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Wolfgang Kubicki fordert Rückgabe der Grundrechte für Geimpfte.

© imago images/Eibner

Geimpfte müssen Freiheiten zurückerhalten: Angst vor Unmut der ungeimpften Bevölkerung darf nicht die Richtschnur sein

Wer nicht ansteckend ist, dem darf der Gesundheitsminister seine Grundrechte nicht vorenthalten. Er laviert hier schon viel zu lange. Ein Gastbeitrag.

Wolfgang Kubicki ist stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.

Es ist ja nicht so, dass die Diskussion über die Beendigung der Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte erst vor ein paar Tagen begonnen wurde. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt aber Erleichterungen für Geimpfte ankündigt, war mit Blick auf die kurze Historie dieser Debatte dann doch überraschend.

Denn er selbst hatte Ende Dezember noch „Sonderrechten“ für Geimpfte eine klare Absage erteilt. Es sei ein Akt der Solidarität, wenn die zuerst Geimpften auf die Noch-Nicht-Geimpften Rücksicht nähmen, so Spahn damals.

Verfassungsminister Horst Seehofer sprang ihm in jenen Tagen bei. Das Signal war: Die Bundesregierung ist sich einig.

Selbst bei Spahn kam verfassungsrechtliches Unwohlsein auf

Doch irgendwann muss sich im Gesundheitsministerium offenbar verfassungsrechtliches Unwohlsein breitgemacht haben. Mehrere renommierte Rechtswissenschaftler erklärten, dass die Beschränkung der Grund- und Freiheitsrechte in unserem Rechtsstaat gar nicht zulässig ist, wenn von Menschen nachweislich keine Infektionsgefahr mehr ausgehen kann.

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Sobald dies wissenschaftlich ausreichend abgesichert ist, müssen die Beschränkungen für diese Menschen sofort aufgehoben werden. Ähnlich äußerte sich jetzt auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Stephan Harbarth. Dieser Schluss ist die zwingende verfassungsrechtliche Konsequenz – ungeachtet der Tatsache, dass sich viele Menschen verständlicherweise benachteiligt fühlen, die noch gar keine Aussicht auf einen Impftermin hatten. Doch hierzu später mehr. 

Ich habe die Bundesregierung Anfang März im Rahmen einer parlamentarischen Einzelfrage gebeten, zu erklären, wann vom Robert Koch-Institut eine entsprechende Einschätzung betreffend die Infektiosität von Geimpften und Genesenen zu erwarten ist. Die Antwort vom 16. März lautete: „Eine Festlegung, ob eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch geimpfte oder von dem Virus genesene Personen möglich ist, kann erst zum Zeitpunkt der Auswertung von diesbezüglichen aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien erfolgen.“ Der Eindruck, der entstehen musste, war: Es liegen noch keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien vor, die ausgewertet werden können. Insofern konnte das RKI weiterhin untätig bleiben.

 Mit politischem Willen war eine Klärung durch das RKI plötzlich schnell möglich

Einige Tage später jedoch forderte die Ministerpräsidentenkonferenz das RKI auf, diese Frage ultimativ zu klären. Mit dem nötigen politischen Willen war plötzlich eine schnelle Klärung möglich. Das zweiseitige Ergebnis, das Lothar Wieler den Ministerpräsidenten nun an diesem Wochenende vorgelegt hat, ist allerdings von einer bemerkenswerten Lieblosigkeit, dass man sich schon die Frage stellen kann, wie sorgfältig das Robert Koch-Institut grundsätzlich Studienergebnisse auswertet.

Dass sich Wielers Team dabei auf eine israelische Studie von Anfang Februar stützte, hat mich stutzig gemacht. Denn entweder benötigte das RKI zwei Monate, um eine einzige wissenschaftliche Studie von ganzen zwölf Seiten sorgfältig zu überprüfen, oder es hat absichtlich mehrere Wochen in Untätigkeit verharrt, um eine entscheidende grundrechtliche Frage zu beantworten. Für Letzteres spricht, dass eine Aufforderung durch die Ministerpräsidenten (die übrigens gar keine Weisungsbefugnis gegenüber dem RKI haben) den Prozess der Klärung erheblich beschleunigt hat.

Spahn will die Grundrechte dennoch nicht voll zurückgeben 

Verfassungsrechtliche Konsequenz dieses RKI-Ergebnisses ist logischerweise, dass Beschränkungen für den Einzelnen sofort aufgehoben werden müssen, sobald er zweifach geimpft ist und seitdem mindestens zwei Wochen vergangen sind. Doch Jens Spahn hat offensichtlich etwas anderes im Sinn. Er sagte nicht nur, dass diese Erleichterungen erst nach der „dritten Welle“ ins Auge gefasst werden, sondern auch: „Wer vollständig geimpft wurde, kann also in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde.“

Er stellt die Grundrechte für Geimpfte damit unter einen doppelten Vorbehalt. Erstens weiß niemand, wie lange die dritte Welle andauert und wer überhaupt entscheidet, dass sie zu Ende ist. Außerdem stellt sich die Frage, wenn die Grundrechte an die dritte Welle gekoppelt werden: Was passiert eigentlich, wenn eine vierte oder fünfte Welle kommt? Zweitens ist die Verbindung von „Impfen“ mit „Testen“ deshalb in dieser Frage problematisch, weil man getesteten Personen weiterhin infektionsrechtliche Beschränkungen auferlegen kann, die man einem Geimpften nicht mehr auferlegen darf.

Einkaufen und Zusammensein ohne Einschränkung - das sollen Geimpfte dürfen. Hier ein Modelversuch in Weimar mit aktuellen Corona-Tests.
Einkaufen und Zusammensein ohne Einschränkung - das sollen Geimpfte dürfen. Hier ein Modelversuch in Weimar mit aktuellen Corona-Tests.

© dpa

Es ist davon auszugehen, dass dem Bundesgesundheitsminister diese Feinheiten bewusst sind – und dass er offensichtlich absichtlich eine verfassungsrechtlich saubere Lösung verschleppt. Denn ihm ist auch klar, dass der Dualismus zwischen Geimpften und Noch-Nicht-Geimpften zu einem großen gesellschaftlichen und politischen Problem wird, je länger das Impfchaos andauert. Also: Je länger die Menschen darauf warten müssen, bis sie endlich an der Reihe sind und sich ohne weitgehende Beschränkungen bewegen dürfen, umso größer wird die Frustration bei den unverschuldet Zurückgesetzten. Da ist es einfacher, verfassungsrechtliche Grenzen zu übertreten und alle zu benachteiligen, um nicht zum Problem werden zu lassen, dass die Impfgeschwindigkeit Schneckentempo hat, der Prozess der Frustration verlängert und gesellschaftliche Spannungen geschürt werden.

Es wäre solidarisch, wenn medizinisches Personal früher mehr Freiheiten zurückbekommt

Im Übrigen wäre es auch ein Akt der Solidarität, diejenigen, die im vergangenen Jahr erhebliche Lasten getragen haben und die jetzt zuerst an der Impf-Reihe sind – Alte, Menschen mit Vorerkrankungen oder Pfleger und Ärzte – auch wieder zuerst in die alte Normalität zu lassen. Dies wäre zumindest gegenüber dem medizinischen Personal jedenfalls solidarischer und handfester, als diese Solidarität abends klatschend auf dem Balkon zu demonstrieren. Oder gegenüber den Menschen in Altenheimen, die nicht mehr weggesperrt werden und endlich unbeschwert ihre Familie wiedersehen können.

Wer befürchtet, dass der Grundrechtsstatus dauerhaft vom Impfen oder Testen abhängt, dem sei gesagt, dass es einen Impfzwang unter keinen denkbaren Umständen geben wird. Aber es wird bis zu dem Tag, an dem wirklich jeder ein Impfangebot auch für die Zweitimpfung erhalten hat, gewisse Ungleichheiten, gefühlte und tatsächliche Ungerechtigkeiten geben. Es liegt an den Fähigkeiten der Bundesregierung, ob sie durch ein besseres Impfstoffmanagement diesen Prozess verkürzt oder verlängert.

Es liegt aber nicht in den Händen der Bundesregierung, ob die Grundrechtseingriffe bis zu jenem Tag in der jetzigen Form aufrechterhalten werden. Das Grundgesetz garantiert diese Rechte. Die Bundesregierung teilt sie nicht zu. Weder Jens Spahn noch Angela Merkel sind befugt, Grundrechte einen Tag länger als nötig zu beschränken.

Wolfgang Kubicki

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