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Vor zwei Wochen war der Lehrer Samuel Paty in Paris von einem Attentäter enthauptet worden

© REUTERS/Eric Gaillard

Gedenken an getöteten Lehrer Paty: Das Problem mit der Schweigeminute an den deutschen Schulen

Frankreich hat Deutschland gebeten, auch in hiesigen Schulen am Montag eine Minute des Schweigens abzuhalten. Sieht so Meinungsfreiheit aus? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

An diesem Montag um 11 Uhr 15 soll an den Schulen in einer Schweigeminute des grausam ermordeten französischen Lehrers Samuel Paty gedacht werden. Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hatte sich mit diesem Ansinnen an die deutschen Kultusminister gewandt. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) rief Schulen auf, mitzumachen. Sie sieht darin, wie viele, ein Zeichen von Verbundenheit, Mitgefühl und Solidarität.

Solche Zeichen sind wichtig. Es sollte jeder und jedem freistehen, sie zu setzen. Zur Wahrheit, auf die in aufgeklärten Demokratien mit christlichem Hintergrund zurecht Wert gelegt wird, gehört allerdings auch, dass es sich um ein politisches Zeichen handelt. Kein Land in Europa ist in derart tiefe und tödliche Konflikte mit dem Islamismus verwickelt wie Frankreich.

Kein Staatschef in Europa tritt in einer Weise wie Emmanuel Macron für ein Recht auf Blasphemie ein und bescheinigt dem Islam, eine Religion „in der Krise“ zu sein. Kein Bundesinnenminister käme auf die Idee, sich über Lebensmittelangebote für Muslime in Supermärkten aufzuregen, wie es Gérald Darmanin in Frankreich tat.

Den schrecklichen Terrortaten begegnet Frankreichs Regierung zunehmend mit einer Rhetorik, die ebenfalls bedrohlich wirkt und wohl auch so wirken soll.

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Den Vorstoß abzulehnen, wäre ein Affront gewesen

Das Gedenken für Samuel Paty an diesem Montag wird nicht frei von diesen Belastungen sein. Es hätte auch in dieser Form kaum stattgefunden, wenn Frankreich es nicht angeregt hätte. Angeregt? Die genutzten diplomatischen Kanäle würden es möglicherweise rechtfertigen, davon zu sprechen, dass es eingefordert wurde.

Den Vorstoß abzulehnen, wäre ein Affront gewesen. Ähnlich dürfte es sich jetzt mit der individuellen Teilnahme an der Schweigeminute verhalten, die gerade muslimischen Lehrern oder Schülerinnen neben der Kundgabe von Trauer eine Positionierung zu den anti-islamischen Karikaturen abverlangt, die Paty im Unterricht gezeigt hatte.

Freiheit heißt auch, auf Abstand gehen zu können

Meinungsfreiheit? Unbedingt. Sie schützt allerdings auch jene, die sich auf diplomatischen Wegen angeregten politischen Standortbestimmungen entziehen möchten. Das macht die Schule zu einem ungünstigen Ort, wenn hier mehr geschehen soll, als ein Thema im Unterricht zu behandeln, wenn die didaktische Befassung ins Bekenntnishafte wechselt.

Auch, wenn es ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit ist. Es gilt die Schulpflicht. Man kann Schule nicht ausweichen.

Das alles spricht nicht gegen die Schweigeminute. Doch wäre es auch ein Zeichen gewesen, wenn nur Lehrerinnen und Lehrer sich zu ihr versammelten und es der Schülerschaft ausdrücklich freisteht, auf Abstand zu gehen. Es wäre ein Bekenntnis gewesen, das Konflikten Rechnung trägt. So ist es wohl mit der Freiheit: Für sie einzutreten ist leicht; schwieriger ist es, mit ihr umzugehen.

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