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Amerikahaus

© Ullstein

USA in Berlin: Es war einmal im Amerikahaus

Am Freitag eröffnet die neue US-Botschaft, hoch gesichert ist dort auch die Kulturabteilung. 60 Jahre zeigten sich die USA im Amerikahaus - Erinnerung an einen Ort der Begegnung und wilder Demos: 1966 flogen hier die ersten Eier.

Von Andreas Austilat

Gelber Dotter rann die Wand hinunter. Ein Hühnerei, kein faules, auch kein Farbei, wie später in vielen Zeitungen zu lesen war, hatte die Fassade getroffen. Dann klatschte es wieder, ein zweites, ein drittes Ei kamen aus dem Schutz der Bahnunterführung geflogen, das vierte verfehlte die mit blauen und roten Mosaiksteinen geflieste Außenwand. So beschreibt Friedrich Christian Delius in seinem Roman „Amerikahaus und der Tanz um die Frauen“ die Szene. Es war der 5. Februar 1966, und soeben waren die ersten Eier überhaupt gegen eine amerikanische Einrichtung in Deutschland geflogen: gegen das Berliner Amerikahaus in der Hardenbergstraße.

Die Aktion schlug ungeheure Wellen, vor allem in Berlin selbst. Ein Anschlag gegen die Amerikaner, ausgerechnet. Nirgendwo sonst schienen die freundschaftlichen Bande so eng wie in der von den Sowjets umzingelten Halbstadt, die sich nur sicher glauben konnte, solange die USA ihr Engagement aufrechterhielten. Gerade drum, erinnert sich Tilman Fichter, damals Berliner Landesvorsitzender des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Nirgendwo sonst in Deutschland wurde so genau hingeguckt, wenn Studenten gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam demonstrierten. Hier war es sogar möglich, ins US-Fernsehen zu kommen. Und so geriet das Amerikahaus in den Brennpunkt. Für Jahre sollte es kaum eine Demonstration geben, die nicht hier vorbeiführte.

Doch während in Berlin Bürgermeister Willy Brandt sich persönlich entschuldigen musste, die Opposition den Rücktritt des Innensenators verlangte und der Bundesbevollmächtigte, so etwas wie Bonns Botschafter in der Mauerstadt, seinen Urlaub abbrach, reagierten die Amerikaner vergleichsweise gelassen. „Die fuhren voll auf weiche Linie“, erinnert sich Wolfgang Schwiedrzik, „wollten mit uns diskutieren“. Schwiedrzik, 1962 Mitbegründer der Schaubühne, die sich damals noch am Halleschen Ufer befand, muss es wissen, denn er war am 5. Februar 1966 ebenfalls vor dem Amerikahaus. Mehr noch, Schwiedrzik hatte die Eier gekauft, zehn Stück für 1,99 D-Mark, gleich nebenan in der Lebensmittelabteilung von Bilka, einem heute nicht mehr existierenden Kaufhaus an der Joachimstaler-, Ecke Kantstraße. Er stopfte sich die Eier in die Taschen seines Parkas und ging zurück. Am Tatort jedoch hatte er Schwierigkeiten, die Eier loszuwerden. Ein Zeichen wollte man doch setzen, ein irgendwie theatralisches, schließlich kam Schwiedrzik vom Theater, aber nicht jeder traute sich. Weshalb er drei oder vier Eier in der Tasche behielt. Gegen das Amerikahaus selbst hatte er übrigens gar nichts, im Gegenteil, in der dortigen Bibliothek hatte er schon Bücher entliehen, „und die Veranstaltungen waren auch nicht uninteressant“.

Die Rechnung ging also 1966 noch auf. Denn genau dafür war das Amerikahaus einst gegründet worden: auch in schwierigem Umfeld ein offenes Haus zu sein für alle, die gucken wollten, wie die USA sich präsentieren, und dabei selbst jene zu erreichen, die dem Land kritisch gegenüberstehen. Heute, über 40 Jahre später, warnen Schilder vor dem Wachhund. Gitterrollos sichern die Fenster, von deren Rahmen hier und da der Lack abplatzt. Das Haus ist zu, aber der Schriftzug „Amerika Haus“ steht ebenso unter Denkmalschutz wie das gesamte Gebäude, das auf einen neuen Mieter wartet. Die Bundeszentrale für Politische Bildung würde es gern für ihre Berliner Dependance nutzen.

Die Kulturarbeit, die einst hier geleistet wurde, ist auf die neue amerikanische Botschaft neben dem Brandenburger Tor übergegangen, die kommende Woche, am 4. Juli, feierlich eröffnet wird. Aber dieses Haus spricht eine ganz andere Symbolsprache als das Amerikahaus in seinen besten Tagen. Alles andere als offen, wird die Botschaft höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechen, mehr Festung als Haus der Begegnung sein. Die Zeiten, sie sind wohl so, oder brauchte es nicht gerade jetzt eine Einrichtung, die Amerika erklärt? Immerhin, selbst Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Außenminister, erklärte den Graben zwischen Europa und den USA anlässlich George W. Bushs letztem Besuch für breiter denn je. Doch während die deutschen Goethe-Institute nach Jahren der Sparsamkeit heute aus einem größeren Etat schöpfen können, auch in den USA wieder stärker in die Öffentlichkeit treten, sind die Aufwendungen der USA für Public Diplomacy seit 20 Jahren zurückgegangen, und das, obwohl das eigene Image in der Welt nicht das beste ist.

Die Anfänge des Amerikahauses in Berlin waren bescheiden. Nicht viel mehr als eine Bücherstube eröffnete 1946 in der Kleiststraße. Aber schon bald wurden dort Fotos ausgestellt und Jazz gespielt. 1947 wurde die Einrichtung zum US-Information Center erklärt, seitdem trägt es auch den Namen „Amerikahaus“.

Das Haus war Teil des Reeducation- Programms. Denn die Amerikaner waren nach dem Zweiten Weltkrieg überzeugt, dass die Deutschen notorisch intolerant und autoritätshörig seien, vor allem die Jugend und die Frauen standen unter dem Verdacht, politisch uninteressiert, wenn nicht gar naziverseucht zu sein. Es galt also, die Deutschen von den Vorzügen demokratischer Lebensführung zu überzeugen, wenn dieses einstweilen besetzte Land nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen sollte. 20 Information Centers betrieben die USA 1947, es sollten bald über 40 sein. Die Briten und die Franzosen hatten mit den British Councils und den Instituts français vergleichbare Einrichtungen.

Natürlich waren diese Häuser ein Instrument der Propaganda, sagt Knud Krakau, inzwischen emeritierter Professor am Institut für Amerikanistik der FU-Berlin. Aber Propaganda kann klug sein oder dumm. In bewusster Abgrenzung von der Nazipropaganda verkündete Präsident Truman die Direktive des „full and fair picture“ an einem Ort, an dem Deutsche Amerikaner treffen, amerikanische Zeitungen und Bücher lesen, Musik hören und Filme gucken konnten. Nur ein undogmatisches Konzept verspreche Erfolg, mahnte auch James R. Wilkinson, Generalkonsul in München, denn „die Deutschen wurden so lange mit Propaganda gefüttert, dass sie hinter jedem Buch, das speziell für sie herausgebracht wird, eine höhere Absicht vermuten“.

Für sein Amerikabild, Knud Krakau ist Jahrgang 1934, hätten die Amerikahäuser eine große Rolle gespielt, sagt er heute. Jazz habe damals bei vielen Deutschen noch als Negermusik gegolten, in den Amerikahäusern konnte man Louis Armstrong hören, Schallplatten ausleihen, außerdem Bücher von Steinbeck, Faulkner, Fitzgerald, alles Autoren, die es in den frühen 50er Jahren in deutschen Bibliotheken kaum oder gar nicht gab.

Allerdings zeichnete sich spätestens ab 1950 in den Amerikahäusern, die der neu gegründeten United States Information Agency unterstanden, einer Abteilung des Außenministeriums, ein Richtungswechsel ab. An die Stelle der Anti-Hitler-Politik trat der Antikommunismus, entsprechende Titel waren in die Bestände aufzunehmen. Im Auftrag von Senator McCarthy wurden 1953 auch die Bibliotheken der Amerikahäuser auf „unamerikanische Aktivitäten“ kontrolliert. Auf dem Index standen Autoren wie Dashiell Hammett und Herman Melville.

In Deutschland reagierte die Presse besonders kritisch, erinnerte das Verfahren doch an die Bücherverbrennung der Nazis. Auch in den USA war bald von der „Book-Burning“-Kontroverse die Rede, noch im gleichen Jahr entschloss sich die Eisenhower-Administration, die Literaturauswahl weniger rigide zu handhaben.

Doch gerade die antisowjetische Haltung brachte in der Folgezeit eine vergleichsweise liberale Kulturförderung mit sich. Europäische Intellektuelle wären anders auch gar nicht zu gewinnen gewesen. Die abstrakte Malerei eines Jackson Pollock, obwohl daheim kaum mehrheitsfähig, in Deutschland wurde sie präsentiert als Beispiel eigenständig amerikanischer Kunst, die etwas Neues zu zeigen hatte und so ganz anders war als der sozialistische Realismus. Im Berliner Amerikahaus las Thornton Wilder, traten James Stewart, Sidney Poitier und Robert Kennedy auf – im neuen Domizil an der Hardenbergstraße. Das hatte zwar 1957 kein US-Architekt entworfen, aber der Bau des Berliners Bruno Grimmek sah immerhin nach amerikanischer Moderne aus.

Mit all diesen Anstrengungen wollten die USA der gerade unter deutschen Intellektuellen verbreiteten Ansicht entgegentreten, Amerikaner könnten vielleicht mit ihrer Warenwelt beeindrucken, zu einer eigenständigen Hochkultur hätten sie es aber nicht gebracht. Und sie waren dabei durchaus erfolgreich. Vorübergehend wenigstens. Mit dem Vietnamkrieg und den weltweiten Studentenprotesten drohte die Stimmung zu kippen.

Holly Jane Rahlens kam 1972 von New York nach Berlin, der Liebe wegen, wie sie sagt. In der Szene, in der sie sich bewegte, der linken Studentenschaft, war das Amerikahaus zu jener Zeit verpönt. „Die Beziehung zu den USA war aber eher eine Art Hassliebe“, erinnert sie sich. Jimi Hendrix, Bob Dylan, die Beach Boys oder Blue Jeans, gegen die hatte keiner was. Formen des studentischen Widerstandes vom Sit-in über das Teach-in bis zur Bürgerinitiative hatten ihre Wurzeln in den USA. McDonald’s als Hassobjekt gab es noch nicht, Bagels auch nicht und Ice Cream Soda allenfalls, wenn in Dahlem die US-Garnison Volksfest feierte. Holly Jane Rahlens musste immer zu Jimmy nach Neukölln fahren, wo der ehemalige US-Soldat in der Wildenbruchstraße eine Imbissbude aufgemacht hatte. Jimmys Hamburger schmeckten wenigstens beinahe wie in New York.

Ins Amerikahaus ging Holly Jane Rahlens damals nur, um die „New York Times“, „Sports Illustrated“, „Miss Magazine“ zu lesen. Blätter, die sonst kaum zu kriegen waren, im Amerikahaus lagen sie aus. Das Programm aber fand sie in jener Zeit schlicht uninteressant. Das sollte sich erst ab Mitte der 70er Jahre wieder ändern.

Vielleicht hatte das mit dem Ende des Vietnamkriegs 1975 zu tun, vielleicht auch mit Renate Semler. 1974 gerade 30 Jahre alt, bewarb sie sich um den neuen Job einer Programmreferentin. Und der damalige US-Kulturattaché hatte ziemlich konkrete Vorstellungen, was die neue Referentin zu leisten hatte: Man müsse wieder die kritischen jungen Intellektuellen ins Haus holen.

Jan Myrdal, Günter Grass und Uwe Johnson diskutierten auf dem Podium des Amerikahauses über das Amerikabild der europäischen Schriftsteller, Gore Vidal kam, Robert Rauschenberg stellte seine Bilder aus, und Rita Dove, die später den Pulitzer-Preis verliehen bekam, staunte, dass sie im Berliner Amerikahaus für ihre Gedichte ein größeres Publikum fand als in den USA. Semler warb um Lehrer und Studenten, versuchte, Vorurteile gegen vermeintlich unpolitische Amerikaner zu entkräften. „Mag ja sein, dass nur 50 Prozent der Amerikaner den Präsidenten wählten, auf kommunaler Ebene aber engagieren sie sich sehr stark.“ Und weil Amerikaner eben auf ihre eigene Art tickten, musste man das erklären.

Amerikanische Feministinnen traten in den 70er Jahren auf, und während draußen vor der Tür in den 80ern gegen die amerikanische Lateinamerikapolitik demonstriert wurde, gegen die Verminung nicaraguanischer Häfen und die Unterstützung obskurer Militärregime, saß drinnen ein Vertreter des Komitees für Solidarität mit Nicaragua und klagte die USA derart überzeugend an, dass dem amerikanischen Direktor ganz bange wurde, wie sich Renate Semler erinnert.

Das Amerikahaus blieb im Brennpunkt. Es wurde besetzt von Unterstützern der Bewegung 2. Juni, es wurde mit Farbbeuteln beworfen, es wurde von Polizei abgeschirmt, aber es blieb für Veranstaltungen offen. Die Nervosität jener Jahre bekam Holly Jane Rahlens zu spüren, als sie im Haus eines ihrer Programme einstudierte, inzwischen trat die Wahlberlinerin hier mit ihren One-Woman-Shows auf. Harvey, der ihr bei der Show half, betätigte aus Versehen nicht den Schalter für den Scheinwerfer, sondern jenen für den stummen Alarm. Polizisten stürmten daraufhin den Raum.

Der Niedergang setzte in den 90ern ein, ausgerechnet in der Ära Clinton, dessen Wahlsieg 1992 über George Bush senior auf einer der legendären Amerikahaus- Wahlpartys gefeiert wurde. Schon unter Reagan war der Etat für die Häuser drastisch zurückgefahren worden, jetzt standen mit dem Ende des Kalten Kriegs neue Kürzungen an. Ganz offensichtlich wurde nun, dass die Amerikahäuser eine Waffe in diesem Kampf waren, es nicht einfach nur darum ging, Interesse an der Kultur eines Landes zu wecken.

Während in den Staaten des ehemaligen Ostblocks neue Einrichtungen öffneten, wurde das Angebot in Deutschland zurückgefahren. 1999 schließlich kam das Aus für die USIA als eigenständigem Träger, die Amerikahäuser unterstanden fortan nicht mehr direkt dem Außenminister, sondern irgendeiner Unterabteilung im State Department. 2006 wurde das Haus in Berlin geschlossen.

Natürlich kommen Filme heute direkt aus Hollywood, schicken Verlage ihre Autoren selbst auf Lesereise, braucht es vielleicht die Bibliothek mit ihrer Zeitungsabteilung nicht mehr, vieles kann man heute online lesen. Aber hätte ein Amerikahaus heute tatsächlich keine Funktion mehr zu erfüllen?

Für Tilman Fichter, der 1966 dabei war, als auf das Amerikahaus die ersten Eier flogen, ist der Versuch, amerikanische Kultur für Europa attraktiv zu machen, sogar kulturell prägend zu sein, gescheitert, die Mission habe sich erledigt. Ganz anders sieht das Renate Semler. Für sie war das Amerikahaus eine bis zuletzt erfolgreiche Marke, ein Ort, an dem erklärt wurde, was die USA ausmacht und wofür sie stehen. Umso bedauerlicher, dass man diesen Ort aufgegeben habe.

Wie auch immer aber die Bilanz gezogen wird: Bleibt das Gebäude mit dem Schriftzug „Amerika Haus“ länger leer stehen, gibt man es gar dem Verfall preis, wird es seine eigene Symbolkraft entfalten.

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