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Ihr fehlt die Herzenswärme, die vom ihm niemand fordert? Das ist sexistisch!

© imago images / photothek

Geywitz, Künast & Co.: Wer Frauen sexistisch abwertet, schadet der ganzen Gesellschaft

Frauen, die sich in Politik und Gesellschaft profilieren, machen besonders negative Erfahrungen. Manche geben deshalb auf. Was ein Drama ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Ein bundesweit bisher unbekannter SPD-Politiker hatte am Wochenende endlich seine fünf Minuten Ruhm. Dem „Spiegel“ hatte Harald Sempf erklärt, warum er seine Parteifreundin Klara Geywitz für ungeeignet hält, an der Seite von Finanzminister Olaf Scholz SPD-Chefin zu werden. Seine Worte wählte der Schatzmeister der Brandenburger SPD so plakativ, dass er sich eines breiten Medienechos sicher sein konnte. Die Attacke ist ein besonders erbärmliches Beispiel dafür, was sich Frauen in der deutschen Politik im Jahr 2019 noch anhören müssen.

Sempf attestiert Geywitz zwar, sie sei „ein politisches Talent“, „klug“ und „eine nüchterne, klar denkende Analytikerin“ - doch all das reicht aus seiner Sicht offenbar nicht, um eine Partei wie die SPD führen zu dürfen. Denn Geywitz fehlten die „Fähigkeit zur Nähe“ und die „Herzenswärme“, die ihr von anderen zugeschrieben wurde, sie könne deshalb höchstens eine „Geflügelfarm“ leiten.

Frauen werden anders beurteilt. Strenger

Kein Mensch käme auf die Idee, die Frage, ob Olaf Scholz – oder irgendein anderer Mann – für das Amt des SPD-Vorsitzenden geeignet sei, von seiner „Herzenswärme“ abhängig zu machen. Doch wenn Frauen in der Öffentlichkeit beurteilt werden, gelten besondere Kriterien, die allerdings beliebig gedreht und gewendet werden können: Während die einen wegen mangelnder „Herzenswärme“ als gefühlskalte Karrieristinnen abqualifiziert werden, gelten andere als zu emotional und damit leider nicht belastbar genug für eine Führungsaufgabe.

Wer an diesem Punkt noch Zweifel hat, ob die Aussagen des Herrn Sempf im Kern sexistisch oder nur der Ausdruck ganz banaler Missgunst sind, sollte sich ansehen, was er noch über Klara Geywitz gesagt hat. Wenn er Minister wäre, würde er sie sofort zu seiner Staatssekretärin machen – das heißt im Klartext: Sie darf unter ihm dienen, aber auf keinen Fall in der Hierarchie über ihm stehen.

Eigentlich könnte man darüber lachen, weil der Schatzmeister der Brandenburger SPD mit diesen Sätzen viel mehr über sich selbst aussagt als über die Frau, die er damit attackieren will. Dennoch machte der „Spiegel“ Sempf zum einzigen namentlich genannten Kronzeugen in einem Porträt über Klara Geywitz.

Kritisiert wurde der unsolidarische Akt, nicht der Sexismus

Aus der SPD schlug Sempf zwar Empörung entgegen, aber kritisiert wurde in erster Linie der unsolidarische Akt – und nicht die frauenfeindliche Grenzüberschreitung.

Wenn die Gesellschaft solchen Attacken gegen Frauen nicht entschlossener entgegentritt, sollte sich niemand mehr über den viel zu geringen Frauenanteil in der Politik wundern. In einer Umfrage berichteten Kommunalpolitikerinnen vor einigen Jahren, dass an sie andere Erwartungen gerichtet würden als an ihre männlichen Kollegen. Sie müssten besser sein als die Männer, um das Gleiche zu erreichen. Außerdem würden ihr Äußeres und ihr Privatleben viel strenger beurteilt, sagten die Bürgermeisterinnen.

Besonders negative Erfahrungen machen Frauen, die sich in Politik und Gesellschaft profilieren, seit einigen Jahren im Internet. Wer sich öffentlich zu einem kontroversen Thema zu Wort meldet, kann sich plötzlich mit einer Welle von Hass konfrontiert sehen. Auch Männer bekommen Hassbotschaften, von Beleidigungen bis hin zu Drohungen. Frauen dagegen werden zusätzlich mit einer grundsätzlichen Abwertung ihres Körpers und ihrer Person und mit Vergewaltigungsphantasien konfrontiert.

Dann lieber den Mund halten?

Es ist ein fatales Signal, dass das Landgericht Berlin massive sexistische Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast als legitime Meinungsäußerung betrachtete, die hinzunehmen sei. Zudem gab das Gericht indirekt Künast selbst die Schuld an den Angriffen. Wer werde sich jetzt überhaupt noch engagieren wollen, fragte die Politikerin nach dem Gerichtsbeschluss.

Leider überlegen sich manche Frauen jetzt schon dreimal, ob sie sich in den sozialen Medien zu einem umstrittenen Thema äußern sollen, wenn sie danach über Stunden Hassbotschaften erhalten. Andere verabschieden sich ganz von Twitter und Facebook. Denn diese Angriffe, so plump und dumm sie auch sein mögen, gehen an niemandem spurlos vorüber. Auf Dauer haben sie eine zermürbende Wirkung. Doch wenn sich engagierte Frauen deswegen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen, ist das ein riesiger Verlust für die gesamte Gesellschaft.

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