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Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD)

© AFP/Axel Schmidt

Gewinnerin ohne Sieg: Svenja Schulzes erbitterter Kampf für das Klimapaket

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat ihr Klimaschutzgesetz durchgesetzt. Gegen viele Widerstände. Am Ende könnte sie ihr Ziel dennoch verfehlen.

Svenja Schulze feiert, aber noch ist sie dabei ziemlich einsam.

Die Opposition ist gegen das Klimapaket, aus der Union kommt Gegenwind, selbst in den eigenen Reihen gibt es kritische Stimmen. Am Wochenende sitzen Klimaaktivisten aus Protest sogar vor ihrem Ministerium. Den einen ist es zu streng, den anderen geht es nicht weit genug.

Deswegen will Schulze etwas klarstellen, als sie am vergangenen Montag bei einer Tagesspiegel-Veranstaltung eine Rede hält. Die Bundesumweltministerin steht im zur SPD passenden roten Kleid auf dem Podium. Gleich wird sie ihr Klimagesetz, das das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch samt Maßnahmenprogramm beschlossen hat, wieder mal energisch gegen Kritik von der Industrie und den Umweltverbänden verteidigen.

„Erstmals werden wir verbindlich vorschreiben, was die Sektoren jährlich an Treibhausgasemissionen ausstoßen dürfen“, erklärt sie. „Vor einem Jahr war ein CO2-Preis für viele nahe am Sozialismus.“ Mit der Union sei das Instrument gar nicht denkbar gewesen. Beim Klimaschutzgesetz sei es ähnlich gewesen. Und nun solle man doch mal schauen, was man heute erreicht habe.

Svenja Schulze: „Eine Wegmarke für das Umweltministerium“

Feste Sektorziele sind der Grund, warum Schulze feiert. Nie waren die Zahlen mehr als eine freundliche Erinnerung an den Verkehrs- oder Wirtschaftsminister, was beim Klimaschutz eigentlich zu tun wäre. Nun sollen die Ziele Gesetz werden und alle Minister zum Handeln verpflichten.

Das hat Schulze gegen viel Widerstand in der Union durchgesetzt, wo die Idee über Monate immer wieder angegriffen wurde. „Das ist für das Umweltministerium jetzt eine Wegmarke“, sagt Schulze. Ständig musste das Umweltministerium dem Verkehrs-, Gebäude- oder Landwirtschaftsministerium auf die Finger klopfen, meist vergeblich.

[Mehr zum Thema: Das kommt mit dem Klimapaket auf die Bürger zu]

Vor einem Jahr sah es so aus, als käme vieles anders: Als sie im November vergangenen Jahres an der Humboldt-Universität in Berlin über ihre Idee sprach, einen CO2-Preis im Verkehrs- und Wärmebereich einzuführen, und erklärte, dass sie mit ihrem Parteikollegen, Finanzminister Olaf Scholz, an einem Konzept arbeiten wolle, folgte der große Aufschrei. „Da droht der nächste Steuerhammer bei Benzin und Heizöl!“, schrieb die „Bild“. Und Scholz ließ die Genossin fallen. Doch Schulze blieb dran.

„Zäh sein“ nennt sie Mittwoch nach der Vorstellung des Klimaschutzgesetzes in der Bundespressekonferenz ihr wichtigstes Werkzeug, das sie durch das vergangene Jahr gebracht hat. Wieder mal dürfte sie wenig geschlafen haben, aber das Adrenalin hält wach.

„Man sollte mich nicht unterschätzen“, sagt sie, die stets gut gelaunt auftritt, niederrheinisch eben, und damit so manchem in Berlin gehörig auf die Nerven geht.

Umweltministerin hat Spaß an der Provokation

Nur drei Monate nach der Humboldt- Rede setzte Schulze ihre Idee eines Klimaschutzgesetzes in die Welt: mit den erwähnten festen Sektorzielen. Obendrein sollten die Ministerien die Kosten für verfehlte EU-Klimaziele selbst tragen.

Im Umweltministerium wusste man zwar, dass das gesetzlich gar nicht möglich ist. Aber ein bisschen Spaß an der Provokation hatten sie, die ewig Gebeutelten, dann eben auch. „Planwirtschaft“, tobte auch gleich ein Teil der Unionsfraktion.

[Mehr zum Thema: „Das ist doch plemplem“ – Das Klimapaket ist aus Sicht der Grünen nicht mehr zu retten]

Schulze stellte Angela Merkel (CDU) ihren Entwurf zu, er versauerte auf dem Schreibtisch der Bundeskanzlerin.

Die hatte keine Lust auf Konfrontation mit ihrer Fraktion, richtete aber ein „Klimakabinett“ ein, um erst mal das Klima in der großen Koalition zu retten. Man solle sich einigen, wie man die Klimaziele erreichen wolle, lautete die Anweisung der Chefin. Doch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte vor allem, was er nicht will – kein Tempolimit. Horst Seehofer (CSU) setzte die eigentlich angekündigte Gebäudekommission nie ein.

Erst die Europawahlen im Mai ließen die Lage kippen: Die SPD fuhr ein desaströses Ergebnis ein, während die Grünen als Klimapartei Rekorde erzielten. Schulze gab den Entwurf für das Klimaschutzgesetz kurzerhand vorbei an der Kanzlerin in die Ressortabstimmung. Sie könne keine Rücksicht mehr auf die Union nehmen.

Der Union dämmerte: Aussitzen geht nicht mehr

Es war als Affront gegen Merkel zu verstehen. Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU), ein Umweltexperte, nannte Schulzes Verhalten ein „panikgetriebenes Manöver“. Doch die Streiks der Fridays for Future rissen nicht ab, die Grünen blieben in den Umfragen oben. Und so dämmerte auch der Union: Aussitzen geht nicht mehr.

Nun, ein halbes Jahr und viele lange Nachtsitzungen später, ist mit dem Klimaschutzgesetz die neue Klimaarchitektur Deutschlands komplett. Neben dem Gesetz gibt es ein 20-seitiges Eckpunktepapier und ein 180 Seiten starkes Maßnahmenprogramm. „Unwirksam, unkonkret, unsozial“ nennt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter das Klimapaket. Dagegen sieht Joachim Pfeiffer, energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion, gerade die festen Sektorziele „äußerst kritisch“. Das sei teuer, ineffizient.

Schulze kann es keinem recht machen.

Aber sie feiert, dass sie überhaupt etwas erreicht hat. Dabei haben ihr auch die Umstände in die Hände gespielt: Klimaschutz ist das Trendthema Nummer eins in der Bevölkerung. Gleichzeitig musste die große Koalition beweisen, dass sie handlungsfähig ist. Und es gibt Merkel, der immer noch nachgesagt wird, sie wolle noch als Klimakanzlerin in die Geschichtsbücher eingehen.

Die Machtwörter der Kanzlerin

Dass Schulze ihr Klimaschutzgesetz durchsetzt, wäre ohne Merkel nicht möglich gewesen. Zahlreiche Machtwörter soll die Kanzlerin in den vergangenen Wochen beim Thema gegenüber den Unionsministern und der Fraktion gesprochen haben, damit diese spuren. Auch beim Klimaschutz wurden bis in den frühen Mittwochmorgen Änderungen per Mail zwischen den Ministerien hin- und hergeschickt, bis Merkel befand: So soll es ins Kabinett gehen.

Vor allem die Unionsfraktion mag beim Klimaschutz gespalten sein, so gespalten wie die Gesellschaft bei dem Thema eben ist, wie es ein Mitglied beschreibt. Gegen Merkel wagen sie die Totalblockade dann doch nicht. Mit dem Klimaschutzgesetz soll es in Zukunft aber ohne Merkel beim Klimaschutz klappen. Doch wie gut ist es?

Die Stärke des Gesetzes sei, das es klar regele, was passieren muss, wenn ein Sektor seine Ziele verfehlt, sagt Thorsten Müller, Leiter der Stiftung Umweltenergierecht. „Früher war es das Umweltministerium, das ständig hinter den Ministerien herlaufen musste. In Zukunft ist beispielsweise der Verkehrsminister verpflichtet, Vorschläge zu machen, wie es besser werden soll. Er kann eine Zielverfehlung nicht mehr ignorieren.“

Aber er sieht auch ein großes Defizit: Der Handlungsspielraum der per Gesetz eingerichteten Expertenkommission ist deutlich eingeschränkt.

Die Kommission kann lediglich prüfen, ob die Emissionsdaten des vergangenen Jahres richtig erhoben und zugeordnet wurden. „Sie kann aber weder die einzelnen Vorschläge noch das Gesamtvorgehen bewerten, eine mögliche Handlungslücke feststellen oder aber sogar eigene Vorschläge ausarbeiten“, kritisiert Rechtsexperte Müller.

Umweltministerium soll nicht zum Spielball werden

Klimaforscher Ottmar Edenhofer fordert, dass die Parlamentarier Nachbesserungen einfordern müssen, bevor sie das Gesetz im Bundestag beschließen.

„Zwischen den Ministerien könnte damit das 'Schwarze-Peter-Spiel' beginnen“, wie Rechtsexperte Müller es beschreibt. „Am Ende könnte der Klimaschutz auf der Strecke bleiben, wenn es nicht gelingt, entsprechende Mehrheiten zu organisieren.“

Eigentlich ist das genau der Fall, den Schulze verhindern will – dass das Umweltministerium wieder zum Spielball wird in einem Sport, bei dem das Kanzleramt den Oberschiedsrichter gibt. Falls sich nämlich Umwelt- und Verkehrsminister über Maßnahmen uneins sind, wird Kanzlerin oder Kanzler im Zuge der Richtlinienkompetenz ein Machtwort sprechen.

Merkel hat sich in den vergangenen Monaten für den Klimaschutz starkgemacht. Das muss bei Nachfolgern nicht der Fall sein. Ohnehin sagen sie in der Unionsfraktion, dass bald andere Themen wieder wichtig werden: die Migration, die schwächelnde Wirtschaft. Und dann könnte das Umweltministerium beim Klimaschutz trotz Gesetz eben doch wieder alleine dastehen.

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