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Global Challenges: Der EU-Klimazoll könnte sich als Illusion erweisen

Der geplante CO2-Grenzausgleich kann leicht unter Protektionismusverdacht geraten. Ein Bürokratiemonster ist er ohnehin. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Günther H. Oettinger

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Günther H. Oettinger, Präsident von United Europe e.V. und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Oettinger Consulting GmbH in Hamburg. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Prof. Dr. Volker Perthes, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

„Die Europäische Union“, sagt Ursula von der Leyen zu Recht, „steht an der Spitze der internationalen Klimaschutzbemühungen“. Die EU-Kommissionspräsidentin meint damit den Green Deal, mit dem die EU ihr ehrgeiziges Ziel erreichen will, bis 2030 die CO2-Emissionen  um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Dies würde das Ansehen der Europäischen Union weltweit stärken.

China und Indiens eigene Pläne

Wie schwierig es sein wird, die Welt dabei mitzunehmen, hat sich auf der Klimakonferenz in Glasgow gezeigt. Am Ende war das Klima nicht gerettet, aber ein Schuldiger gefunden: die Kohle. Ein schnellerer Ausstieg scheiterte auch an der Blockade Chinas und Indiens, dessen Präsident Narendra Modi immerhin an der Konferenz teilnahm. Chinas starker Mann Xi Jinping, hielt dies nicht für nötig. Da half kein Bitten und Werben, wie EU-Vize Frans Timmermans leidvoll erfahren musste.

In der Ländertabelle liegt China mit 30 Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen weit vorne, die USA folgen mit 15 Prozent auf dem zweiten Platz. Indien mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Menschen belegt mit sechs Prozent Platz 3. Die EU mit rund 450 Millionen Menschen ist für acht Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich.

Indiens Präsident Modi muss wie andere aufstrebenden Schwellenländer einschneidende klimapolitische Maßnahmen vor  einer Bevölkerung rechtfertigen, die den Wohlstand der westlichen Industrienationen bislang nur aus Film, Fernsehen oder dem Internet kennen. Deswegen strebt der Subkontinent auch an, erst 2070 klimaneutral zu sein. China will das bis 2060 erreichen.

Die Risiken des Klimaschutzes

Auf der Klimakonferenz in Glasgow spielte das Thema Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) noch keine wirkliche Rolle. Dieses Instrument ist eine Erfindung der Europäischen Kommission und dürfte in der politischen Debatte 2022 wichtig werden. Im Juli dieses Jahres haben die EU-Staats- und Regierungschefs ein umfangreiches Maßnahmen-Paket zum Klimaschutz beschlossen, das auf der Tagesordnung Europas ganz oben steht und in den nächsten Jahren in Kraft treten soll.

Die davon ausgehende Gefahr ist erkannt: Die verschärften Klimaziele bedeuten  für europäische Unternehmen zusätzliche Kosten, insbesondere im Energiebereich. Die Verlagerung von Produktion und Arbeitsplätzen oder gar die Abwanderung von Unternehmen in Länder außerhalb der EU mit laxeren Umweltstandards könnten die Folge sein.

Und die vermeintliche Lösung

Diesem „Carbon Leakage“ genannten Prozess will man begegnen. CBAM, ein Grenzausgleich beim Import von Waren in den EU-Binnenmarkt, soll zu vergleichbaren Kosten für Importgüter wie für in der EU produzierte Güter führen. Es ist ein Klimazoll. Das Verfahren soll zunächst bei Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel und Strom angewendet werden.

Dabei stellen sich allerdings wichtige Fragen: Was für Stahl und andere Rohstoffe realistisch erscheint, ist für Maschinen und Autos kaum machbar. Ein Auto aus Asien mit vielen Tausend Komponenten und Teilen ist ein komplexes Produkt. Viele europäische Zulieferer sind Teil der Wertschöpfung. Es wird nicht möglich sein, ein Fahrzeug oder eine Werkzeugmaschine in nachhaltige und schädliche Anteile aufzuschlüsseln.

Hinzu kommt: Wenn der asiatische Exporteur ein Zertifikat vorlegt, wonach das Fahrzeug oder die Maschine nur mit erneuerbarem Strom gefertigt wurde, kann man dem kaum entgegentreten. Dasselbe gilt für Stahl und andere Handelswaren. Skurril wäre es, wenn gleichzeitig aus Kohlestrom gefertigte Produkte „zollfrei“ in den Rest der Welt geliefert würden.  CBAM könnte, wenn überhaupt, nur einen Schutz unserer Industrie vor „schmutzigen“ Importen in die EU bedeuten. Der Wettbewerb auf allen anderen Märkten fände mit ungleichen Auflagen und Kosten statt.

Eine Gefahr für den internationalen Wettbewerb

Wenn etwa Unternehmen aus der EU Düngemittel nach Lateinamerika, Indonesien oder Nigeria  ausführen, haben die europäischen Produktionsstätten hohe Energiekosten. Der Wettbewerber aus Asien produziert ohne vergleichbare Umweltauflagen mit Kohlestrom und geringen Kosten.

Auch Stahl aus China ist mit hohen CO2-Emissionen belastet und wird mit Hilfe von Kohlestrom hergestellt. Der kostet etwa acht Cent statt dreißig Cent in Deutschland – und kommt  aus etwa 1.000 Kohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von 1.000 Gigawatt

China plant und baut weitere Kohlekraftwerke, die Führung hat lediglich zugestanden,  keine weiteren Kohlekraftwerke mehr  nach Afrika zu exportieren. Zugleich treibt Peking den Ausbau von Wasserkraft, Wind und Solarenergie massiv voran. Es liegt aus Chinas Sicht nahe, Produkte für den EU-Markt erneuerbaren Energien zuzuordnen und damit den europäischen Klimazoll CBAM ins Wanken zu bringen.

Enormer bürokratischer Mehraufwand und möglicherweise eine neue Behörde

Das nächste Problem ist der hohe Verwaltungsaufwand. Nach dem CBAM-Entwurf sollen Importeure detaillierte Angaben zu den eingeführten Waren machen. Das kann teuer werden. Außerdem: Wie soll der CO2-Fußabdruck und damit die Grenzausgleichsabgabe berechnet werden, wenn die Ware mehrere Wertschöpfungsstufen in verschiedenen Ländern durchlaufen hat? Das gilt nicht nur für den Nagel, den der Heimwerker in die Wand schlagen will, sondern auch für seinen Bohrer mit Lithium-Akku, für  Alurahmen bei Lastenrädern und  Kühlschränken. Die Zertifikate muss sich der Importeuer aus den Herstellungsländern besorgen und der EU vorlegen.

Das wird  umso komplizierter, je mehr veredelte Produkte in das CBAM-System aufgenommen werden. Hans-Wilhelm Schiffer vom Londoner World Energy Council befürchtet einen „enormen bürokratischen Aufwand“. Der CBAM-Entwurf der EU macht darüber keine konkreten Angaben – unklar ist auch, ob dafür eine eigene  Behörde aufgebaut wird. Die Stiftung Wissenschaft und Politik sieht mögliche „Fallstricke“ in den handelsrechtlichen Bestimmungen der Welthandelsorganisation.

Schutzzölle oder Neo-Kolonialismus

Die EU hat erklärt, der CBAM-Entwurf werde auch die besonderen Schutzbedürfnisse von Entwicklungsländern berücksichtigen. Man wird sehen, wie die Handelspartner außerhalb der EU das ganze Projekt bewerten. Lediglich als Mittel, die Abwanderung eigener CO2-intensiver Industrien zu verhindern? Oder will Europa eine grüne Festung aufbauen, die es mit Schutzzöllen sichert?

Der Klimaforscher Hans von Storch weist darauf hin, dass Schwellenländer gerne von Neo-Kolonialismus reden, wenn reiche Länder ihnen direkt oder indirekt vorschreiben wollen, wie sie sich wirtschaftlich verhalten sollen. Sie dürften Schutzzölle als Strafzölle betrachten, wenn sie sich nicht so strenge Klimavorschriften wie die reichen Länder des Westens leisten können. Nach dem Motto: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Die Sentenz geht übrigens auf den Lübecker Dichter Emanuel Geibel (1815-1884) zurück, von dem auch der Spruch stammt: „Und es mag am deutschen Wesen auch die Welt genesen.“

Der EU-Abgeordnete Jens Gieseke spricht lieber von „grünem Protektionismus“. Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik sieht auch er die Gefahr, dass Schutzzölle eine Eigendynamik auf den Weltmärkten entfalten könnten – auch wenn sie noch so gut gemeint sein sollten.

Günther H. Oettinger

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