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Hier wird das Urteil Anschluss finden: Teilnehmer eines Aufmarsches einer rechtsextremen Gruppierung.

© dpa

Gericht zu NPD-Slogan "Migration tötet": Ein Vorurteil im Namen des Volkes

Ein Gießener Verwaltungsrichter wollte der Welt etwas vor Augen führen. Im Ergebnis ist es: seine Überforderung. Ein Kommentar.

Richterinnen und Richter sind unabhängig, und manchmal tut ihnen das nicht gut. Ein Verwaltungsrichter aus Gießen hat ein Verfahren über eine NPD-Wahlplakat dazu genutzt, seine Weltsicht im Namen des Volkes kundzutun. „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt.“ So lautet die Plakatparole, dahinter Ortsnamen mit Grabkreuzen. Aufgabe wäre gewesen, zu entscheiden, ob die NPD-Botschaft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt und die Plakate deshalb zurecht abgehängt wurden. Dies wäre jedenfalls dann der Fall gewesen, wenn die Aussage eindeutig als volksverhetzend und damit strafbar gewertet werden könnte.

Das ist kein Recht. Das ist Recht pervers

Dies kann ein Gericht begründet bejahen, verneinen oder in Zweifel ziehen. Was es kann, aber nicht tun sollte: Diese Aussage von einer Meinungskundgabe, die sie ist, zu einer Tatsachenbehauptung umdeuten, sich vollständig zu eigen machen und mit den Urteilsgründen noch einmal jene Gefahren heraufbeschwören, die ordnungsrechtlich abgewehrt werden sollen. Das Urteil ist kein Recht. Es ist Recht pervers. Man kann es nachlesen (Az.: 4 K 2279/19). Es bestätigt und unterfüttert alle Klischees, mit denen der aktuelle Rechtsprimitivismus auf Wählerfang geht: Umvolkung, Volkstod, Kulturmord, Eindringen, Überflutung, Unterwerfung und so weiter. Vom Untergang des römischen Reichs zum angeblichen Untergang der Bundesrepublik im Jahr 2015 in ein paar Absätzen. Es verzerrt die Verhältnisse und verkehrt die Begriffe. Ein Kult-Urteil für Neonazis. Was die NPD noch offen ließ, das Gericht hat es vollendet: Hass und Gewalt zu fördern.

Der Richter fühlt sich "fehlverstanden"

Dabei fällt das Ergebnis in die juristische Kategorie „vertretbar“. Einen ähnlichen Slogan hatte das Bundesverfassungsgericht kürzlich passieren lassen, weil er zu uneindeutig sei. Es ist hier die Begründung, die schwer erträglich ist. Peinlicherweise hat sich der verantwortliche Richter zu Wort gemeldet. Er sei „betroffen“, dass man ihn „fehlverstanden“ habe. Und dann redete er von einer angeblichen „Zielrichtung der Entscheidung“. Er habe vor Augen führen wollen, dass in einer „gelebten Demokratie Verbote nicht zielführend sein müssen“.

Der Untergang Europas ist die Überforderung am Schreibtisch

Richter, die meinen, mit ihren Urteilen der Welt etwas vor Augen führen zu müssen, sind ein Fall für die Couch – oder sie sollten, wie Richter Jens Maier, der ein ähnliches völkisches Quatsch-Urteil produziert hat, ihr Glück in der Politik suchen. Möglich aber auch, dass hier einer seine Schreibtischperspektive mit der Außenansicht verwechselt hat. Die einzigen Deutschen, die von Migranten tatsächlich überflutet werden, sind Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten. Ihr Hauptgeschäft sind Asylklagen. Vielleicht ist der Untergang Europas, der hier – nicht rechtskräfig – festgestellt wurde, Überforderung am Arbeitsplatz.

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