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Kundgebung von „Pulse of Europe“ in Berlin Anfang 2017

© Kai-Uwe Heinrich

Gehen Europa die Fans aus?: Warum bei „Pulse of Europe“ nichts mehr los ist

Nach dem Brexit mobilisierte „Pulse of Europe“ tausende Menschen. Jetzt kommen nur noch wenige. Der Bewegung fehlt, was die Schüler im Klimastreik stark macht.

Eigentlich gäbe es gute Gründe, um für Europa auf die Straße zu gehen. Nationalisten schmieden europaweit Allianzen und haben gute Chancen, nach der Wahl gestärkt ins Europaparlament einzuziehen. So wollen sie die EU von innen zerstören. In diesen schwierigen Zeiten ruft die proeuropäische Bewegung „Pulse of Europe“ wieder zu Kundgebungen auf – auch an diesem Sonntag wird in Berlin und weiteren deutschen Städten demonstriert. Doch während die Bewegung kurz nach dem Brexit-Referendum noch Tausende Menschen mobilisierte, kommen jetzt nur noch einige hundert.

Nicht mal ein früherer Popstar der europäischen Linken kann die Massen heute noch begeistern. Am 14. April betritt der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die Bühne auf dem Gendarmenmarkt. Während der Euro-Krise wurde er zum politischen Rebell, weil er mit markigen Sprüchen gegen die europäische Sparpolitik kämpfte. Nun tritt er als Spitzenkandidat seiner Partei DiEM25 bei der Europawahl an.

„Wir müssen ein Europa fordern, das für die Menschen ist und nicht für die Unternehmen“, ruft Varoufakis ins Mikrofon. Doch das hören gerade einmal 500 Menschen, die auf dem großen Platz vor der Bühne etwas verloren wirken. Vor zwei Jahren kamen noch mehr als 6000 Europafans zu den Kundgebungen, ein blaues Fahnenmeer füllte den ganzen Gendarmenmarkt aus.

Laura Ciaccio ist enttäuscht. Die 30-Jährige hat seit der Gründung von „Pulse of Europe“ im Jahr 2017 kaum eine Demonstration verpasst. „Ich frag mich schon, wo alle geblieben sind“, sagt sie. Auf einer elektronischen Anzeige läuft ein Countdown: Noch 41 Tage bis zur Europawahl. „Gerade jetzt sollten wir zeigen, dass noch viele hinter der Idee eines vereinten Europas stehen.“

Doch vor allem jüngere Menschen wie sie, die vor zwei Jahren noch so zahlreich für Europa auf die Straße gingen, fehlen am Gendarmenmarkt. Dafür sind die „Omas gegen Rechts“ da. Und auch sonst besteht die Menge fast ausschließlich aus älteren Leuten. So wie Diethard Bühler. Zur Europaflagge trägt er eine Trachtenjacke. „Ich hoffe, dass die Menschen wenigstens zur Wahl gehen, wenn sie schon nicht auf der Straße sind“, sagt er.

Nicht viel los auf dem Gendarmenmarkt in Berlin: 500 Menschen kamen am 14. April zur „Pulse of Europe“-Kundgebung.
Nicht viel los auf dem Gendarmenmarkt in Berlin: 500 Menschen kamen am 14. April zur „Pulse of Europe“-Kundgebung.

© Tsp/Kai-Uwe Heinrich

Wieso kommen so wenige – so kurz vor der Schicksalswahl? Für den Protest- und Bewegungsforscher Dieter Rucht ist das keine Überraschung. „Die Brexit-Abstimmung und die Wahl von Trump waren damals konkrete Anlässe. Mittlerweile haben sich die Menschen daran gewöhnt.“ Vor allem Jüngere würden über soziale Medien mit vielen verschiedenen Problemen konfrontiert. „Sie springen dann auf das medial packendste Thema auf“, sagt Rucht.

Bewegungsforscher: „Fridays for Future“ wird es ähnlich ergehen

Momentan ziehen die Klima-Proteste von „Fridays for Future“ die größte Aufmerksamkeit auf sich. „Die Bewegung ist ungemein angesagt“, beobachtet Rucht. „Deshalb gehen die Leute eben eher dorthin.“ Auf lange Sicht sagt er den Klimaschützern allerdings dasselbe Schicksaal voraus wie „Pulse of Europe“. „Die Begeisterung Woche für Woche aufrecht zu erhalten, ist sehr schwierig“, sagt er.

Allerdings hätten die Klimaaktivisten zwei entscheidende Vorteile: die Gallionsfigur Greta Thunberg und konkrete Forderungen, die sie an die Politik stellen. Beides fehlt aus Ruchts Sicht bei „Pulse of Europe“. Um niemanden auszuschließen, will sich die Bewegung nicht politisch positionieren. „Ohne konkrete Ziele und Möglichkeiten zum Handeln verlieren die Anhänger schneller das Interesse“, sagt Rucht.

Im März 2017 war der Gendarmenmarkt noch voll.
Im März 2017 war der Gendarmenmarkt noch voll.

© picture alliance / Jörg Carstens

Von der Beliebtheit von „Fridays for Future“ könnte nun aber auch die Europabewegung profitieren. Am 12. Mai wird Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der Klimabewegung, bei „Pulse of Europe“ auf dem Gendarmenmarkt sprechen. Und auch sonst ist das Programm hochkarätig besetzt. Bis zur Europawahl finden jedes Wochenende Demonstrationen in mehreren deutschen Städten statt. In Berlin werden CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barley und Gregor Gysi von der Linkspartei als Redner auf der Bühne stehen.

„Hausparlamente“ diskutieren am Wohnzimmertisch

„Pulse of Europe“-Organisator Alexander Knigge ist zuversichtlich, dass die Teilnehmerzahl in den kommenden Wochen steigen wird. „2017 haben wir auch klein angefangen, und dann kamen immer mehr Menschen“, sagt er. Dabei setzt die Bewegung nicht nur auf die Macht der Straße, sondern auch auf andere Formen der Partizipation.

In sogenannten Hausparlamenten diskutieren Bürger aktuelle europäische Themen. Dazu schickt „Pulse of Europe“ den Teilnehmern Karten mit Fragen nach Hause – ähnlich wie bei einem Gesellschaftsspiel. Die Antworten werden gesammelt und an Politiker weitergegeben. Bei der letzten Runde Mitte April machten 1000 Menschen mit. Auf die Anregungen aus den Hausparlamenten werden die Spitzenkandidaten der deutschen Parteien für die Europawahl per Videobotschaft antworten.

Leider überbieten sich die meisten Parteien darin, nationale Interessen zu verteidigen. Welche Partei ist denn wirklich konsequent pro-EU-europäisch? Fordert einheitliche Steuersätze, ein europäisches Rentensystem, ein europäisches Bahnsystem, etc. für die ganze EU?

schreibt NutzerIn FabThiUks

Was bleibt also von Bewegungen, wenn die Menschen nicht mehr dafür auf die Straße gehen? „Es ist uns gelungen, Europa als etwas Positives begreifbar zu machen“, sagt Knigge. Ein Mädchen auf dem Gendarmenmarkt hat noch eine andere Antwort. Einige ihrer Freunde seien jetzt in proeuropäischen Parteien aktiv. Als Reaktion auf den Brexit haben sich Volt und DieM25 gegründet. Sie begreifen sich als paneuropäische Parteien. Das heißt, sie wollen jeweils mit einem Programm in mehreren europäischen Ländern gleichzeitig bei der Europawahl antreten.

Das Interesse an der Europawahl ist einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge im Vergleich zu 2014 stark gestiegen. 73 Prozent der Wahlberechtigten wollen ihre Stimme abgeben. Allerdings seien die Europakritiker stärker mobilisiert als die politische Mitte. „Wir müssen unser Europa jetzt verteidigen“, sagt Knigge. „Davon wollen wir in den kommenden Wochen möglichst viele Menschen überzeugen.“ Die Bewegung hat sich dafür eigens einen neuen Slogan zugelegt: „Was immer du wählst, wähle Europa!“

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