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Die Bergpartei setzt auch in diesem Jahr auf selbstgemalte Plakate.

© Promo

Gegen die Großen: Was wollen die Kleinstparteien bei der Bundestagswahl?

42 Parteien treten zur Bundestagswahl an: Darunter kurios klingende wie „die Urbane“ oder „Menschliche Welt“. Was sind ihre Ziele?

Berlin-Charlottenburg, eine Fußgängerzone an einem Freitagnachmittag: „Baba Nam Kevalam“, singt Dada Madhuvidyananda und spielt Gitarre. Er trägt eine orange Mönchskutte. Um ihn fünf Menschen auf Matten in einem Kreis. Sie sitzen im Schneidersitz, ihre Handflächen liegen auf den Knien, der Rücken ist gerade. Was hier wie eine Gruppen-Meditation aussieht, ist auch eine: Und zugleich eine Wahlkampfveranstaltung der Menschlichen Welt. Parteivorsitzender Dada Madhuvidyananda ist Yoga-Mönch und gründete die Partei im September 2013. „Die Menschheit ist in einer existenziellen Krise, die Atomwaffen sind in den Händen fragwürdiger Politiker“, erklärt er.

Um die Probleme wie wachsende Ungleichheit, Massenmigration und Armut zu lösen, bedürfe es selbstloser, kompetenter Menschen, die Politik machen, die auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sei. „Unsere politische Arbeit basiert auf Yoga und Meditation, das führt zu geistiger Ausgeglichenheit und allumfassender Liebe“, sagt Madhuvidyananda. Denn eine innere Ausgeglichenheit schaffe Frieden in der äußeren Welt. Ob Erdogan ein paar Yoga-Stunden helfen würden? „Ich habe keinen Einfluss auf Erdogan, aber auf mich selbst“, so Madhuvidyananda. Das klingt auf den ersten Blick naiv. Der Yoga-Mönch entgegnet: „Man hat immer drei Möglichkeiten: Tun, was man kann, nichts tun oder die Situation verschlechtern.“ Dass die Chancen auf Einzug in den Bundestag schlecht stehen, wissen die über 500 Mitglieder der Menschlichen Welt: Ein Ziel ist, „so viele Menschen wie möglich zu berühren und einen Bewusstseinswandel zu erreichen.“

Die Menschliche Welt zählt zur Kategorie der weltanschaulichen Nischenparteien: Diese leiten aus ihrer Ansicht eine politische Ideologie ab. Oskar Niedermayer, Professor an der Freien Universität Berlin, hält es für gerechtfertigt, dass sich auch kleinste Gruppen mit spezifischen Anschauungen und Interessen im Parteiensystem wiederfinden. Somit habe der Wähler genug Auswahl und müsse nicht aus Frust zuhause bleiben. „Eine Kleinstpartei hat immer eine Chance zu einer kleinen Partei zu werden, auch wenn das selten vorkommt“, so Niedermayer. Das passierte zuletzt mit den Piraten, die in vier Landtagen vertreten waren, jedoch aus diesen Parlamenten wieder rausflogen.  

Viele scheitern an der Bürokratie

Bevor eine kleine Partei ohne Sitze in einem Parlament zur Bundestagswahl antreten kann, muss sie beim Bundeswahlleiter zugelassen werden. Dort muss sie nachweisen, dass mindestens drei Personen im Vorstand sind und es eine Satzung sowie ein Programm gibt. Die nächste Zulassungshürde ist größer: Jede Partei muss für ihre Landesliste jeweils 2.000 Unterstützungsunterschriften sammeln. Insgesamt ließ der Bundeswahlleiter 48 Parteien zu, 42 sammelten die erforderlichen Unterschriften.

Dass das Unterschriftensammeln kein Zuckerschlecken ist, bemerkte auch die Urbane – eine HipHop Partei. „Kurz nach unserer Gründung hatten wir eine Veranstaltung, um uns erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren und Unterschriften zu sammeln. Wir dachten nach dem Wochenende haben wir 500 Unterschriften zusammen, schlussendlich waren es 140“, sagt Frithjof Zerger, Direktkandidat für den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg.

Die Urbane gründete sich im Mai 2017 und ist somit die jüngste Partei, die zur Bundestagswahl antritt. Von den knapp 300 Parteimitgliedern hatten bisher nur Wenige Kontakt zur Politik, die meisten sind Künstler. Sie verbindet die Verwurzelung im Hip-Hop. Viele denken bei der Musikrichtung heute vor allem an schnelles Geld, viele Frauen und Erfolg. „Wir distanzieren uns klar von Sexismus, Rassismus, Homophobie, es geht um die Grundidee: Es spielt keine Rolle, woher du kommst, welche Hautfarbe, Nationalität, sexuelle Orientierung du hast, es zählt was du machst“, erklärt Zerger. In ihrem Wahlprogramm verspricht die Urbane, „vielleicht ähnliche Ziele wie andere Parteien“ zu verfolgen, jedoch seien die Lösungsansätze anders.

Zerger meint, dass Waffeningenieure beispielsweise neue Energiekonzepte erarbeiten könnten. Die Urbane versucht, einfache Antworten auf schwierige Fragen zu geben, wie genau man zur Lösung kommt, lässt sie aber offen. Zerger weiß genau, was er durchsetzen würde: Keine Waffenexporte, mehr in Bildung und Kultur investieren, Schutz der Bürgerrechte vor Überwachung und die gesellschaftliche Vielfalt als Chance sehen. Er gibt sich selbstbewusst: Die Parteienfinanzierung ist das Ziel.

Kleinstparteien fühlen sich benachteiligt

Wenn eine Partei bei der Bundestagswahl mindestens 0,5 Prozent im bundesweiten Durchschnitt erhält, zahlt der Staat der Partei jeweils einen Euro pro Stimme für die ersten vier Millionen Stimmen. Für jede weitere bekommt die Partei 0,83 Cent. Die Kleinstparteien müssen ihre Arbeit somit aus eigener Tasche finanzieren.

„Wir könnten etwas bewegen, wenn uns die Presse ordentlich berücksichtigen würde“, sagt Michael Kneifel, stellvertretender Vorsitzender der V-Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer. Bei ihrer ersten Wahl, der Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen, bekamen die selbsternannten „Grünen 2.0“ 10.000 Stimmen. Bei der Bundestagswahl ist die 1.500 mitgliederstarke Partei in 12 Bundesländern wählbar. Im Programm steht alles, was zu einer „veganen Lebenseinstellung“ gehört: Keine Waffenexporte, keine Flüchtlingsobergrenzen, bedingungsloses Grundeinkommen, kein Lobbyismus, keine Massentierhaltung.

Zustimmung findet die V-Partei oft bei enttäuschten Grünen. Einige vegetarische und vegane Wähler vergraulte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, als er sagte, er esse gerne Fleisch. Auch wenn die V-Partei ökologische Sympathisanten hat: Viele Wähler machen ihr Kreuz bei den Grünen, weil diese sicher im Bundestag vertreten sein werden. „Die Menschen würden mit dem Herzen wählen, wenn es die Fünf-Prozent-Hürde nicht gäbe“, meint Kneifel.

„Die Parteien müssen selbst dafür sorgen, gewählt zu werden“, so Niedermayer. Er hält die Fünf-Prozent-Hürde für gerechtfertigt, über die Höhe lasse sich streiten. „Je mehr kleine Parteien im Parlament sitzen, desto schwieriger ist die Regierungsbildung und desto schneller ist auch eine Regierung am Ende“, erklärt der Professor.

Geld und Presse sind nicht alles

Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands hat ein finanzielles Polster aufgrund zahlreicher Spenden. Sie zählt zu den ideologischen Randparteien, was auch zu ihrem Problem wird: „Es hängt nicht nur am Geld oder der Anzahl der Plakate, eine Partei muss etwas vertreten, das viele Menschen anspricht“, so Niedermayer. Viele Nischenparteien behaupten, sie seien die einzigen, die die wahre Lehre vertreten. Das schrecke die Masse der Wähler ab.

Die Magdeburger Gartenpartei (MG) würde sich keinesfalls als Regionalpartei bezeichnen. Ihre Geschichte begann als ein Thema-Partei: Über 150 Gärten sollten in Magdeburg vernichtet werden, besorgte Bürger gründeten die Partei und verhinderten das Vorhaben. Anfangs wurde die MG noch belächelt, 2014 zog sie in den Magdeburger Stadtrat ein. Bei der Bundestagswahl hat die MG keine Chance, selbst wenn alle Wahlberechtigten in Sachsen-Anhalt ihr ihre Stimmen geben würden. Eine deutschlandweite Präsenz ist das Ziel, Mitglieder in NRW und Niedersachsen gibt es schon. Vorsitzender Roland Zander kennt seine Wählergruppe genau: „Die großen Parteien versprechen viel. Wer sich dort nicht wohlfühlt, kommt zu uns.“ Neben der Novellierung des Bundeskleingartengesetztes will die MG mehr Lehrer, mehr Polizisten und den Rentenangleich in Ost- und Westdeutschland. Auf eine Teilnahme am Wahl-O-Mat verzichtet die MG. Zander erzählt, dass bei der MG immer die AfD herauskam.

Mit selbstgemalten Plakaten in Berlin macht die Bergpartei auf sich aufmerksam. Zu drei Landtagswahlen trat die Berliner Partei an. Ihre Philosophie ist es, den Irrsinn der Welt mit Dadaistischen Mitteln zu spiegeln. Die Mitglieder stört es nicht, dass die Partei nicht wirklich ernst genommen wird. In einer Podiumsdiskussion kleiner Parteien machte Mitglied Benjamin Richter den Vorschlag, dass sich die Kleinstparteien zu einer Liste zusammenschließen könnten. Das stößt bei der Hip-Hop Partei nicht auf Anklang: „Wir haben uns gegründet, weil wir uns bei keiner der bestehenden Parteien ausreichend vertreten sahen“, erklärt Zerger.

Laura Weigele

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