist diese Option vom Tisch. Immer noch diskutiert wird, die Autobahnen mit Oberleitungen auszustatten. Es bräuchte allerdings bereits kurzfristig enorme Investitionen, um Trassen auszubauen, die zu Beginn nur von wenigen Oberleitungs-Lastwagen genutzt würden.

Wo sind attraktive Exportmärkte?

Außerdem: Wie soll es gelingen, alle europäischen Länder auf dieses System zu koordinieren – auch die, in denen das Gelände bergig ist und wo viele Orte fernab der Haupttrassen liegen? Oft dürfte die batteriebasierte Reichweite der LKW zu kurz sein, um Oberleitungs-Trassen zu erreichen. Für die Hersteller von Oberleitungs-LKW sind zudem keine attraktiven Exportmärkte in Sicht.

Auch die Nachnutzung der LKW, die nach zehn bis 15 Jahren in Europa „ausgemustert“ und in Ländern außerhalb Europas weiterbetrieben werden, dürfte sich schwierig gestalten, was die Leasingkosten in die Höhe treibt.

Anders als das Oberleitungskonzept bietet Wasserstoff für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs zahlreiche Vorteile: Zunächst ist es möglich, in kleineren Schritten vorzugehen. Schon mit wenigen Tankstellen könnten in bestimmten Regionen oder auch auf nationalen und europäischen Trassen große LKW-Flotten fahren. Stück für Stück würden weitere Tankstellenverbünde folgen und immer mehr Lieferketten umgestellt werden.

Aufwändige Planungsverfahren wie bei der Installation von Oberleitungen auf öffentlichen Verkehrswegen wären nicht nötig - was die Transformation beschleunigen würde. Bei einem solchen Vorgehen blieben die Investitionskosten und der Planungsaufwand für die Tankstelleninfrastruktur überschaubar, gleichzeitig könnte die Stückzahl der Wasserstoff-LKWs zügig steigen und deren Stückkosten spürbar sinken.

Auftanken nach 400 Kilometern

Erste Projekte gibt es schon, etwa in der Schweizer Lebensmittellogistik. Dort fahren bereits die ersten 50 Brennstoffzellen-LKW des südkoreanischen Hyundai-Konzerns. Der Wasserstoff-Tankvorgang dauert acht bis zwanzig Minuten, für Lastkraftwagen eine „normale“ Zeit. Nach rund 400 Kilometern muss erneut getankt werden. Auch europäische LKW-Hersteller wären in der Lage, rasch eine Serienproduktion aufzubauen. Bei kluger Planung könnte die Tankstelleninfrastruktur so entwickelt werden, dass Synergieeffekte zu weiteren Verkehrsträgern entstehen - auch Eisenbahnen, Busse, Nutzfahrzeuge und PKW könnten dann bei Bedarf mit Wasserstoff betrieben werden.

Die Verwendung von Wasserstoff im Schwerlastverkehr hat nicht nur mit Blick auf die Transformation der Infrastruktur, sondern vor allem auf lange Sicht einen großen Vorteil: Wasserstoff kann an Standorten mit den höchsten Volllaststunden für erneuerbare Energien weltweit produziert, von dort importiert und über längere Zeit gespeichert werden. Damit verliert das häufig angeführte Effizienzargument entscheidend an Bedeutung. Denn für ein Wasserstofffahrzeug muss man nicht den in Europa erzeugten Strom nutzen.

Die dadurch voraussichtlich niedrigen Gestehungskosten des Wasserstoffs in Kombination mit hohen Strompreisen in Europa deuten darauf hin, dass Wasserstoffmobilität nicht nur eine ökologisch, sondern auch eine ökonomisch attraktive Option wird. Die Transportkosten per Schiff aus Übersee dürften nach aktuellen Schätzungen nur einen geringen Anteil der Kosten importierten Wasserstoffs ausmachen. Außerdem muss der Import klimaneutraler Energieträger aus aller Welt ohnehin steigen, um die Importe fossiler Energieträgern zu ersetzen, die heute noch 70 Prozent unseres Primärenergieverbrauchs ausmachen.

Ein klares Bekenntnis der Politik zum Aufbau der Wasserstoff-Tankstelleninfrastruktur liefe auf eine kluge Kombination von Industrie- und Klimapolitik hinaus. Verlässliche Perspektiven für Wasserstoff im Schwerlastverkehr würde die Produktion entsprechender Fahrzeuge ankurbeln. Zahlreiche deutsche und andere europäische Unternehmen aus dem Kraftfahrzeugbau und der Zulieferindustrie haben bereits heute hervorragende Kenntnisse für den Bau von Fahrzeugen, Brennstoffzellen, Tankstellen und Wasserstofflogistik.

Alternativen sind kaum in Sicht

Eine entschlossene politische Strategie brächte die Unternehmen in eine exzellente Stellung auf den entstehenden globalen Märkten. Dass langfristig die Nachfrage nach Wasserstoff-Lösungen weltweit hoch sein wird, ist nicht zu bezweifeln. Denn Alternativen für nachhaltige Lösungen mit breitem Anwendungspotenzial sind kaum in Sicht. Asiatische Länder haben das längst erkannt. Anders als in der Vergangenheit bei der digitalen Infrastruktur oder der Batteriezellenfertigung sollten Deutschland und Europa die Chance ergreifen, sich an die Spitze dieser Entwicklungen zu setzen.

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Um klimafreundlichen Wasserstoff für den Schwerlastverkehr schnell verfügbar zu machen, ist Pragmatismus gefragt. Auch wenn langfristig der Wasserstoff grün sein muss, kann blauer Wasserstoff eine Brücke schlagen. So könnte mit verschiedenen Staaten, die uns mit fossilem Gas beliefern, der Weg in den Handel mit klimafreundlicheren Energieträgern beginnen. Vor dem Hintergrund der industriepolitischen Chancen sollte man außerdem darüber nachdenken, den Wasserstoff eben nicht zuvorderst zur Substitution fossiler Energieträger in der Grundstoffindustrie zu nutzen, sondern sich zunächst auf Mobilitätssegmente mit langfristigem Wachstumspotenzial und Impulsen für exportstarke Industrien zu konzentrieren.

Und wie steht es um die Finanzierung der Infrastruktur der Zukunft? Ein bedarfsorientiertes Ausbaukonzept, verbunden mit einem klugen System an Zuschüssen und der Einbeziehung privater Investoren, würde den Aufbau ermöglichen. Schon heute gibt es verschiedene Initiativen in Europa, zum Beispiel über die H2 Mobility in Deutschland oder den Förderverein H2 Mobilität in der Schweiz. Die große Herausforderung aber ist auch bei Wasserstofftankstellen ein koordinierter Ausbau in Europa, um schrittweise immer mehr Strecken für klimafreundlichen Verkehr zu erschließen.

Veronika Grimm

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