zum Hauptinhalt
315139_0_c2c93939.jpg

© ddp

Gescheiterte Klimakonferenz: Irgendwie retten

Zwei durchverhandelte Nächte und ein Aufstand zum Abschluss, dann knallt ein Hämmerchen aufs Pult: hiermit beschlossen. Der Klimagipfel von Kopenhagen ist vorbei, seine Beteiligten sahen ziemlich schlecht aus. Nur einer ist zufrieden.

Die Revolution brach um vier Uhr früh am Samstag los, als das Plenum wieder zusammenkam und Lars Loekke Rasmussen, dänischer Regierungschef und Präsident des Weltklimagipfels, versuchte, das Arbeitsergebnis der Regierungschefs zum Beschluss zu machen. Da reichte es vielen.

Als Erster meldete sich Ian Fry, Chefverhandler des kleinen Pazifikstaates Tuvalu, zu Wort. „Bei den UN“, belehrte er Rasmussen, „werden alle Staaten respektiert, ob klein oder groß.“ Doch genau dieses Prinzip sei mit der gesonderten Verhandlungsgruppe aus 25 Regierungschefs missachtet worden. Eine Kritik, der sich leidenschaftlich weitere Staaten anschlossen. Das Zwölf-Punkte-Papier, das die 25 formuliert hatten, sei inhaltlich schwach, und im Übrigen, fuhr Ian Frey mit Blick auf die darin angebotene Soforthilfe für Entwicklungsländer in einer Höhe von jährlich zehn Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 fort: „Unsere Zukunft steht nicht zum Verkauf.“

Selten ist ein Rettungseinsatz so danebengegangen.

Eigentlich sollten die 119 Staats- und Regierungschefs am Freitagabend als strahlende Helden vom Platz gehen. Sie sollten den Weltklimagipfel in Kopenhagen vorm Scheitern bewahrt und die Welt mit einem verbindlichen Umweltschutzabkommen gerettet haben.

So weit die Erwartungen, die sich im Laufe der zwölftägigen, als „historisch“ angekündigten Klimakonferenz angehäuft hatten, die aber über die Tage immer kleiner, umstrittener und unbedeutender zu werden drohte.

Seit dem 7. Dezember hatten die Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention und die Mitglieder des Kyoto-Protokolls über Emissionsminderungen für Industrie- und Entwicklungsländer, über die Finanzierung zur Bewältigung von Klimafolgen und den Aufbau einer kohlenstoffarmen Energieversorgung, über internationale Kontrollsysteme für die Emissionsminderungen und die Verwendung des Geldes sowie über den Schutz der Regenwälder diskutiert.

Doch in keiner wichtigen Frage gab es eine Einigung. Deshalb hatte Konferenzpräsident Rasmussen am Donnerstag eine Gruppe von 25 Ländern, die alle Regionen und Interessenlagen repräsentieren sollten, beauftragt, ein Kompromisspapier zu erstellen. Ein Vorgehen, das von Entwicklungsländern von Anfang an als inakzeptabel, intransparent oder sogar „illegal“ kritisiert wurde. Die wichtigsten Schwellenländer und einige Entwicklungsländer ließen sich dann aber doch auf das Verfahren ein.

Die Gruppe verhandelte los, Rasmussen erstellte ein erstes Kompromisspapier, das Vertreter der 25 sofort als ungenügend zurückwiesen, die Verhandlungen gingen weiter, stundenlang arbeiteten die Staats- und Regierungschefs nach Angaben des australischen Premierministers Kevin Rudd ohne Jacket und mit hochgekrempelten Hemdsärmeln Zeile für Zeile an den zwölf Punkten, die die Kompromisslinien für die wichtigsten Streitfragen enthalten sollte. Heraus kam dann ein zweiter Entwurf, und auch noch ein dritter, der dann zum nächtlichen Aufstand führte.

Als am Samstagmorgen das Abschlussplenum der Weltklimakonferenz stattfand, war nur noch ein Länderchef anwesend. Es war der Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed, der ausgeharrt hatte. Er warb bei den Delegationen der Teilnehmerstaaten noch einmal dafür, das Papier doch bitte anzunehmen. Es sei nicht ideal, gab er zu, aber er habe einen tiefen Graben zwischen den verhandelnden Regierungen aus den USA und China gesehen. „Dieses Papier ermöglicht uns zumindest, weiterzuverhandeln“, sagte er, während ihm kurz Tränen in die Augen stiegen.

Den Graben zwischen den USA und China hatten auch andere gesehen.

Am Freitagvormittag um elf Uhr hatten sich US-Präsident Barack Obama und der chinesische Premier Wen Jiabao im Bella Center zu einem 55-minütigen bilateralen Gespräch getroffen, in dem es um die hakeligsten Punkte ging; man erzielte eine Einigung, überließ die Details den Unterhändlern, die das im Kompromisspapier schnellstens zusammenschreiben mussten, und ging wieder auseinander.

Später wurde dann laut den Amerikanern offenbar, dass die chinesischen Unterhändler hinter dem zurückblieben, was Wen und Obama besprochen hatten. Der US-Präsident verlangte daraufhin ein zweites Treffen, „ich will nur noch mit Premier Wen reden“, sagte er nach Angaben seiner Mitarbeiter. Doch dazu kam es nicht. Immer wieder standen seine Leute vor verschlossenen Türen, hinter denen Wen bereits mit anderen Regierungschefs verhandelte. Zu guter Letzt setzte man sich dann mit mehreren zusammen.

Kurz vor halb zehn Uhr am Freitagabend verkündete Obama bei einem schnellen Termin außerhalb des Kongresszentrums eine Einigung, die er mit China, Brasilien, Indien und Südafrika ausgehandelt habe. Man habe verabredet, anzuerkennen, dass die globale Erwärmung unter zwei Grad zum vorindustriellen Niveau gehalten werden müsse, teilte er mit. China habe sich auf ein Berichtssystem eingelassen, das volle Transparenz gewährleisten solle. Zudem sollten alle Industrie- und Entwicklungsländer ihre nationalen Klimaschutzziele in ein Register eintragen. „Zum ersten Mal in der Geschichte sind alle wichtigen Wirtschaftsländer zusammengekommen, um ihre Verantwortung für konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel wahrzunehmen“, sagte er und flog nach Hause nach Washington D. C., wo ihn ein dichter Schneesturm erwartete.

Im Flugzeug schon versuchten die mitgereisten Journalisten und Berater herauszufinden, ob hinter dem gescheiterten zweiten bilateralen Gespräch mit dem Chinesen Absicht stand. Die „New York Times“ vom Samstag meldet auf der Titelseite Obamas „Durchbruch“ in Kopenhagen. Amerika freut sich, nicht länger der Buhmann der Klimadiskussionen zu sein, ansonsten ist das Thema in den USA kein Aufreger, man sorgt sich eher wegen der steigenden Arbeitslosigkeit als wegen steigender Temperaturen oder Meerespegel.

Andere in Kopenhagen machten sich indes Gedanken über Obamas Verhalten. War es etwa Respektlosigkeit, dass der US-Präsident nicht im Plenum saß, um die Reden seiner Kollegen zu hören? Er kam durch eine Hintertür direkt auf die Bühne, grüßte nach links und rechts, hielt sieben Minuten lang eine Rede und verschwand wieder. Stunden später äffte ihn der venezolanische Präsident Hugo Chavez auf derselben Bühne nach, er salutierte vor dem UN-Wachmann und schüttelte allen auf dem Podium die Hände. Dann warf er Obama vor, sich wie ein Imperator aufzuführen. Da jauchzten im Saal einige Delegierte vor Vergnügen.

Die ersten vier, fünf Redebeiträge, in denen auf das Papier der 25 reagiert wurde, waren eine einzige Ohrfeige für den dänischen Konferenzpräsidenten, aber auch für die Regierungschefs. Die Delegierten des Klimagipfels wollten sich mit dem mühsam ausgehandelten Kompromiss gar nicht befassen, sie wollten den Kompromiss unter der Rubrik „Verschiedenes“ in der großen UN-Papiermaschine verschwinden lassen. Da ergriff der sudanesische Chefverhandler Lumumba Di-Aping das Wort. Er bezeichnete das Papier als „mörderisch“, es verlange von Afrika, „einen Selbstmordpakt zu schließen“, wütete er. Aus dem Papier spreche der Geist, der sechs Millionen Menschen ins Grab gebracht habe. Der Holocaustvergleich, den mehrere Delegationen empört zurückwiesen, brachte die Stimmung wiederum ins Kippen. Ausgerechnet der Sudan!

Kommentatoren des Gipfels spotteten, dass die Regierung in Khartoum selbst für viele Tote in Afrika verantwortlich sei, auch wurde auf die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Erdölexportland Sudan und China verwiesen.

Wer sagt was und warum? Es ist viel Misstrauen auf der Konferenz spürbar.

Immer mehr Länder sprachen sich nun dafür aus, sich mit dem Papier doch zu befassen. Der britische Umweltminister Ed Miliband war ehrlich erschüttert, dass die Delegierten die Arbeit der Regierungschefs zu den Akten legen wollten. Er beschwor sie, es doch noch zu beschließen, womöglich mit einer Fußnote, die die Staaten auflisten sollte, die dagegen waren. Aber immerhin kämen dann Geldflüsse in die Entwicklungsländer in Gang, meinte er. Und außerdem sei das die letzte Chance, dem Klimagipfel noch einen Rest Glaubwürdigkeit zu verleihen, die Alternative sei eine „Zertrümmerung dieser Konferenz“.

An der arbeitete allerdings unfreiwillig auch der dänische Regierungschef. Rasmussen war am frühen Samstag nicht nur völlig übernächtigt, sondern auch sichtlich überfordert. Gegen 5.30 Uhr gestand er den versammelten Delegierten: „Ich kenne Ihre Verfahren nicht“, er wisse nicht, nach welchen Modi und Bedingungen abgestimmt werde, ein peinliches Eingeständnis allemal. Der Brite Ed Miliband hielt es nicht mehr aus, er sprang Rasmussen bei und verlangte eine Verhandlungspause, um ein neues Verfahren zu finden.

Eine Stunde später, es war immer noch dunkel über Kopenhagen, übernahm Vizepräsident Philip Weech von den Bahamas Rasmussens Job, ein Profi. Er trug vor, dass der Text zur Kenntnis genommen und damit ein offiziell eingeführtes Dokument werden sollte. Er hob vorsichtshalber nicht einmal den Kopf, haute mit seinem Hämmerchen auf den Tisch und verkündete: „Das ist hiermit beschlossen.“

Einige Delegierte waren ziemlich verdutzt, andere standen auf und applaudierten. Irgendwie ist so der Gipfel doch noch gerettet worden, auch wenn alle Beteiligten ziemlich schlecht dabei aussahen. Nur einer sah das nicht so. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon trat am Samstag um elf Uhr nach der zweiten durchverhandelten Nacht vor die Presse und behauptete, ohne rot zu werden: „Wir haben den Handel abgeschlossen. Das ist ein großer Erfolg.“

Er war auch durch harte Fragen von dieser Einschätzung nicht abzubringen und wiederholte freundlich lächelnd, dass Kopenhagen ein erster Schritt sei, dem nun viele weitere folgen müssten.

Am Samstagnachmittag um 15.30 Uhr war sie dann offiziell vorbei, die Weltklimakonferenz von Kopenhagen.

Der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans-Joachim Schellnhuber, sagte: „Das Spiel ist noch gar nicht vorbei. Die müssen jetzt in die Verlängerung.“ Davor fürchtet sich ein Verhandlungsführer vermutlich jetzt schon. Der Delegierte aus Saudi-Arabien sagte: „Das war das furchtbarste Plenum, an dem ich je teilgenommen habe.“

Mitarbeit: Christoph von Marschall, Washington

Zur Startseite