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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Kay Nietfeld/dpa

Gesundheitsminister im Krisenmodus: Coronavirus wird für Jens Spahn zur Bewährungsprobe

Ein Macher oder ein Getriebener? Das politische Schicksal von Jens Spahn entscheidet sich gerade an seinem Umgang mit den Corona-Infektionen.

Ausgerechnet NRW. Geht es um die politischen Zukunftsfragen von CDU und Nation, scheinen sich derzeit sowieso schon alle Entwicklungen auf diesen Flecken Erde zu konzentrieren. Norbert Röttgen, Friedrich Merz, Armin Laschet: Alle drei bislang hervorgetretenen Kandidaten für den Parteivorsitz der Christdemokraten und auch die künftige Kanzlerschaft kommen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Das gilt auch für den Hoffnungsträger in der zweiten Reihe. Allerdings hat Gesundheitsminister Jens Spahn eher Grund, sorgenvoll auf seine Heimat zu blicken. Für den 39-Jährigen braut sich dort gerade das zusammen, was zu seiner größten politischen Herausforderung werden könnte.

Nordrhein-Westfalen könnte demnächst zum Zentrum einer deutschen Coronavirus-Epidemie werden. Das wäre dann, womöglich, die Stunde des Krisenmanagers Spahn, Start- und Kristallisationspunkt seines weiteren Aufstiegs. Oder, auch das ist denkbar, sein politisches Ende. Das Problem für den kraftstrotzenden CDU-Politiker, der es gewohnt ist, immer Kontrolle über sich und seine Außendarstellung zu behalten: Das Virus hat für ihn bereits Fakten geschaffen. Es muss ich jetzt nur zeigen, in welcher Dimension.

Das Virus hätte sich keine bessere Jahreszeit aussuchen können als die fünfte

Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Ehepaar aus seinem Bundesland infiziert ist. Und dass die beiden mit ihren Viren „intensiv am sozialen Leben teilgenommen“ haben. Was als Untertreibung gelten muss. Die Infizierten waren im Karneval unterwegs. Und zwar offenbar so, wie es in NRW üblich ist: ausgiebig und dauerhaft.

Der Landrat des betroffenen Kreises Heinsberg erklärte, dass das Ehepaar in den vergangenen zwei Wochen eine „unendliche Vielzahl von Kontakten“ gehabt habe. Nebenbei ist die Frau noch Kindergärtnerin. Und einer der durch sie Infizierten war danach im brandenburgischen Baderessort "Tropical Island". Das alles klingt wie eine Laborsituation mit der Aufgabe, einen Virus möglichst effektiv zu verbreiten. Enge Menschenansammlungen, eine Höchstrate an oft intensiven Sozialkontakten, hohe Mobilität von potenziellen Virusträgern, schlechte hygienische Rahmenbedingungen: Als Krankheitserreger kann man sich in Deutschland kaum eine bessere Jahreszeit aussuchen können als die fünfte. Und keinen besseren Ort als die Karnevalshochburgen im Rheinischen.

Aus dem freundlichen Hinweis, Ruhe zu bewahren, wird ein flehentlicher Appell

Jens Spahn weiß das. Er weiß auch, dass bald Schlagzeilen geschrieben und verbreitet werden, denen man nicht mit einem schnellen Tweet oder einem sorgfältig choreografierten Auftritt vor ausgesuchten Fernsehkameras begegnen kann. Dabei hat der Minister von Anfang an darauf hingewiesen, dass es auch in Deutschland eine Epidemie geben könnte – immer verbunden mit dem Hinweis, nicht in Panik zu verfallen. Bei der Botschaft bleibt er bislang, zuletzt beim Fernsehauftritt bei Sandra Maischberger am Mittwochabend. Aus dem freundlichen Hinweis, Ruhe zu bewahren, wurde im Laufe der Zeit allerdings ein Appell, der inzwischen fast schon flehentlich klingt.

Von Maischberger wurde dann auch – infektiologisch übrigens aus gutem Grund – der Handschlag zwischen Minister und Moderatorin problematisiert. Wer Spahn ein wenig kennt, weiß, dass er solchen Äußerungen am liebsten mit Ironie begegnet. In der Regel funktioniert das auch prächtig. Jetzt jedoch nicht mehr: Jede Andeutung einer gewissen Leichtigkeit oder gar eines Scherzes im Zusammenhang mit Corona würde Spahn derzeit als Zynismus ausgelegt. Der Minister darf jetzt keinesfalls allzu flott rüberkommen. Er muss schon ernsthaft besorgt wirken.

War es ein Fehler, den Karneval nicht abzusagen?

Tatsächlich dürfte ihn nicht nur die Gesundheitsgefahr für die Bürger umtreiben. An der Ausbreitung der Corona-Epidemien, an der Zahl der Infizierten, und wahrscheinlich auch an der Zahl der Todesfälle wird sich Spahn am Ende auch politisch messen lassen müssen. War es wirklich richtig, bei Flugreisenden mit verdächtigen Symptomen keine Temperaturmessung anzuordnen? War es ein Fehler, die Beurteilung des Gesundheitszustandes von Fluggästen allein den Piloten zu überlassen? Und wahrscheinlich auch: War es richtig, angesichts der näher rückenden Bedrohung den Karneval nicht abzusagen?

Man kann davon ausgehen, dass Spahns Sprecher gerade einen parallelen Krisenstab aufbaut – neben dem, den Spahn und Innenminister Horst Seehofer am Donnerstag angekündigt haben. Der ehemalige „Bild“-Journalist Hanno Kautz muss es jetzt schaffen, Spahn weiterhin als Macher zu präsentieren, nicht als Getriebenen.

Wie das gehen soll, ist fraglich. Denn natürlich wäre die Forderung, einen Karneval im Rheinland zu unterbinden so sinnvoll gewesen, wie die Fließrichtung der Mosel umkehren zu wollen. Auch bei einer Absage offizieller Veranstaltungen hätten es sich Narren wohl kaum nehmen lassen, auf der Straße zu feiern. Aber was kümmert das diejenigen, die im Nachhinein alles besser wissen? Hätte man dann nicht frühzeitig auch öffentliche Einrichtungen, Kitas und Schulen schließen müssen? Müsste jetzt nicht auch die Berliner Tourismusmesse ITB abgesagt werden? Und was ist mit überfüllten Bussen, Zügen, U-Bahnen?

Das Risiko, doch noch als Panikmacher dazustehen

Wenn man solche Maßnahmen für richtig hält, sollte man damit beginnen, bevor es zu massenhaften Infektionen kommt. Der richtige Zeitpunkt für eine Absage von Großveranstaltungen, Schulunterricht und Kita-Betrieb wäre demnach: Jetzt. Das würde allerdings das Risiko bergen, doch noch als Panikmacher dazustehen. Spahn würde damit in den Augen vieler mit seinem seit Wochen gepredigten Grundsatz brechen, nicht in Hysterie zu verfallen.

Ein Dilemma. Und zeitlich einem politisch entscheidenden Termin gefährlich nahe: In ziemlich genau zwei Monaten findet in Berlin die Wahl der neuen CDU-Vorsitzenden statt. Mit seinem Coup, nicht selber anzutreten, sondern sich scheinbar selbstlos dem aussichtsreicheren Kandidaten unterzuordnen und damit für diesen nebenher noch den konservativen Flügel abzudecken, hat Spahn gerade eine strategische Glanzleistung vollbracht. Die Chancen des Duos Laschet/Spahn hängen nun aber nicht mehr nur von der Performance ihrer parteiinternen Gegner Merz und Röttgen ab, sondern mindestens genauso von der Entwicklung des Coronavirus.

Ein eleganter Abgang als Gesundheitsminister käme Spahn hochgelegen

Für Spahn hat das eine besonders bittere Note. Schließlich hat er sich in seinem bisherigen Amt als Gesundheitsminister wie kaum ein anderes Kabinettsmitglied bewährt. Dass es ihm nun ausgerechnet dort die weitere politische Karriere verhageln könnte, war nicht abzusehen.

Dem anderen großen Risiko hätte er sich durch einen rechtzeitigen, eleganten Abgang womöglich entziehen können. Das nächste Jahr nämlich könnte für den Minister ansonsten zum unangenehmsten seiner Amtszeit werden. 2020 kommen die Krankenkassen finanziell noch grade so über die Runden. Danach dürfte es, selbst wenn das Wirtschaftswachstum anhält, eng werden. Zu erwarten sind Beitragssteigerungen auf breiter Front. Womöglich gelangt dann auch das das mittlerweile fast vergessene Wörtchen „Kostendämpfung“ schneller als gedacht wieder in den politischen Wortschatz. Ein Alptraum für jeden Gesundheitsminister. Noch dazu in einem Wahljahr.

Für all das wird man, auch das ist vorauszusehen, den bisher so glanzvoll agierenden Ressortchef verantwortlich machen. Und das nicht ganz zu Unrecht. Denn zum einen haben die Kassen vor den mageren Jahren auf Spahns Geheiß noch mal kräftig in die Vollen greifen und ihre Milliardenreserven abbauen müssen. Zum andern ist die erwartbare Ausgabenexplosion keineswegs nur den immer hochpreisiger werdenden Gentech-Arzneimitteln zu verdanken. Sie lässt sich nicht unwesentlich auch auf die Flut von Spahn-Reformen zurückführen, die bei den Kassen ab 2021 richtig ins Kontor schlagen wird. Langfristig profitieren die Versicherten fraglos vom Reformeifer des Ministers, doch die Rechnung dafür muss bezahlt werden.

Parteivizeposten, Fraktionsvorsitz – oder gar nichts

Bei optimalem Karriere-Timing wäre der Macher aus dem Münsterland dann schon woanders. Die guten Jahre des deutschen Gesundheitswesens blieben mit dem Namen Jens Spahn, die schlechter werdenden mit seinem Nachfolger verbunden. Eine größere Kabinettsumbildung, bei der Spahn Finanzminister werden könnte, ist zwar unwahrscheinlich, sie wäre mit dem Koalitionspartner kaum zu machen. Denkbar wäre aber, dass Ralph Brinkhaus zurückzieht und dem forschen Westfalen den Fraktionsvorsitz überlässt. Um dorthin oder auch nur auf den Stellvertreterposten an der Parteispitze zu gelangen, darf Spahn jetzt allerdings keinen Fehler bei der Bewältigung der Corona-Krise machen.

Sein politisches Schicksal entscheidet sich in diesen Wochen.

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