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Ein Bauer in einem verdorrten Reisfeld im indischen Bundesstaat Assam.

© dpa

Gesetzesentwurf der Grünen-Fraktion: Was hinter der „Klimapass“-Idee steckt

Die Grünen schlagen ein Aufnahmesystem für Menschen vor, die wegen des Klimawandels ihr Zuhause verlassen müssen. Experten hatten die Idee entwickelt.

Ein Gesetzesentwurf der Grünen, der am Freitag im Bundestag debattiert wurde, hat am Montag die „Bild“-Zeitung zur Schlagzeile „Klima-Flüchtlinge sollen deutschen Pass bekommen“ veranlasst. AfD-Politiker und rechtsgerichtete Internetseiten wie „PI-News“ übernahmen die Aussage und empörten sich. Was aber steckt dahinter?

Hintergrund ist ein Gesetzesentwurf der Grünen, der am Freitag im Bundestag debattiert wurde. Der Titel: „Klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung – Eine Frage globaler Gerechtigkeit“. Darin wird gefordert, jetzt politische Entscheidungen in die Wege zu leiten, um Regeln für die zu erwartenden Folgen des Klimawandels zu schaffen.

Eine der Ideen ist es, neben Prävention und Unterstützung der besonders betroffenen Regionen, ein sogenannter „Klimapass“. Dieser solle Menschen gegeben werden, die akut von Vertreibung durch Klimawandel-Folgen bedroht sind. Mit dem Pass sollen die Menschen dem Plan zufolge an einen sicheren Ort migrieren können. Wohlhabende Staaten sollen die Klimaflüchtlinge dann nach einem Schlüssel aufnehmen.

Der Klimapass ist dabei keine Idee der Grünen, sondern eine Empfehlung des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU), eines unabhängigen Experten-Gremiums, das die Regierung berät.

„Wenn absehbar ist, dass beispielsweise Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, muss dringend festgelegt werden, welche völkerrechtlichen Folgen der Verlust des Territoriums für die Betroffenen, ihre Staatsangehörigkeit und ihren Schutzanspruch mit sich bringt“, heißt es nun in dem Gesetzentwurf.

Der Zusammenhang von Klimawandel und Migration

Der Klimawandel wird darin als „eine Krise der globalen Gerechtigkeit“ bezeichnet. Die Folgen der Erderwärmung würden in Zukunft ärmere Länder am stärksten treffen, obwohl größtenteils Industriestaaten den Klimawandel verursacht hätten.

Das UN-Gremium, das sich auf wissenschaftlicher Basis mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzt – das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – weist immer wieder darauf hin, dass der Klimawandel Migration zur Folge haben wird. Ganze Landstriche, und sogar ganze kleinere Inselstaaten, könnten unbewohnbar werden.

„Der Klimawandel wird erhebliche Auswirkungen auf Migrationsformen haben“, sagt das IPCC in seinem Bericht von 2018 (PDF hier). Wie viele Menschen in Zukunft aufgrund des Klimawandels vertrieben werden, ist schwer abschätzbar. Die Weltbank hat 2018 für drei Regionen eine Prognose abgegeben: 143 Millionen Menschen könnten bis 2050 dazu gezwungen sein, innerhalb ihrer Länder zu migrieren, etwa von der Küste ins Inland oder von ländlichen Regionen, die zur Wüste werden, in urbane Regionen, die zum Teil schon jetzt überlastet sind. Das könnte zu sozialen Spannungen führen.

Die Weltbank hat Afrika für ihre Prognose Afrika südlich der Sahara, Südasien und Lateinamerika berücksichtigt. Global dürften also noch mehr Menschen betroffen sein.

Der Klimawandel könnte auch internationale Migration und Konflikte generieren: „Der Klimawandel hat das Potenzial, Ressourcen-Rivalitäten zwischen Ländern zu verschärfen“, sagt zum Beispiel der IPCC.

Experten schlagen Klimapass als eine Maßnahme vor

Hier kommt nun der Klimapass ins Spiel, die Empfehlung des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU). Der WGBU hat den Klimapass 2018 in einem Papier vorgeschlagen, neben einer Reihe weiterer Maßnahmen. Der Pass solle zunächst Bewohnern kleiner Inselstaaten angeboten werden, „deren Staatsgebiet durch den Klimawandel unbewohnbar werden“. Kleine Inselstaaten, die zugleich Entwicklungsstaaten sind, sind überproportional von Naturgefahren betroffen.

Mit dem Klimapass sollen Menschen in Staaten einreisen dürfen, die dem zugestimmt haben. Das sollen vor allem Industriestaaten sein. Der WBGU schlägt nämlich vor, die Aufnahme nach dem Verursacher-Prinzip zu regeln: Die Länder, die historisch die meisten Emissionen verursacht haben, sollen die meisten Klimaflüchtlinge aufnehmen. Sie tragen die Verantwortung für den Klimawandel, heißt es in dem Bericht.

Das würde bedeuten, dass die USA 27 Prozent der Klimaflüchtlinge aufnehmen würde. Die EU-Staaten würden nach diesem Schlüssel 25 Prozent der Klimaflüchtlinge aufnehmen, China 11 Prozent. Diese Zahlen gehen aus dem Politikpapier hervor. Der WBGU räumt aber ein, dass dieser Schlüssel nur einer von vielen möglichen ist. Er könne auch mit anderen Kriterien kombiniert werden.

Was die Grünen vorschlagen

Der Klimapass ist eine von mehreren Ideen des WGBU, die die Grünen in ihrem Gesetzesentwurf aufgreifen. Zudem fordert der Entwurf unter anderem Präventionsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Menschen überhaupt flüchten müssen. Für die Fälle, in denen Flucht notwendig werde, fordert der Entwurf eine „vorausschauende Planung für die Betroffenen“, damit diese „selbstbestimmt, frühzeitig und würdevoll über eine mögliche Migration entscheiden können; dass es aber auch Orte gibt, an denen sie sich niederlassen können“.

Claudia Roth (Grüne), MdB und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, in ihrem Büro im Bundestag in Berlin-Mitte.
Claudia Roth (Grüne), MdB und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, in ihrem Büro im Bundestag in Berlin-Mitte.

© Thilo Rückeis

Ein Klimapass „könnte den Betroffenen eine selbstbestimmte und frühzeitige Umsiedlung in sichere Länder ermöglichen – und ihnen dort staatsbürgerähnliche Rechte gewähren“, hatte Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) am Freitag in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Diese Aussage Roths ist eine Antwort auf die Interview-Frage, wie sie Einwohnern von pazifischen Inselstaaten helfen wolle, deren Land vollständig im Meer verschwinden könne.

Was mit dem Entwurf passieren wird, ist noch völlig unklar

Zunächst wird über eingereichte Gesetzesentwürfe im Bundestag nur debattiert, dann werden sie an den zuständigen Fachausschuss überwiesen. Der Bundestag hat den Antrag jetzt in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen. Abgestimmt wird an dieser Stelle im Verfahren noch nicht.

Der ARD-Faktenfinder hat sich am Montag mit der Forderung des Klimapasses beschäftigt. Das Ergebnis des öffentlich-rechtlichen Rechercheprojekts: Wie ein solcher Klimapass rechtlich konkret aussehen soll, bleibe unklar. „Politisch dürfte das Vorhaben ohnehin keine Mehrheiten finden“, urteilte der Faktenfinder.

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