zum Hauptinhalt
Der Kölner Bildhauer Gunter Demnig verlegt einen Stolperstein in Mainz.

© Andreas Arnold/dpa

Gedenken in Sachsen an deportierte Jüdin: Stolperstein-Verlegung scheitert an Veto von CDU-Bürgermeister

1942 wurde die Jüdin Anna Reichardt aus Groitzsch bei Leipzig deportiert. Die Verlegung eines Stolpersteins vor ihrem Wohnhaus lehnt die Stadt ab.

Von Matthias Meisner

"Eine bittere Lektion", sagt Küf Kaufmann, Vorstandsvorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er kann nicht verstehen, dass in der Kleinstadt Groitzsch im Landkreis Leipzig die geplante Verlegung eines Stolpersteins zum Gedenken an die Jüdin Anna Reichardt gescheitert ist, die am 10. Mai 1942 mit 1000 anderen Menschen aus Sachsen und Thüringen ins Ghetto der polnischen Stadt Bełżyce deportiert wurde.

Schüler des örtlichen Wiprecht-Gymnasiums hatten die Geschichte der Jüdin recherchiert. Auf der Deportationsliste - dort war zynisch von "Abwanderung" die Rede - hatte sie die Nummer 244. Als ihr letzter Wohnort in Sachsen wurde die Leipziger Straße 28 in Groitzsch angegeben. Im Alter von 63 Jahren musste sie ihre Heimat verlassen. Im Ghetto von Bełżyce blieb sie nicht einmal zwei Wochen, denn das wurde am 22. Mai 1942 aufgelöst, die Insassen in Zwangsarbeitslager oder in Vernichtungslager deportiert. Das weitere Schicksal von Anna Reichardt ist unbekannt.

Genau vor dem Wohnhaus in der Leipziger Straße 28 sollte nach dem Willen der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Geschichtslehrerin Sylvia Haase ein Stolperstein verlegt werden, im Rahmen des Projekts des Kölner Bildhauers Gunter Demnig, der deutschlandweit inzwischen seit den 90er Jahren tausende dieser kleinen Gedenktafeln verlegt hat.

Doch nicht so in Groitzsch, denn dort lehnte der von Bürgermeister Maik Kunze geleitete Verwaltungsausschuss der Stadt die Verlegung vor dem Wohnhaus ab. Zur Begründung sagte der CDU-Politiker, es fehle die Zustimmung des Hauseigentümers. Und Ersatz-Standorte seien von den Schülern und ihrer Lehrerin abgelehnt worden.

Auf der Deportationsliste der Nazis vom 10. Mai 1942: Die Jüdin Anna Reichardt aus Groitzsch bei Leipzig.
Auf der Deportationsliste der Nazis vom 10. Mai 1942: Die Jüdin Anna Reichardt aus Groitzsch bei Leipzig.

© Matthias Meisner/Tagesspiegel

"Wir werden jetzt in die rechte Ecke gestellt", sagt Kunze. "Das ist natürlich Blödsinn." Er verwies darauf, dass die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, Kritikerin des Stolperstein-Projekts sei. Und, dass es in Groitzsch seit etwa 1950 ein Denkmal der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gebe - dort sei auch der Name von Anna Reichardt genannt und "vor und nach der Wende" sei immer wieder auch an sie erinnert worden.

"Gymnasiasten reifer als ihre Stadtverwaltung"

Küf Kaufmann kritisiert die Stadt dagegen heftig: "Es ist mehr als bedauerlich, dass die Gymnasiasten eine so demotivierende Absage für ihr starkes Zivilengagement bekommen haben", sagte er am Montag dem Tagesspiegel. Noch bedauerlicher sei, dass der Groitzscher Bürgermeister der christlichen Partei angehöre, die sich klar und deutlich für das Jüdische Leben in Sachsen und den Kampf gegen Antisemitismus positioniert habe. "Ich glaube, dass die Groitzscher Gymnasiasten politisch viel reifer sind und viel mehr Fingerspitzengefühl für die Geschichte haben als ihre Stadtverwaltung."

Zuvor schon hatte der um die Erinnerungskultur engagierte Verein Erich-Zeigner-Haus aus Leipzig die Entscheidung der Stadt Groitzsch heftig kritisiert. Er hatte die Schulklasse bei den Recherchen unterstützt. Henry Lewkowitz, Vorstandsmitglied des Vereins, sagte der "Leipziger Volkszeitung", die Stadt habe die Tragweite ihrer Entscheidung nicht reflektiert. Der Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus von Anna Reichardt hätte ein bewusster Versuch sein können, "ein Zeichen gegen die Geschichtsklitterung der Rechten zu setzen" - aktueller denn je nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle.

Landesstaatsarchiv unterstützt Recherchen

Auch im Landesstaatsarchiv gibt es Unverständnis darüber, dass das Engagement der Schüler abgewürgt worden ist. Er bedaure die Entscheidung der Stadt, sagt Volker Jäger, Abteilungsleiter der Behörde. In vielen Fällen hatten auch die Archivare bei den Recherchen zu den Schicksalen von deportierten Jüdinnen und Juden und anderen Opfern des NS-Regimes geholfen. "Bis dato war es nicht der Fall, dass bei der Aufarbeitung im Nachgang so wie jetzt in Groitzsch blockiert worden ist."

Und die Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz erklärt, sie habe die Entscheidung der Stadt Groitzsch "mit äußerstem Befremden" zur Kenntnis genommen: "Ein Schlag gegen die öffentliche Erinnerungskultur, gegen ein vorbildliches Bildungsprojekt mit Jugendlichen - und gegen den gemeinsamen Kampf gegen jeden Antisemitismus."

Ob es bei der Entscheidung der Stadt bleibt? Stolperstein-Initiator Demnig sagt, die Grundidee sei die Erinnerung vor dem letzten freiwilligen Wohnhaus. Wenn anderswo eine wirkungsvollere Erinnerung möglich werde, sei er grundsätzlich für Kompromisse offen, was den Standort angeht. Bürgermeister Kunze will das Thema nach der öffentlichen Diskussion über den Stolperstein in Groitzsch an diesem Donnerstag auf die Tagesordnung des Stadtrats setzen. Im nichtöffentlichen Teil - "natürlich", wie er betont.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false