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Angela Merkel am Freitag in Brüssel im Kreis ihrer EU-Kollegen.

© REUTERS/Yves Herman

Gescheiterter Sondergipfel: Der Brexit wird zum Fluch für die EU-Finanzen

Der Austritt der Briten aus der Gemeinschaft macht die EU-Etatverhandlungen kompliziert. Dabei gäbe es eine Lösung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Gesucht wird die Quadratur des Kreises. Beim Etat der EU für die kommenden sieben Jahre soll mehr Geld für Zukunftsaufgaben wie den Klimaschutz oder die Sicherung der EU-Außengrenzen ausgegeben werden. Aber auch traditionelle Ausgaben der EU wie die Agrarförderung dürfen nicht zu kurz kommen. Aber gleichzeitig fehlt das Geld an allen Ecken und Enden, weil Großbritannien aus der Gemeinschaft ausgestiegen ist.

Noch immer stehen Nettozahler gegen Nettoempfänger

Beim EU-Sondergipfel zum Etat, der am Freitag ergebnislos zu Ende ging, zeigte sich in drastischer Form, dass der Brexit auch für die verbleibenden 27 Staaten einschneidende Folgen hat. Rund 75 Milliarden Euro fehlen in der EU-Kasse. Mit dem Geld hätte man früher die Interessengegensätze zwischen Nettozahlern und -empfängern zugekleistert, welche die EU von jeher prägen.

Der EU-Kommission gefällt es nicht, wenn man die Mitgliedstaaten in Geber und Nehmer einteilt. Diese althergebrachte Unterscheidung, so lautet das Argument der Brüsseler Behörde, sei überholt, weil Zukunftsaufgaben wie der Klimaschutz anders als eine Überweisung aus dem Agrarfonds nach Polen grenzüberschreitend allen Mitgliedstaaten zugute kommen.

Allerdings zeigte sich beim Brüsseler Gipfel, dass die alte Unterscheidung immer noch sehr wirkmächtig ist. Das zeigte die Grüppchenbildung unter den Staaten, die entlang der üblichen Trennlinien erfolgte: hier die Haushalts-Hardliner Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande, welche als Nettozahler ein möglichst straffes Budget wollen. Dort die „Freunde der Kohäsion“, die von den Fördertöpfen der EU profitieren.

Angela Merkel stärkt den „sparsamen Vier“ den Rücken

Kanzlerin Angela Merkel hat in dieser schwierigen Gemengelage in Brüssel vor allem den „sparsamen Vier“ den Rücken gestärkt. Deutschland hat in erster Linie ein Interesse daran, beim Stopfen der Brexit-Lücke nicht übervorteilt zu werden. Tatsächlich wäre es den deutschen Steuerzahlern kaum zu vermitteln, wenn der Berliner Nettobeitrag zur EU bis zum Jahr 2027 auf 26 Milliarden Euro ansteigen würde. Allerdings wird die Kanzlerin bei den Verhandlungen noch mehr Flexibilität aufbringen müssen, um einen Durchbruch zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Jahr zu ermöglichen – möglicherweise unter deutscher EU-Präsidentschaft ab Juli.

Keine gute Figur machte beim Gipfel auch EU-Ratschef Charles Michel. Der Belgier hatte offenbar darauf gesetzt, dass man die 27 Staats- und Regierungschefs nur lange genug zusammen in einen Raum sperren müsse, damit am Ende eine tragfähige Lösung herauskommt. Aber spätestens, als vor einer Woche sein Kompromissvorschlag von allen Beteiligten zerrissen wurde, hätte es Michel dämmern müssen, dass die Chance auf eine Einigung eher gering ist.

EU-Ratschef Charles Michel am Freitag in Brüssel.
EU-Ratschef Charles Michel am Freitag in Brüssel.

© imago images/Hans Lucas

Orban und Macron müssen sich als harte Verhandler präsentieren

Das Scheitern des Gipfels hängt indes auch damit zusammen, dass einer alten EU-Regel zufolge eine Einigung im Haushaltsstreit allein schon deshalb nicht im ersten Anlauf gelingen kann, weil die Staats- und Regierungschefs sich in Brüssel erst einmal den Wählern in der Heimat als harte Verhandler präsentieren müssen.

Das gilt für den ungarischen Regierungschef Viktor Orban, der beim Gipfel die illusorische Forderung aufstellte, dass der nächste Etat das Volumen von 1,3 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung umfassen müsse. Aber auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte sich unmittelbar vor dem jährlichen Pariser „Salon de l’Agriculture“ wählerwirksam dafür ein, dass die Brüsseler Rückflüsse aus den Agrarfonds nicht zum Rinnsal werden dürfen.

Dabei wäre trotz aller Differenzen ein Kompromiss möglich, der vor allem osteuropäische Länder wie Polen und Ungarn als Empfänger der Brüsseler Gelder einigermaßen zufriedenstellen, ihnen aber auch etwas abverlangen dürfte. Bisher machen die beiden größten Kostenblöcke im EU-Etat, die Agrar- und Strukturpolitik, den Anteil von 73 Prozent aus. Im künftigen Haushalt dürfte dieser Anteil auf rund 60 Prozent abschmelzen. Mit diesem Batzen – und einem entsprechenden Entgegenkommen der Nettozahler – dürften die Nehmerländer zufrieden sein.

Eine Kürzung von EU-Geldern muss denkbar sein

Im Gegenzug müssten sie aber einem so genannten Rechtsstaatsmechanismus zustimmen. Ein solcher Mechanismus würde zur Kürzung von EU-Geldern führen, wenn etwa in Polen oder Ungarn ein Verstoß gegen Rechtsstaats-Prinzipien ruchbar würde. Die Unabhängigkeit der Justiz ist nämlich eine zwingende Notwendigkeit, falls der Einsatz von Fördergeldern in einem Empfängerland gerichtlich überprüft werden muss.

Eine schärfere Überprüfung der Empfänger umfangreicher Subventionen ist auch das Ziel einer Initiative des Europaparlaments, die in der zurückliegenden Woche den Haushaltskontrollausschuss passierte. Demnach sollen Einzelpersonen künftig nicht mehr in der Lage sein, während einer Förderperiode mittels eines Firmengeflechtes Subventionen in dreistelliger Millionenhöhe zu erhalten. Es ist diese Art von Wandel, den Europas Haushaltspolitik braucht.

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