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Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will Stilllegungsflächen im kommenden Jahr für den Getreideanbau freigeben.

© Nassim Rad für den Tagesspiegel

Getreideanbau auf Öko-Flächen: Realo Özdemir nimmt den Protest von Umweltschützern in Kauf

Der globale Nahrungsmittelengpass dürfte länger anhalten. Deshalb ist die Entscheidung des Landwirtschaftsministers zum Getreideanbau richtig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Schon die Wortwahl verrät, dass sich Cem Özdemir mit seiner Entscheidung nicht leicht getan hat. Von einem „Kompromiss, der an der einen oder anderen Stelle auch wehtut“, spricht der Landwirtschaftsminister mit Blick auf seine Entscheidung, der Produktion von Brotweizen gegenüber der Artenvielfalt den Vorrang zu geben.

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Aber wie auch beim Thema der Waffenlieferungen oder dem Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken zwingt der Krieg in der Ukraine die Grünen auch hier, über den eigenen Schatten zu springen.

Der Krieg in der Ukraine dürfte noch länger andauern. Deshalb ist es auch keine gewagte Prognose, auch für das kommende Jahr, wenn Landwirte in Deutschland die nun von Özdemir ermöglichte zusätzliche Getreideernte einfahren werden, von einem Engpass bei der weltweiten Nahrungsmittelengpass auszugehen. Es ist daher nachvollziehbar, dass ein Realo wie Özdemir den Protest von Umweltschützern in Kauf nimmt, um die Getreideproduktion in Deutschland zu erhöhen.

Denn die Aussetzung der ursprünglich geplanten EU-Regelung, die für alle Betriebe ab 2023 eine Stilllegung von vier Prozent der Flächen vorsah, ist unter zwei Bedingungen zu verschmerzen: Die Ausnahmeregelung darf von den Landwirten nicht dazu missbraucht werden, zusätzliches Tierfutter zu erzeugen. Und sie darf tatsächlich nur auf ein Jahr begrenzt bleiben, wie es der Agrarminister angekündigt hat – auch wenn der Bauernverband für eine weitergehende Lösung trommelt.

Auch wenn der Kompromiss für Özdemir schwierig gewesen sein mag, so zeugt er dennoch von politischer Klugheit. Sein Entgegenkommen gegenüber dem Bauernverband und den Unions-geführten Bundesländern könnte sich für ihn noch an anderer Stelle auszahlen.

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will gemeinsam mit Özdemir den Einsatz von Biosprit senken.
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will gemeinsam mit Özdemir den Einsatz von Biosprit senken.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Özdemir braucht schließlich die Unterstützung der Landwirte, wenn er gemeinsam mit Umweltministerin Steffi Lemke das Vorhaben umsetzen will, ab dem kommenden Jahr mehr landwirtschaftliche Produkte für den Teller zu sichern und im Gegenzug die Beimischung von Biosprit herunterzufahren.

Weil Pflanzen wie Weizen und Mais auch für die Produktion von Biokraftstoffen eingesetzt werden können, sichert der Biosprit vielen Landwirten den Absatz. Steigende Lebensmittelpreise könnten aber ganz automatisch dafür sorgen, dass Bauern künftig vermehrt für die Nahrungsmittelindustrie produzieren – und nicht für den Tank.

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