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Geschichtslehrer Florian Quaiser: "Beim Thema Nationalsozialismus bringen die Schüler viel Vorwissen mit"

Im Unterricht ist die Wannsee-Konferenz kein großes Thema. Aber über den Holocaust insgesamt sind die Schüler gut informiert - meint Geschichtslehrer Florian Quaiser.

Bei uns gilt: Eher hingehen als behandeln. Exkursionen ins Haus der Wannseekonferenz sind im Kommen und auch unbedingt zu empfehlen. Weil die Schüler dort einen konkreten und anschaulichen Zugang zu dem Thema finden. Im Unterricht ist die Wannsee-Konferenz schwierig zu vermitteln. Weil sie sehr abstrakt ist. Sie gilt zwar als Beginn der Judenvernichtung, aber welche Ministerien waren beteiligt, was wurde besprochen?

Die Konferenz wird also nicht behandelt?

Da man im Geschichtsunterricht fast immer zu wenig Zeit hat und gehetzt ist, tendiert man beim Nationalsozialismus dazu, die großen Linien zu besprechen und dann ausgewählte Schwerpunkte zu setzen, etwa die Institution des Blockwarts oder die Arisierung. Dazu gehört die Wannsee-Konferenz dann häufig nicht, die bleibt eher eine Fußnote. Wenn, dann versuchen wir sie vor allem über die handelnden Personen aufzuschlüsseln: Wer saß da und was geschah mit den Teilnehmern der Konferenz nach dem Krieg? Mit vielen nämlich gar nichts.

Wie reagieren die Schüler auf das Thema Nationalsozialismus?

Die generelle Haltung ist: Bitte nicht zu viel. Das ist gar nicht mal negativ gemeint, sondern eher in dem Sinne: „Okay, wir haben es begriffen.“ Als Lehrer muss man aufpassen, dass das Thema nicht zu dominant wird. Die Schüler nehmen es in Deutsch, Kunst und in Geschichte durch und bringen zusätzlich schon ziemlich viel Vorwissen mit. Wenn wir in der 9. Klasse ein erstes Brainstorming zum Nationalsozialismus machen, ist es erstaunlich, wie gut viele schon informiert sind. Der große Rahmen ist bekannt, allerdings sind die Lücken immer noch recht groß, etwa zur Entrechtung der Juden. Wir sehen unsere Rolle dann eher darin, Strukturen nachzureichen.

Woher haben die Schüler das Vorwissen?

Eher weniger aus den Familien. Eine große Rolle spielt das Fernsehen und, stärker noch, das Internet. Von dem Thema geht eine starke Faszination aus.

Was machen Sie, um das Thema im Unterricht nicht zu trocken zu vermitteln?

Häufig lasse ich Gerichtsprozesse nachspielen, in denen die Frage verhandelt wird: Wie geht man mit Nazi-Tätern um? Denn die vorherrschende Meinung bei den Schülern ist: Ja, das ist spannend, aber damit habe ich nichts zu tun, ich war nicht dabei. In unseren fiktiven Prozessen merken sie dann, dass jeder Deutsche diese Last im Rucksack hat, ob er will oder nicht. Auch Zeitzeugen lade ich oft in den Unterricht. Auf so etwas springen die Schüler sofort an. Weil es lebendig ist.

Florian Quaiser (38) ist Lehrer für Geschichte am Heinz-Berggruen-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg. Das Gespräch führte Udo Badelt.

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