zum Hauptinhalt
Die Figur der Bremer Stadtmusikanten auf dem Marktplatz.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Geschichte der SPD in Bremen: Stationen eines Niedergangs

Länger als 70 Jahre regiert die SPD den Stadtstaat. Was hat sie erreicht, was hat sie versäumt, wo liegen ihre Schwächen? Ein Gastbeitrag.

Lothar Probst ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Universität Bremen und Spezialist für Wahl-, Parteien- und Partizipationsforschung. Er ist (passives) Mitglied der Grünen und war fast zehn Jahre lang Kommentator des TV-Ereigniskanals Phoenix bei allen Landtags-, Bundestags-, Europa- und Bundespräsidentenwahlen.

Die jahrzehntelange Dominanz der SPD in Bremen beruht auf ihrer politischen Wiedergeburt nach der Nazi-Zeit. Wilhelm Kaisen, der erste sozialdemokratische Bürgermeister der Nachkriegszeit, hat mit seiner pragmatischen Politik die SPD in Bremen bereits zu einer Zeit zur Volkspartei gemacht, als diese das Godesberger Programm noch gar nicht verabschiedet hatte.

Unter Kaisen hat die SPD nicht nur den Wiederaufbau der Häfen vorangebracht, sondern auch ein für damalige Verhältnisse vorbildliches Wohnungsbauprogramm aufgelegt, so dass Bremen schon früh eine wachsenden Stadt wurde. Bis in die 1960er-Jahre hat Bremen sogar in den Länderfinanzausgleich eingezahlt. Kaisen hat im Übrigen – trotz absoluter Mehrheiten für seine Partei – in den 1950er-Jahren mit der FDP koaliert und einmal sogar mit FDP und CDU.

Die Einbindung der FDP, die in Bremen aus der Bremer Demokratischen Volkspartei hervorging und im bürgerlichen Lager ein ernstzunehmender Konkurrent der CDU war, ging als Aufbaukoalition und als Bündnis aus Arbeiterschaft und Kaufmannschaft in die Bremer Geschichte ein. Durch die Integration der beiden bürgerlichen Parteien verfügte Kaisen jederzeit über einen guten Draht zu konservativ-liberalen Koalition in Bonn und konnte dort Gelder für Bremen anzapfen.

Nach dem Ende der Ära Kaisen ging es dann noch einer kurzen Interimsphase mit Hans Koschnick weiter, die zweite prägende politische Figur der Bremer SPD in der Nachkriegsära. Unter seiner Führung begann die 20-jährige Alleinherrschaft der SPD ab 1971, als die FDP-Senatoren aus Protest gegen die Zusammensetzung des Gründungssenats der Uni Bremen (in dem auch einige Kommunisten und Linkssozialisten saßen) die Koalition verließen. In Koschnicks Regentschaft fiel 1983 die Pleite der AG Weser, der erste große Einschnitt und Beginn des Niedergangs der Bremer Werften, die vorher tausenden von Arbeitern und ihren Familien den Lebensunterhalt sicherten.

Durch vorausschauende Politik hatte Koschnick bereits 1978 durch die Anwerbung von Mercedes-Benz einen Strukturwandel vorbereitet, durch den zumindest teilweise eine Kompensation für wegfallende Arbeitsplätze der Werftindustrie erfolgen konnte. Gleichwohl stieg durch das Werftensterben in dieser Zeit die Arbeitslosigkeit an, und Bremen musste die steigenden Sozialausausgaben (da diese kommunal finanziert wurden) durch stärkere Verschuldung schultern.

Öffentlicher Dienst wichtiger Faktor

Hinzu kam die bereits 1969 erfolgte, für Bremen nachteilige Steuerzerteilung durch die Einkommenssteuerreform am Ende der ersten Großen Koalition im Bund (Erhebung der Einkommenssteuer nach Wohnort statt Arbeitsplatz), die aufgrund der vielen in Niedersachsen lebenden, aber in Bremen arbeitenden Pendler zur Verschuldung beitrug. Der dritte Faktor war die Expansion des Öffentlichen Dienstes seit den 1970er- Jahren – unter anderem, aber nicht nur durch die Gründung und den Ausbau einer eigenen Universität. Dadurch geriet Bremen insgesamt immer stärker in die Schuldenfalle.

CDU-Kandidat Carsten Meyer-Heder (l.) und Bürgermeister Carsten Sieling (SPD).
CDU-Kandidat Carsten Meyer-Heder (l.) und Bürgermeister Carsten Sieling (SPD).

© Carmen Jaspersen/dpa

Am Ende der Ära Koschnick und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Klaus Wedemeier (der als „Angestellter“ die veränderte Sozialbasis der Bremer SPD verkörperte) konnte die SPD in einem letzten Aufbäumen 1987 noch einmal eine absolute Mehrheit erzielen, die aber bei der Bürgerschaftswahl 1991 mit einem Verlust von fast 12 Prozentpunkten geradezu abstürzte.

Nicht nur die Grünen, die bereits in den 1980er-Jahren in Bremen stark geworden waren, sondern auch die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) konnten der SPD 1991 Stimmen streitig machen – außerdem begann die Phase des fast stetigen Rückgangs der Wahlbeteiligung, weil vor allem die SPD an das sogenannte Nichtwählerlager verlor.

Die Stunde von Henning Scherf

Mit der Ampelkoalition, die 1995 vorzeitig an einem Konflikt zwischen Grünen und FDP scheiterte, konnte sich 1991 die SPD noch einmal in die Regierungsverantwortung retten – bei der vorgezogenen Neuwahl 1995 reichte es dann aber nur für einen hauchdünnen Vorsprung vor der CDU, die zum ersten Mal in ihrer Bremer Geschichte fast gleichauf mit der SPD lag.

Das war die Stunde von Henning Scherf, der als linker Vormann während des Wahlkampfes noch für ein rot-grünes Bündnis geworben hatte, den die SPD-Basis dann aber in einem Mitgliederentscheid auf eine Koalition mit der CDU verpflichtete. Innerhalb weniger Monate wurde Scherf vom Saulus zum Paulus und zum Verfechter der Großen Koalition. Er revitalisierte gewissermaßen die Koalition aus Arbeiterschaft und Kaufmannschaft, wenngleich die SPD längst zu einer Partei des Öffentlichen Dienstes geworden war und allenfalls noch unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in der Großindustrien Bremens Zuspruch fand.

Wie die Schuldenbremse Bremen zum Sparen zwang

Obwohl in die erste Legislaturperiode der Großen Koalition die nächste große Werftenpleite mit dem Bremer Vulkan fiel, konnte das Bündnis aus SPD und CDU dank der vor dem Bundesverfassungsgericht erstrittenen Sanierungsmilliarden in Höhe von acht Milliarden Euro diverse Projekte (u.a. die Gründung der privaten Jakobs University, die zunächst als International University begann) anschieben. Die Projekte vermittelten den Eindruck: Es geht wieder voran in Bremen. Unter den Projekten waren zwar auch Pleiteprojekte wie der sogenannte Space-Park auf dem ehemaligen Gelände der AG Weser im Bremer Westen, aber insgesamt sprudelte trotzdem das Geld. In die Schuldentilgung wurde in dieser Zeit nichts investiert.

Scherf wurde gewissermaßen zum Übervater der Großen Koalition und konnte als „Populist der Mitte“ und stadtbekannter „Oma-Knutscher“ sowohl 1999 als auch 2003 noch einmal Ergebnisse von über 40 Prozent für die SPD holen (2003 sogar gegen den Bundestrend). Als sich sein Nimbus in der eigenen Partei in der dritten Legislaturperiode der Großen Koalition (2003-2007) immer mehr verbrauchte, trat Scherf 2005 zurück und übergab das Amt an Jens Böhrnsen, der zusammen mit Carsten Sieling, damals SPD-Landesvorsitzender, die Abdankung von Scherf betrieben hatte.

Böhrnsen, der aus einer alten Arbeiterfamilie stammte, konnte noch einmal an das politische Erbe der SPD anknüpfen. Sein Wahlergebnis 2007 fiel zwar hinter das von Scherf zurück, aber die Vormachtstellung der SPD war ungefährdet, zumal die Grünen mit Zugewinnen sich als Koalitionspartner andienten. 2011 konnten sowohl SPD als auch Grüne bei der Bürgerschaftswahl zulegen, weil die Opposition heillos zerstritten war, so dass beide Parteien zusammen eine zwei Drittel Mehrheit der Sitze in der Bürgerschaft erzielen konnten.

Sparzwang lähmt Infrastruktur

Ab 2011 begann jedoch die Einsicht, dass es mit dem Schuldenmachen so nicht weitergehen könnte, zu wachsen. Die Diskussion um eine Schuldenbremse und deren Implementierung im Grundgesetz und dann auch in der Bremer Landesverfassung führten zu einer Kehrtwende in der Bremer Politik. Ganz oben stand jetzt das Sparen – am Personal im Öffentlichen Dienst, in den Schulen, Kitas und in anderen Einrichtungen. Auch die Infrastruktur kam unter dem Sparzwang immer mehr unter die Räder.

Bremen musste innerhalb von acht Jahren seine Schuldenaufnahme, die vorher bei fast einer Milliarde Euro pro Jahr lag, innerhalb von acht Jahren auf Null herunterfahren – bekam dafür allerdings jährlich auch 300 Millionen Euro aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich.

Die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert war in diesem Zusammenhang eine Triebkraft der Einhaltung der Schuldenbremse, zum Teil auch gegen den Widerstand der SPD, die gerne wie früher manches Problem durch die Zuteilung einer Geldspritze an bestimmte Wählergruppen gelöst hätte. Die zwölf Jahre Rot-Grün unterscheiden sich insofern fundamental von den vorherigen zwölf Jahren Große Koalition. Rot-Grün musste in den letzten acht Jahren einen strikten Sparkurs fahren, die Große Koalition dagegen konnte die Sanierungsmilliarden, die es davor gab, mit vollen Händen ausgeben.

Bekommt der Stadtstaat nach mehr als 70 Jahren eine neue Regierungspartei? Wahlkampf der CDU vor dem alten Rathaus.
Bekommt der Stadtstaat nach mehr als 70 Jahren eine neue Regierungspartei? Wahlkampf der CDU vor dem alten Rathaus.

© Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Ihren Einbruch erlebten die Sozialdemokraten 2015, als Jens Böhrnsen bei einer Wahlbeteiligung von nur noch 50 Prozent, deutliche Verluste erlitt und zurücktrat. Das schlechte Ergebnis für die SPD lag sicherlich auch daran, dass es ihr nicht gelang, ihre eigenen Wähler zu mobilisieren, weil alle Umfragen einen klaren Sieg der SPD und der rot-grünen Koalition vorhersagten.

Zum anderen hatte sich inzwischen unter der neuen Fraktionsvorsitzenden Kristina Vogt die Linkspartei stabilisiert und sich auch in der linken Gewerkschaftsbewegung verankern können. Die SPD musste sich also der Konkurrenz sowohl der Grünen als auch der Linkspartei im linken Lager stellen.

Verfestigte Armutsstruktur

Zum anderen war das Ergebnis aber auch eine Quittung für die Sparpolitik, die sich natürlich negativ auf die Leistungen der Koalition ausgewirkt hatte. Dieser Trend hat sich in der laufenden Legislaturperiode noch verstärkt. Zum Schluss wurde der Sparkurs immer härter und das Licht am Ende des Tunnels, durch die 500 Millionen Euro Sanierungshilfen, die ab 2020 aus dem neuen Bund-Länder-Finanzausgleich nach Bremen fließen, kommen für die SPD zu spät. Sie konnte ihre Rolle als großzügig verteilende Sozialstaatspartei in den vergangenen Jahren nicht mehr ausspielen. Außerdem ist es unter ihrer Ägide nicht gelungen, die soziale Spaltung der beiden Städte Bremen und Bremerhaven einzudämmen oder zu mildern. Es gibt eine verfestigte Armutsstruktur in bestimmten Stadtteilen.

Hinzu kommt, dass die SPD, die seit 73 Jahren die Bildungspolitik verantwortet, es in den letzten 30 Jahren nicht geschafft hat, eine Wende in der Bildungspolitik einzuleiten. Bremen ist und bleibt meisten Schlusslicht bei entsprechenden Vergleichen, wenngleich der Vergleich zwischen Flächen- und Stadtstaaten natürlich problematisch ist.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Öffentliche Verwaltung in den vergangenen Jahren teilweise in einem verheerenden Zustand war (vom Standesamt über die Führungsscheinzulassungsstelle), so dass viele Bürgerinnen und Bürger über die Leistungen zu Recht verärgert waren.

Sieling nicht so populär wie Vorgänger

Last but not least: Carsten Sieling, der ein kompetenter Fachmann vor allem in Finanzfragen ist und einen zuhörenden Regierungsstil pflegt, konnte nicht an die Popularität seiner Vorgänger anknüpfen – er ist politisch eng an seine Partei angebunden. Ihm fehlt das Präsidiale, über den Parteien stehende.

Vor diesem Hintergrund, zusammen natürlich mit dem negativen Bundestrend, ist es zu erklären, dass die rote Hochburg Bremen dieses Mal für die SPD verloren gehen könnte. Es gibt zwar keine unbedingte Wechselstimmung - eine Mehrheit der Wähler würde sich unter den Koalitionsoptionen eine Fortsetzung von Rot-Grün wünschen.

Aber angesichts der Abnutzungserscheinungen einer organisatorisch zum Teil ausgebluteten und politisch blutleeren Partei gibt es eine weit verbreitete Stimmung, dass nach 73 Jahren doch einmal ein Regierungswechsel notwendig ist. Davon profitiert auch die CDU mit ihrem Quereinsteiger Carsten Meyer-Heder, der sich ja bewusst als Anti-Politiker inszeniert. Die Linkskoalition, auf die die SPD in der Endphase des Wahlkampfes setzt, wäre die letzte Chance, doch noch führende Regierungspartei zu bleiben.

Lothar Probst

Zur Startseite