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Türkische Polizisten blockieren die Pressekonferenz der türkischen Oppositionspartei CHP in Istanbul.

© Ozan Kose/AFP

Gipfel mit der Türkei: Erdogan zeigt der EU die kalte Schulter

Damit die EU ihr entgegenkommt, soll die Türkei ihre Antiterror-Gesetze reformieren. Doch die türkische Regierung setzt die Verfolgung Oppositioneller fort.

Die Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sinken. Kurz vor dem geplanten EU-Türkei-Gipfel in Varna Ende des Monats setzt die Türkei die Verfolgung friedlicher Regierungskritiker fort. Der türkische Berufungsgerichtshof verlangte am Freitag bis zu 20 Jahre Haft für den nach Deutschland geflohenen Ex-Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar. Vor einem Gericht in Istanbul beantragte die Staatsanwaltschaft unterdessen die Fortsetzung der Untersuchungshaft für drei Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, die seit mehr als einem Jahr hinter Gittern sitzen.

Bei dem Gipfel am 26. März im bulgarischen Varna will die Türkei unter anderem auf die Reisefreiheit für türkische Staatsbürger in der EU dringen. Brüssel macht dies und eine generelle Verbesserung ihrer Beziehungen zur Türkei von einer Reform der Antiterrorgesetze abhängig, die selbst den gewaltlosen Ausdruck von Kritik als Terrorvergehen definieren. Ohne konkrete Fortschritte auf rechtsstaatlichem Gebiet dürfte die EU kaum zu Zugeständnissen bereit sein.

Aus fünf Jahren Haft können nun 20 werden

Derzeit ist von solchen Fortschritten nichts zu sehen. So hob der türkische Berufungsgerichtshof in Ankara ein Urteil gegen Dündar und „Cumhuriyet“-Reporter Erdem Gül auf. Sie waren wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie über mutmaßliche Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen berichtet hatten. Nun ordneten die Berufungsrichter an, Dündar und Gül müssten wegen Spionagetätigkeit vor Gericht gestellt werden, was mit bis zu 20 Jahren Haft geahndet wird.

An der Verhandlung im Prozess gegen 17 Mitarbeiter von „Cumhuriyet“ in Istanbul nahmen türkische Journalisten und Parlamentsabgeordnete sowie Vertreter internationaler Presseorganisationen und Abgesandte der EU-Vertretung in der Türkei teil. Die meisten Beschuldigten waren bereits für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt worden, doch Investigativreporter Ahmet Sik, Chefredakteur Murat Sabuncu und Geschäftsführer Akin Atalay sitzen seit Ende 2016 in Untersuchungshaft. Den Journalisten wird eine Unterstützung des Putschversuchs vom Juli 2016 vorgeworfen, für den die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihren einstigen Verbündeten, den Geistlichen Fethullah Gülen, verantwortlich macht. Während der Zeit des Bündnisses zwischen Erdogan und Gülen saß Sik bereits wegen Kritik an Gülen im Gefängnis.

Gerade wurden 25 Journalisten zu Haftstrafen verurteilt

Journalistenverbände in der Türkei und im Ausland sowie Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International fordern die Freilassung der Untersuchungshäftlinge, deren Verfahren zu einem Symbol des harten Vorgehens der türkischen Behörden gegen Kritiker geworden ist: „Cumhuriyet“ ist eine säkular geprägte Zeitung, die Erdogan schon seit Jahren kritisiert. Bei einer Verurteilung in dem Prozess im Gefängniskomplex Silivri bei Istanbul drohen den Angeklagten jeweils 43 Jahre Haft.

Bei der Verhandlung am Freitag wiesen Anwälte der Angeklagten den Vorwurf zurück, „Cumhuriyet“ sei zu einem Werkzeug der Gülen-Bewegung geworden. Sie beantragten die Freilassung ihrer Mandanten; eine Entscheidung stand am Nachmittag noch aus.

Erst am Donnerstag waren 25 Journalisten von Gülen-nahen Medien zu Haftstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Im Februar hatte die türkische Justiz drei prominente regierungskritische Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich „unterschwellige“ Botschaften zugunsten der Putschisten von 2016 ausgesandt haben sollen. Erdogan hat die Strafverfolgung von Journalisten als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus gerechtfertigt: Manche Schreiber seien „Gärtner“ des Terrors, die Gewalttäter anstifteten, sagt der Staatspräsident.

Reform angekündigt, neue Festnahmen durchgesetzt

Auch der Druck auf angebliche Gülen-Anhänger außerhalb der Medien hält an: Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Freitag von neuen Haftbefehlen gegen etwas 240 Beschuldigte. Seit dem Putschversuch sind mehr als 50.000 Menschen inhaftiert worden.

Wegen der türkischen Bemühungen um eine Wiederannäherung an die EU rückt der Umgang mit mutmaßlichen Regierungsgegnern in den Mittelpunkt politischer Überlegungen. Ankara hat auf Drängen Brüssels eine Reform der Antiterrorgesetze versprochen, um die Meinungsfreiheit zu stärken. Die Ankündigung ist in Brüssel positiv aufgenommen worden, doch die Journalistenprozesse und die immer neuen Festnahmen wecken Zweifel am Umdenken Ankaras.

Brüssel will Taten sehen

Bei Erdogans Treffen mit der EU-Spitze in Varna soll über diese und andere Themen gesprochen werden. Ankara will auch die Zollunion mit der EU erweitern, was angesichts von Krisenzeichen der türkischen Wirtschaft für Erdogan ein Fortschritt wäre. Bloße „Wortspielereien“ bei den Terrorgesetzen seien für die EU jedoch nicht genug, schrieb die „Cumhuriyet“-Kolumnistin Asli Aydintasbas mit Blick auf den Gipfel und den Prozess gegen ihre Kollegen. Brüssel wolle Taten sehen. Die in den vergangenen Jahren auf Regierungslinie gebrachte Justiz kann durchaus Zeichen der Entspannung setzen, wenn dies in Ankara politisch gewünscht ist: Im Februar kam der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach einem Jahr Untersuchungshaft frei, nachdem Ministerpräsident Binali Yildirim von einer baldigen Lösung gesprochen hatte.

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