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In aller Eile. Wegen einer Gesetzesänderung überziehen die Krankenkassen die Kliniken mit einer beispiellosen Klagewelle.

© Stephan Jansen/dpa

Gesundheitsminister müht sich um Entschärfung: Klagewelle von Krankenkassen überrollt Sozialgerichte

Mit einer Gesetzesänderung hat Gesundheitsminister Jens Spahn eine beispiellose Klagewelle ausgelöst. Nun versucht er, den Konflikt zu entschärfen.

Land unter bei den Sozialgerichten: Wegen einer kleinen Neuregelung im Gesundheitsbereich werden die Kammern bundesweit gerade mit einer beispiellosen Klagewelle überrollt. Nach Schätzungen der beklagten Krankenhäuser ist mit mehr als 200.000 Klagen und Rückforderungen von bis zu einer halben Milliarde Euro durch die gesetzlichen Krankenkassen zu rechnen.

Gesundheitsminister Jens Spahn müht sich nun darum, den ausufernden Konflikt zu entschärfen. „Wir laden alle Beteiligten in der kommenden Woche zu Gesprächen ein“, sagte der CDU-Politiker dem Tagesspiegel. „Eine Klagewelle hilft am Ende niemandem, insbesondere den Patienten nicht. Wir wollen zurück zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von Krankenkassen und Krankenhäusern.“

Nur noch zwei Jahre, um fehlerhafte Klinikrechnungen zu beanstanden

Worum geht es? Nach der Gesetzesänderung haben die Krankenkassen nur noch zwei Jahre Zeit, um vermeintlich fehlerhafte Rechnungen der Krankenhäuser zu beanstanden. Bisher waren es vier Jahre. Dadurch habe man sich gezwungen gefühlt, „schnell noch vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung Klagen einzureichen“, um keine Ansprüche zu verlieren", sagte der Vize-Vorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Johann-Magnus von Stackelberg.

Begründet wurde die im November beschlossene Gesetzesänderung vom Ministerium mit der Sorge um die Versorgung von Schlaganfallpatienten. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts darf die Transportzeit solcher Patienten neuerdings 30 Minuten nicht mehr überschreiten. Andernfalls wird die Schlaganfall-Behandlung nicht mehr gesondert vergütet. Durch kürzere Rückforderungsfristen, so die Zielrichtung des Ministeriums, sollten die Kliniken vor allzu heftigen finanziellen Folgen aus diesem Urteil bewahrt werden.

1000 Klagen in einer Woche nur in Berlin

Die Gerichte wissen nicht, wie sie dieser Flut zeitnah Herr werden sollen. Allein beim Berliner Sozialgericht sind in der vergangenen Woche mehr als 1000 Klagen eingegangen. Die Fallzahlen würden aber nur ein verzerrtes Bild der tatsächlich viel angespannteren Situation abgeben, sagt Sprecher Marcus Howe. Oft hätten die Krankenkassen Sammelklagen eingereicht, also mit einer einzigen Klageschrift eine Vielzahl von Sachverhalten bei Gericht anhängig gemacht.

Spitzenreiter ist laut Howe eine Klage, die eigentlich mehr als 2000 Abrechnungsstreitigkeiten betrifft und einen Streitwert von insgesamt fast sechs Millionen Euro habe. „Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Kliniken und Kassen sind in der Regel aufwendig, in vielen Fällen sind medizinische Gutachten erforderlich und anspruchsvolle Rechtsfragen zu klären“, warnt Sven Rebehn, Geschäftsführer vom Deutschen Richterbund.

In Bayern sind dem Vernehmen nach bereits rund 14.000 Klagen anhängig. In Rheinland-Pfalz sind es etwa 15.000, in Niedersachsen mehr als 10.000. Aus Hamburg wurden 3000 gemeldet. Die Gesamtzahl wolle der Bund nun klären lassen, kündigte Gesundheits-Staatssekretärin Sabine Weiss (CDU) am Freitag im Bundesrat an.

Krankenhausgesellschaft: "Schamlose Geldschneiderei"

Allerdings signalisierten die Krankenkassen auch Gesprächsbereitschaft. In einem Brief an den Minister, der dem Tagesspiegel vorliegt, äußert der der Ersatzkassenverbandes VdEK den Wunsch, „zur Versachlichung" beizutragen. „Die Ersatzkassen bieten an, diese Klagen ruhend zu stellen und im Rahmen von Mediationsgesprächen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft beziehungsweise mit den Landeskrankenhausgesellschaften einvernehmliche pragmatische Lösungen zu erarbeiten“, heißt es darin.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßte die Einlenkversuche. „Wir sind selbstverständlich bereit, konstruktiv nach einer Lösung zu suchen“, sagte Präsident Gerald Gaß. Für die Kliniken sei die derzeitige Situation „durch Unsicherheit und Angst um die Liquidität geprägt", erläuterte er.

Landesminister lobt Spahns Schlichtungsversuch

Zuvor hatten die Klinikverband die Kassen noch aufs Heftigste beschimpft. Mit ihrer Klageflut versuchten sie, Rechnungen für Leistungen bei der Schlaganfallversorgung nachträglich zu kürzen,, „die in der Vergangenheit ordnungsgemäß erbracht wurden und in vielen tausend Fällen das Leben ihrer Versicherten gerettet haben“, so der DKG-Präsident. Dabei handle es sich um „schamlose Geldschneiderei“, die an eine „Drückerkolonne der Inkasso-Branche“ erinnere.

Der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen und amtierende Vorsitzende der Gesundheitsminister-Konferenz, Karl-Josef Laumann, lobte Spahns Vermittlungsversuch. Er begrüße es sehr, dass der Minister den gemeinsamen Vorschlag der Länder aufgreife und nächste Woche zu Schlichtungsgesprächen einlade, sagte Laumann dem Tagesspiegel. Es sei "dringend geboten, mit Kassen und Krankenhausträgern nach sachgerechten Lösungen zu suchen, um schwierige und langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden".

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