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Tätowierungen bei Polizisten sind seit Jahren ein Streitthema.

© Holger Hollemann / picture alliance/dpa

Glaube niemandem, der viel von Vielfalt spricht: Zuletzt verabschiedet die Koalition noch ein Spießergesetz

Beamte sollen Bärte auf das „übliche Maß“ stutzen, Tätowierungen sind Teufelszeug. Die beschlossenen Regelungen sind äußert fragwürdig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein Thema, bei dem eher wenig zur Wahl steht, ist Vielfalt. Lässt man die in dieser Beziehung eher einfältige AfD beiseite, feiern alle im Bundestag vertretenen Parteien die Vielfalt. Deutschland ist bunt; Menschen sollen sein, wie sie sind; niemand soll Nachteile haben, weil sie oder er anders aussieht und dadurch auffällt. Worte dazu fehlen inzwischen in kaum einer politischen Sonntagsrede. Es ist ein Gewinn, aber manchmal macht es auch müde.

Alle preisen Vielfalt. Aber wollen sie sie auch?

Wichtiger: Stimmt das denn überhaupt? Man kommt ins Zweifeln, nimmt man das kürzlich ergänzte „Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern“ zur Hand. Dort findet sich ein erneuerter Paragraf 34.

Dieser Paragraph erfasst neben grundsätzlichen Aufgaben und Regeln zu Aufgaben und Verhalten (u.a. voller Einsatz, uneigennützig arbeiten, alles nach bestem Gewissen) aufschlussreiche Vorschriften zum „Erscheinungsbild“ von Beamtinnen und Beamten in Bund und Ländern. Die Rede ist nunmehr von Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen, Tätowierungen sowie der „Art der Haar- und Barttracht“. Die Staatsdienenden sollen nach etwas aussehen, namentlich nach ihrem Beruf.

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Tun sie dies nicht, sind sie zum Friseur zu schicken. Oder schlimmer. Einschränken und untersagen darf gewisse Auftritte jener, der im Beamtenrecht in patriarchalischer Tradition immer noch Dienstherr heißt. Runter mit Klamotten, weg mit dem Schmuck, „soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert“. Das soll insbesondere dann der Fall sein, wenn eine über das „übliche Maß“ hinausgehende „besonders individualisierende Art“ geeignet sei, die amtliche Funktion „in den Hintergrund zu drängen“.

Wolfgang Thierse wagte, von „normalen“ Leuten zu sprechen

Wurde nicht kürzlich der SPD-Altpolitiker Wolfgang Thierse gescholten, weil er es wagte, von „normalen“ Leuten zu sprechen? Gegen das „übliche Maß“ in Paragraf 34 BeamtStG sind die Thierse-Kritiker weniger effektvoll angerannt.

Männer mit Dutt, Frauen mit Bürstenschnitt – sie sind so normal wie die Vielfalt in der Sonntagsrede. Man fragt sich auch, wie ein Bart die ehrenwerte Staatsaufgabe in den Hintergrund treten lassen soll. Indem er lang ist? In den Hintergrund tritt bei Bärten regelmäßig nur das Gesicht.

Es ist ein Spießerinnen- und Spießergesetz, dass die Koalition da in ihren letzten Zügen verabschiedet hat. Gemacht wurde es in der Sorge, dass Tätowierungen bei Polizisten etwas Irritierendes sein könnten, wo die Tätowierten doch sonst in den Knästen sitzen.

Und weil für Verbote eine Rechtsgrundlage her musste, wie es das Bundesverwaltungsgericht zutreffend als Voraussetzung verlangt hatte. Doch nötig wäre das alles nicht gewesen. Darüber hinaus enthält es mit weiteren Floskeln zu einer angeblich äußerlich erforderlichen Neutralität eine fragwürdige Befugnis, gegen Kopftücher vorzugehen. War das der Sinn? Glaube niemandem, der viel von Vielfalt spricht.

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