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Besucher stehen auf der Air Base in Ramstein vor einer US-Flagge im Gegenlicht.

© Frank May/dpa

„Geschwächtes Russland“ als Ziel: Der rhetorische Strategiewechsel der USA

Bisher setzten die USA sprachlich auf Hilfe für die ukrainische Verteidigung. Doch jüngste Äußerungen des Verteidigungsministers deuten auf einen Wandel hin.

Eigentlich war die Rede schon so gut wie vorbei. Doch dann sagte US-Präsident Joe Biden den entscheidenden Satz. „Um Gottes willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben.“ Gemeint war Russlands Präsident Wladimir Putin.

Starke Worte angesichts des Grauens in der Ukraine oder ein folgenschwerer Fehler? Dass Biden bei seiner Rede Ende März im Warschauer Königsschloss Putins Macht offen in Frage stellte, hatte eine neue Dimension und schlug hohe Wellen.

Sofort wurde spekuliert, ob er damit einen geplanten „Regime-Change“ meinte. Die US-Regierung ruderte eilends zurück und Biden relativierte. „Ich habe damals nicht einen Politikwechsel angekündigt und tue dies auch jetzt nicht“, sagt Biden. Ein ungewöhnlicher Ausrutscher, des sonst im Ukraine-Konflikt bedacht formulierenden amerikanischen Präsidenten.

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Bisher ging es in der Rhetorik der USA meist nur um Hilfen für die ukrainische Verteidigung, doch jüngste Äußerungen von Verteidigungsminister Lyoyd Austin lassen auf einen Wandel hindeuten. Man wolle „Himmel und Erde“ in Bewegung setzen, um die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen. Im Vorfeld des Treffens der Verteidigungsministerinnen und -minister in Ramstein hatte er als Ziele ausgegeben, der Ukraine weiter im Kampf gegen „die ungerechtfertigte Invasion Russlands“ zu helfen und – diese Note in der Rhetorik scheint neu – „die ukrainische Verteidigung für die Herausforderungen von morgen zu stärken“.

Verteidigungsminister Lloyd Austin in Ramstein.
Verteidigungsminister Lloyd Austin in Ramstein.

© Andre Pain/AFP

Die Ukraine könne gewinnen, „wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige Unterstützung“ habe, so Austin. Im Zuge des Besuchs in Kiew sagten er und sein Ministerkollege Blinken weitere Militärhilfen in Höhe von 700 Millionen Dollar (650 Millionen Euro) zu. Damit beläuft sich die bisherige militärische Unterstützung der USA für die Ukraine insgesamt auf mehr als 3,1 Milliarden Dollar.

Russland müsse es schwer gemacht werden, künftig weiter seine Nachbarn zu bedrohen, sagte Austin. Noch deutlicher war er zuvor in Polen geworden, wo er sagte: „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist.“

Der „Spiegel“ berichtete passend dazu unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen aus der US-Regierung, das russische Militär und die Führung müssten so sehr geschwächt werden, dass sie über einen längeren Zeitraum gar nicht mehr die Kraft hätten, Angriffe auf Staaten in der Region glaubhaft anzudrohen oder gar umzusetzen.

Dass Austin solche Überlegungen inzwischen unverblümt öffentlich äußert, macht den Strategiewechsel deutlich. In Ramstein hat Austin seine Äußerung, Russland müsse es künftig schwer gemacht werden, seine Nachbarn zu bedrohen, nochmals wiederholt.

Austin betont die militärischen Verluste Russlands

Austin betonte in Ramstein deutlich auch die beträchtlichen militärischen Verluste Russlands. Im „Guardian“ hatte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace die Verluste Russlands am Montag auf ein Viertel der Streitkräfte vor der Invasion geschätzt, wobei mehr als 2.000 gepanzerte Fahrzeuge, darunter mindestens 530 Panzer, sowie 60 Flugzeuge vernichtet worden seien.

Der Professor für Politikwissenschaft von der Denkfabrik „Defense Priorities“, Rajan Menon, sagte der Zeitung, die Äußerungen deuteten darauf hin, dass die USA und ihre Verbündeten selbst dann wenn sich die russischen Truppen aus dem ukrainischen Gebiet zurückziehen sollten, versuchen würden, die Sanktionen aufrechtzuerhalten. Dies solle verhindern, dass Russland seine Streitkräfte wieder neu formiert.

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„Wenn ich die Reden des Ministers schreiben würde, würde ich es vorziehen, wenn er sagen würde: Unser Ziel ist es, dass die Ukraine gewinnt, und nicht, dass es unser Ziel ist, Russland zu schwächen, denn das sind zwei Seiten derselben Medaille, aber eine davon hätte viel mehr mit dem übereingestimmt, was die russische Regierung gesagt hat“, sagte Alina Polyakova, Vorsitzende des Thinktanks „Center for European Policy Analysis“ ebenfalls im „Guardian“ mit Bezug auf Austin.

„Sicherlich werden die russischen Staatsmedien das nutzen, um das Narrativ zu verstärken, das wir bereits von der russischen Regierung kennen, nämlich dass die USA Russland zerstören wollen“, so Alina Polyakova, fügte aber hinzu: „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir uns allzu viele Sorgen darüber machen sollten, wie die russischen Medien dies auslegen werden“. Sie würden es ohnehin in ihrem Sinne auslegen.

Möglicherweise sind schon die Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow eine Reaktion auf Austin. Lawrow sprach von einer realen Gefahr eines Dritten Weltkrieges. „Die Gefahr ist ernst, sie ist real, sie darf nicht unterschätzt werden“, sagte Lawrow in einem Interview im russischen Fernsehen, das das Außenministerium am Montagabend in seinem Telegram-Kanal teilte. (mit Agenturen)

Aljoscha Huber

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