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Ermittler mit einem Fahrzeug, das mit dem Anschlag auf Sergej Skripal in Verbindung stehen könnte

© Adrian Dennis/AFP

Giftanschlag auf Ex-Agent Skripal: In Russland ist Täuschung Staatsdoktrin

Bei Anschlägen wie auf den Ex-Spion Sergej Skripal im britischen Salisbury fällt der Verdacht immer zuerst auf Putins Russland. Das ist kein Wunder. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Herold

Russland hat, was zu erwarten war, das britische Ultimatum zum Giftanschlag auf den russischen Ex-Agenten Skripal einfach verstreichen lassen. Damit verschärfen sich die Spannungen zwischen London und Moskau zwangsläufig weiter, und der Höhepunkt scheint auch mit der Ausweisung von 23 russischen Diplomaten nicht erreicht. Theresa May hat ihren Verdacht gegen Russland so entschieden öffentlich formuliert, dass sie von dieser Position nicht mehr herunterkommt, ohne hilflos zu erscheinen oder sich lächerlich zu machen. Ein Zeichen der Schwäche wäre ihr politisches Aus.

Aus mehreren Gründen ist die Situation für den russischen Präsidenten Wladimir Putin weit weniger heikel als für May. Trotz der Gewissheit, die die britische Premierministerin zur Schau trägt, könnte sich natürlich doch noch herausstellen, dass die russische Spur falsch ist, dass das Gift und der oder die Täter nicht russischen Ursprungs sind. Und sicherlich wird May keinen einfachen Stand haben, wenn sie jetzt die Solidarität der europäischen Partner einfordert – nachdem die Briten mit ihrer Entscheidung für den Brexit deutlich gezeigt haben, was sie von Europa als Solidargemeinschaft halten: nicht viel.

Der mutmaßliche Täter erhielt einen Orden

Möglicherweise war es ein Risiko, den Verdacht sofort auf Moskau zu lenken. Ein Zufall ist es jedoch nicht. Das liegt nicht nur an dem Präzedenzfall, auf den in den letzten Tagen immer wieder verwiesen worden ist – an der Vergiftung von Alexander Litwinenko im Jahr 2006. Auch damals war ein exotisches Gift verwendet worden, Polonium 210. Der mutmaßliche Täter von damals wurde Jahre später von Putin mit einem Orden dekoriert und gehört dem russischen Parlament an.

In dem von Wladimir Putin geschaffenen Staat sitzen Geheimdienstoffiziere nicht nur im Sicherheitsapparat, sondern an allen entscheidenden Positionen. Sie haben die Täuschung zur Staatsdoktrin erhoben. Ohne mit der Wimper zu zucken, erklärte die russische Führung stolz, „freundliche Menschen“ hätten die ukrainische Halbinsel Krim in den Schoß der russischen Heimat zurückgeführt.

Der Mythos von der belagerten Festung

In der Ukraine, auf dem Territorium des Staates, zu dem die Krim rechtmäßig gehört, zieht Moskau seit nunmehr vier Jahren die Fäden in einem Sezessionskrieg – und bestreitet leidenschaftlich das Offensichtliche. Und mag auch alle Welt letztlich Russland für den Abschuss eines Passagierflugzeuges über der Ostukraine verantwortlich machen, in Moskau werden immer neue Erklärungen dafür erfunden, wie es wohl „wirklich“ gewesen sein mag.
Es gibt nicht wenige Menschen, die Verständnis für dieses Vorgehen haben. Aber weithin hat der russische Präsident seine Reputation verspielt. Das mag innenpolitisch unwichtig sein. Wahrscheinlich ist es für Putins Hausgebrauch sogar vorteilhaft: Es bedient den Mythos, Russland sei eine belagerte Festung. Die Bevölkerung müsse deshalb gegen alle äußeren Anfeindungen eng zusammenstehen. Außenpolitisch ist dem Land in den letzten Jahren jedoch großer Schaden entstanden. Die Tatsache, dass der Verdacht immer zuerst auf Moskau fällt, ist ein Zeichen dafür.

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