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Schriftzug Gender* auf Schreibtafel.

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"Gender-Unfug" oder Gerechtigkeit?: Was einem die Sprache verschlägt

Sprachreform war oft anarchischer Teil eines Aufbruchs. Die Genderdebatte heute kreiert dagegen nur Hass, Wut - und unauflösbare Widersprüche. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Auch „Journalist*innen, Politiker*innen und Unterhaltungskünstler*innen“, so schrieb unlängst die "taz", besuchen Geburtstagsfeiern und machen lauter andere alltägliche Dinge. Was sie hier im Text auf alle Fälle anders machen als die meisten, ist dass sie lautlose Zeichen in Wörter hineinstreuen, Sternchen oder Striche. Eine Sprachreform soll angestoßen werden, nicht die erste.

Ende der 1950er Jahre druckte die CDU Wahlplakate mit dem Slogan „keine Experimente“! Am 7. Juli 1957 warnte Kanzler Adenauer auf dem CSU-Parteitag: „Wir glauben, dass mit einem Sieg der Sozialdemokratischen Partei der Untergang Deutschlands verknüpft ist!“ Der SPD- Sieg kam, das Land blieb. Ende der 1960er Jahre begann eine Phase der Lust an Experimenten – bis hin zum Schriftbild, den Buchstaben. In der Szene der 1970er Jahre galt zum Beispiel eine Zeitlang konsequente Kleinschreibung (siehe „tageszeitung“) als avantgardistisch, und einige nutzen sie heute für Emails oder SMS-Nachrichten. Bei der taz wurde manchmal auch die Orthographie absichtlich verrückt, etwa wenn „der Säzzer“ aus der Setzerei heraus seinen Kommentar mitten in die Sätze streute. All das war charmant anarchischer Teil einer Aufbruchsstimmung.

Schon beim Bauhaus, in der Weimarer Republik, sollte Kleinschreibung enthierarchisieren und mehr Gleichheit signalisieren. Kein Wort sollte sich großtun, allenfalls am Satzanfang. Dass etwa Großbritannien kleinschreibend ein Empire errichtet hatte, irritierte nicht. Spielerisch ging es vielmehr um lustige Fragen: Wie verstehe ich den Satz „helft den armen vögeln“? Als „Helft den Armen vögeln“ oder „Helft den armen Vögeln“?

Der Streit ist erbittert

Mit Sprachregelungen und Reformideen wird jetzt wieder experimentiert, doch diesmal ohne Charme und anarchische Lust, eher erbittert, zu beiden Seiten des Streits tendenziell verbohrt. Die einen sehen sich als Sprache reinigend, die anderen als Sprache bereichernd. Die Frage der Reformer lautet: Wie soll von Frauen und Männern gesprochen werden, wie von denen, die sich jenseits gängiger Kategorien einordnen? Wie kann die Macht der Sprache gegen die Ohnmacht der Übergangenen mobilisiert werden? Der Aufschrei der Sprachschützer lautet: Ihr macht das Deutsche kaputt, die Identität der deutschen Sprache!

Das Thema Gender und Sprache stäubt und zischt und sprüht Funken. Gendern sei „zerstörerisch“ warnt ein alarmistischer „Aufruf zum Widerstand“ gegen den „Gender-Unfug“, gegen die Rede von „Bürger*innen“ oder „BürgerInnen“ oder „Bürger_innen“. Doch Sprache ändert sich ununterbrochen. Schon lange heißt es in Reden nicht mehr „Meine Herren“ sondern „Meine Damen und Herren“. Die zivilisierte, inkludierende Redeweise hat sich durchgesetzt. Wenig bewusst werden allerdings inzwischen im Alltag, egal wem gegenüber, Ausrufe verwendet wie „Oh Mann!“ oder „Ey, Alter!“

Nun wollen neuere Sprachvorschläge der Gender-Studies radikaler verdeutlichen, besser egalisieren. Holprige Hilfsmittel – Sternchen, Unterstriche, Binnen-I – werden wie Kiesel in den Fluss der Sprache geworfen. Teils geht es darum, Frauen sprachlich zu ermächtigen, sie kenntlich zu machen. Teils geht es aber auch darum, Geschlecht gänzlich unkenntlich werden zu lassen, um auch LGBTQI-Communities – Lesben, Schwule, ,Transgender etc. – einzuschließen. So schlägt das „De-Le-System“ vor „de Sochte“ als „geschlechtsneutrale Alternative zu Tochter/Sohn“ zu nutzen, „de Tonke“ statt „Tante/Onkel“ oder „de Elter“ für jedwedes Elternteil. Ein beispielhaft gegendertes Rotkäppchen staunt: „Ei, Großelter, was hast du für große Ohren!“

Frauen sollen auftauchen und zugleich Geschlechter verschwinden

Aktuelle Reformkonzepte plagen sich hier mit einem Grundwiderspruch herum. Einerseits sollen Frauen in „Bürger*innen“ auftauchen (selten angeführt werden „Kriegsverbrecher*innen“ oder „Täter*innen“). Andererseits soll die binäre Geschlechterordnung – männlich, weiblich – verschwinden. Einerseits soll also Identität betont werden, andererseits universalistische Gleichheit. In postkolonialen wie Gender-Diskursen wird Universalismus kritisiert, etwa der Begriff „Menschenrechte“, da er Unrecht und Unterschiede verschleiere.

Essentialismus wiederum, das Zuschreiben männlicher, weiblicher oder kultureller Identitäten, wird als rassistisch oder sexistisch angeprangert. Homosexuellen, die westliche Demokratien schätzen und homofeindliche Diktaturen und Autokratien verurteilen, wird auf manchem Campus „Queerer Imperialismus“ oder „Homonationalismus“ vorgehalten, der „die euroamerikanische Matrix der Macht“ als überlegen einstuft. Oh, Mann.

Während jetzt von rechts reaktionäre „identitäre Bewegungen“ auf nationale Essentialismen pochen, suchen linke „identity politics“ nach Repräsentationen diverser Identitäten, auch durch politisch korrekte Sprache. Kohärent durchdacht ist dabei gleichwohl wenig. Und vielleicht gibt es, etwa beim Thema weibliche Altersarmut oder Kitagebühren, politisch eine weitaus wichtigere Arena.

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